Dem Untergang geweihtIn der Bucht von Manila, nördlich der philippinischen Hauptstadt, lässt sich schon heute beobachten,was auf die Bewohner der Küsten entlang der Weltmeere zukommt: Ganze Landschaften versinken in den Fluten. So wie das einst blühende Dorf Sitio Pariahan. Es ist nur noch per Boot zu erreichen. |
Text und Fotos: Hartmut Schwarzbach
In der Bucht von Manila, nördlich der philippinischen Hauptstadt, lässt sich schon heute beobachten, was auf die Bewohner der Küsten entlang der Weltmeere zukommt: Ganze Landschaften und Dörfer versinken im Meer. Besonders betroffen ist Sitio Pariahan in der Provinz Bulakan – einst ein blühendes Dorf und nun nur noch per Boot zu erreichen. Von den Wohnhäusern, der Kirche und der Schule in Sitio Pariahan sind nur Ruinen geblieben, die selbst bei Ebbe im Wasser stehen. Die ehemaligen Bewohner haben sich in Pfahlbauten gerettet. Trotz der Gefahren, insbesondere in der Taifunzeit, wollen sie in ihrer Heimat bleiben, denn sie leben vom Fischfang. Das Meer ist ihre Existenzgrundlage.
Sitio Pariahan gehört zur Pfarrei des Priesters Ramón Rouque García, 45, der in der Gemeinde Nuestra Señora de Salambao auf der Insel Binuangan lebt. 4000 Einwohner hausen dort dichtgedrängt in Wellblechhütten, 800 katholische Familien, die meisten von ihnen Fischer, was heute gleichbedeutend mit einem Leben am Rand der Armutsgrenze ist. Weitere acht Dörfer, sogenannte Sitios, liegen in der Bucht: Dapdap, Capol, Bunutan, Kinse-Torres, Sapang, Tucol, Rafael und Calixtro, allesamt nur per Banka zu erreichen, wie die kleinen Auslegerboote hier heißen.
Apokalyptische Szenerie
Einmal im Monat steigt Pfarrer Rouque García mit seinen Helfern in das Motor-Banka nach Sitio Pariahan, um dort Messe zu feiern. Die Fahrt geht zunächst Richtung offenes Meer, dann biegt das Boot nach Norden in den Meycauayan River ein, ein alter Flusslauf flankiert von kleinen, maroden Deichen. Bald tauchen die ersten zerstörten Schutzwälle und Häuserruinen auf. Aus manchen der verlassenen Pfahlbauten bellen Wachhunde, die die Besitzer zurücklassen, um ihr verbliebenes Hab und Gut zu schützen. Nach 20 Minuten geht es links in einen Nebenfluss. Reste von knorrigen Baumstämmen und einzelne Pflanzen ragen aus dem Wasser. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf.
Das 1984 erbaute Gotteshaus ist Symbol für den Untergang einer ganzen Region geworden. Dabei ist die Provinz Bulakan eine Bastion der frühen christlichen Mission auf den Philippinen. 1572 kamen spanische Missionare des Augustinerordens hierher, 1578 folgten die Franziskaner. Ein halbes Jahrhundert zuvor, am 16. März 1521, hatte der unter spanischer Flagge segelnde Portugiese Ferdinand Magellan als erster Europäer den südostasiatischen Archipel betreten. Augustiner- und Franziskanermönchen gelang es schnell, den Großteil der muslimischen und animistischen Bevölkerung zum Christentum zu bekehren. So wurden die Philippinen das katholischste Land Asiens – benannt nach dem König von Spanien. Die offiziellen Feierlichkeiten für 500 Jahre Christianisierung wurden wegen der Corona- Pandemie jedoch auf 2022 verschoben.
Kirche im Wasser
„Die Messe in dieser Kirche zu feiern, ist wirklich außergewöhnlich“, sagt Pfarrer Rouque García. „Aber jeder muss verstehen, dass das hier keine Kirche ist, die vor Kurzem durch einen Sturm oder Überschwemmungen überspült wurde, und das Wasser nach einiger Zeit wieder zurückweicht. So ist es nicht. Die Kirche ist schon ein Teil des Meeres geworden. Langsam und stetig ist das Wasser gestiegen und steht nun im gesamten Gebäude. Warum ich die Messe auch in dieser Situation noch halte? Weil ich das Evangelium Christi leben will und in Erinnerung an ihn Gottesdienst feiere. Es geht um Dienst, Opfer, Dank, um Geben, Nächstenliebe und Demut.“
Der Gottesdienst ist für den Priester wie für die Gläubigen eine Herausforderung. Denn Stühle oder Bänke gibt es in der Kirche nicht mehr. Der Pfarrer, an dessen Messgewand die Wellen lecken, Frauen und Männer – alle stehen sie knietief im Wasser. Einige fahren gleich mit dem Boot in das Gotteshaus. „Manchmal, wenn die Flut hoch ist, reicht das Wasser bis an die Fenster“, erzählt Rouque García. In die Hauptkirche nach Obando zu gehen, ist für die Menschen in Pariahan schwierig und kostspielig. Also kommt der Priester zu ihnen, um die heilige Messe zu feiern.
Mindestens einmal im Monat macht sich Rouque García auf den beschwerlichen Weg in die Pfarrei St. Cruz. Zumindest um den Kirchenschmuck brauchen sich die Gemeindemitglieder keine Gedanken zu machen: Wie durch ein Wunder hat die Weihnachtsdekoration von Anfang an jedem Wetter standgehalten. Und so feiern sie ihr Patrozinium, das sie kurzerhand auf den Tag vor dem Fest Unserer Lieben Frau von Salambao gelegt haben, mitten im Mai unter bunten Sternen und Christbaumkugeln.
Das Dorf versinkt
Sitio Pariahan war einst ein lebhaftes Küstendorf. Jetzt ist es dauerhaft von Wasser überflutet, das auch in der Trockenzeit nie ganz zurückweicht. Es gab eine Schule, einen Basketballplatz, die Kirche und Häuser aus Beton. Heute liegen die meisten Gebäude in Trümmern. Die Häuser der Familien, die beschlossen haben, den Ort nicht zu verlassen, stehen jetzt auf Bambusstelzen. Ihre Bewohner überleben mehr schlecht als recht mit „Pangangapa“ – ein Wort aus der auf den Philippinen am weitesten verbreiteten Sprache Tagalog, das das simple Fischen oder Angeln mit der Hand beschreibt.
Wie konnte es zu diesem Drama kommen? 2011 zerstörten die verheerenden Taifune „Mina“, der international „Nanmadol“ hieß und „Pedring“ (international: Nesat) die Deichanlagen und Fischteiche in der Region. Die einst geschützte Wasserlandschaft in der Bucht von Manila war nun dem offenen Meer ausgesetzt. Auch das massive Abpumpen von Grundwasser durch Tiefbrunnen hat zur Absenkung und Verdichtung der Landmasse beigetragen.
So ist die Katastrophe ein Stück weit hausgemacht, denn für die Fischzucht wurden dem Boden große Mengen Süßwasser entzogen. Der sinkt mittlerweile um vier bis fünf Zentimeter im Jahr, das ist fast ein halber Meter innerhalb von zehn Jahren. Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels verschärfen die Situation zusätzlich. Von den einst 100 Häusern in Sitio Pariahan stehen nur noch wenige. Die meisten Bewohner sind auf das Festland in die benachbarten Orte Taliptip, Obando und Malabon gezogen, aber auch sie werden in der Regenzeit bei Starkregen regelmäßig überschwemmt. Ebenso sind Millionen Einwohner in den nördlichen Stadtteilen Manilas von den Fluten bedroht, an vielen Stellen gibt es Evakuierungszentren.
Gefährlicher Schulweg
Als wäre das alles nicht schon genug, droht den Bewohnern weiteres Unheil: Genau dort, wo ihr Dorf liegt, entsteht in den nächsten Jahren ein Memern gaprojekt der San Miguel Aerocity: der neue internationale Flughafen Bulakan Manila, 2500 Hektar ins Meer hinaus geplant und viermal größer als der jetzige Flughafen. 100 Millionen Passagiere im Jahr sollen hier künftig starten und landen. Für die Bauarbeiten werden 400 000 Arbeiter benötigt. Im Oktober erteilte der Senat der Philippinen die Lizenz für das Großprojekt. Die Fischer von Sitio Pariahan werden wohl kaum davon profitieren.
Flughafen im Meer
Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, wann die Dorfbewohner ihre Häuser endgültig verlassen müssen. In der Nachbargemeinde Bunutan wurden bereits die Kirchenglocken auf das Festland verschifft. Auch die Insel Binuangan und die Region um Taliptip werden die massiven Auswirkungen des Großflughafens zu spüren bekommen. Neben Lärm und Umweltbelastungen wird die Landgewinnung des Megaprojektes die Hochwassersituation in der Bucht von Manila weiter verschärfen – und das bei immer schnellerem Abschmelzen des Polareises und dem damit verbundenem unkontrollierbarem Anstieg des Meeresspiegels. „Ohne die Corona-Pandemie, die verhängten Sperren und die Richtlinien für die Quarantäne in der Gemeinde könnten sie bereits umgesiedelt worden sein, um dem neuen Flughafen Platz zu machen,“ sagt Pfarrer Ramon. „Deshalb feiern wir jede Messe in Pariahan als wäre sie unsere allerletzte.“
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