Die Apostel von SchwenikoneLaienmissionarinnen gehen in entlegene Dörfer und bringen mit dem Evangelium zugleich Entwicklung in die ländlichen
Gegenden Myanmars. Viele junge Frauen entscheiden sich für diesen Dienst fernab von Heimat und Zivilisation.
Das Projekt, das von Ordensschwestern begleitet wird, ist erfolgreich, aber mutet den Freiwilligen einiges zu. |
Text: Beatrix Gramlich; Foto: Hartmut Schwarzbach
Elizeo Hla Il ist ein kleiner, drahtiger Mann mit Jeans und Strickjacke. Den Cowboy-Strohhut über dem gebräunten Gesicht, die Flinte lässig geschultert, steht er in der gleißenden Mittagssonne vor seinem Pfarrhaus in Lonke. Das Leben hier in den Bergen, Stunden entfernt von der nächsten Stadt, ist hart. Der Priester muss sehen, wie er durchkommt, seine Waffe leistet ihm dabei gute Dienste. In den abgelegenen Landpfarreien sind die Pfarrer arm wie Kirchenmäuse und ein paar erlegte Vögel eine willkommene Abwechslung auf dem kargen Speisezettel.
Auch die Ordensfrauen im Nachbarhaus profitieren vom Jagdglück des Gottesmannes. Sie haben das Federvieh sorgfältig gerupft und in Reih und Glied auf einen Stock gespießt. In der Küche steht Schwester Dominic und schwenkt das magere Geflügel andächtig über dem offenen Feuer.
Mission an den entlegensten Orten
Mit ihren kleinen Gemeinschaften lassen sich die Zetaman-Schwestern in Myanmar bewusst an entlegenen, schwer zugänglichen Orten nieder. Mission und Entwicklung gehören für die junge, einheimische Kongregation untrennbar zusammen. Es ist ihr Weg, die Frohe Botschaft „an die Ränder zu tragen“, wie Papst Franziskus es nennt. In der Bambushütte, in der die Schwestern in Lonke leben, gibt es weder Strom noch fließendes Wasser. Trotzdem sprechen sie selbstbewusst von ihrem „Konvent“. Der Speiseraum nebenan ist kaum mehr als ein besserer Bretterverschlag. Den Kindern jedoch, die vor Blechtellern voll Reis sitzen, ihn mit den Fingern zu Bällchen formen und eilig in sich hineinstopfen, muss er vorkommen wie ein Stück Himmel. Sie sind Waisen und haben bei den Zetaman-Schwestern ein neues Zuhause gefunden. Hier brauchen sie nicht mehr zu hungern, hier können sie zur Schule gehen, hier fühlen sie sich geliebt und geborgen.
Als Schwester Bibiana 2002 nach Lonke kam, war die Pfarrei St. Paul Manna gerade gegründet worden. „Damals gab es die Straße noch nicht“, erinnert sich die 42-Jährige. „Der Bischof brachte uns hierher. Nach einem Jahr kam er wieder und holte uns zu ein paar Tagen Urlaub ab.“ Die Ordensfrauen wohnten mit einer Handvoll Waisenmädchen unter einem Dach. Sie sorgten für sie, gaben Katechismusunterricht, sonntags feierten sie mit den Gläubigen Wortgottesdienst. Und wann immer sie Zeit fanden, gingen sie in die abgeschiedenen Bergdörfer – manche einen Tagesmarsch entfernt –, um Kranke zu besuchen, Lebensmittel und Medikamente zu verteilen.
Viel verändert hat sich nicht seitdem. Nacht für Nacht versinken die bewaldeten Gipfel von Palong im Nebel, um sich jeden Morgen erneut in majestätischer Schönheit aus dem Dunst zu erheben. In den ländlichen Gegenden ist nichts zu spüren vom rasanten Wachstum, das in den Großstädten einsetzte, als Präsident Thein Sein nach seinem Amtsantritt 2011 begann, das jahrzehntelang vom Militärregime abgeschottete Myanmar zu öffnen. Mit ihrer bäuerlichen Lebensweise gehören die indigenen Völker bis heute zu den Ärmsten der Gesellschaft. Sie leben von dem, was sie dem Boden in mühsamer Handarbeit abtrotzen: Reis, Mais, Hirse, ein wenig Gemüse.
Weit weg von Familie und Freunden
So hatten sich das Mary Phone und Lucia Hta nicht vorgestellt. Die beiden jungen Frauen arbeiten als Laienmissionarinnen eine halbe Autostunde von Lonke entfernt. Schwenikone ist eine verschlafene 100-Seelen-Gemeinde, ihre Bewohner gehören zur Volksgruppe der Kayen. „Als ich das erste Mal hierher kam, waren sie unglücklich“, erzählt Schwester Bibiana. „Weil es hier kein elektrisches Licht gibt und wir weit weg von Familie und Freunden sind“, gibt Lucia hinter vorgehaltener Hand zu. „Weil die Dorfbewohner arm sind, trauen wir uns nicht zu sagen, wenn wir Salz oder etwas zu essen brauchen. Manchmal sitzen wir im Dunkeln, weil wir keine Kerzen haben“, sagt Mary. Die Reisetaschen mit ihrer Kleidung haben sie in eine Ecke geschoben, an die Wände ein paar Illustriertenfotos von Popstars geklebt.
Zwei Bastmatten zum Schlafen, ein niedriger Tisch, ein Sims mit Marienstatue: Das ist für die nächsten Monate ihr Zuhause. Das einzige, was Schwenikone ein wenig Bedeutung verleiht, ist die Straße nach Naypyidaw. Sie führt in einiger Entfernung am Dorf vorbei in die neue Hauptstadt, die das Militärregime auf halber Strecke zwischen dem ehemaligen Regierungssitz Yangon und der alten Königsstadt Mandalay aus dem Boden stampfen ließ: ein protziges Bollwerk der Macht, weit entfernt von den Menschen und Realitäten des Landes.
Tagsüber, wenn die Erwachsenen auf den Feldern arbeiten, ist es in Schwenikone noch einsamer als sonst. Die Kinder bleiben mit den Alten im Dorf zurück und weitgehend sich selbst überlassen. Zumindest war das so, bis Mary und Lucia hierher kamen. Seitdem ist in die Kirche, die sonst nur bei den seltenen Besuchen des Priesters genutzt wurde, Leben eingekehrt. Elizeo Hla Ils riesige Landpfarrei ist einfach zu groß, um regelmäßig in jeder Gemeinde Gottesdienst zu feiern. Doch jetzt rücken die beiden jungen Frauen hier von Montag bis Freitag jeden Morgen die Bänke zusammen und halten Unterricht. „What’s your mothers’s name?“, „Wie heißt deine Mutter?“, liest Mary aus dem Englischbuch vor. 16 Augenpaare hängen der 22-Jährigen gebannt an den Lippen und versuchen, die fremden Laute genau zu erfassen. „What’s your mother’s name?“, „What’s your father’s name?“, tönt es im Chor. Dann schreibt Mary kurze englische Sätze an die Tafel: „Es ist eine Puppe.“ „Es ist ein Stift.“ „Es ist ein Fisch.“ Mit fest umklammertem Stift und angespannter Miene malen die Jungen und Mädchen die lateinischen Buchstaben in ihr Heft. Sie sind so ganz anders als die burmesische Kringelschrift, die ihnen Lucia beibringt.
Das Privileg, zur Schule zu gehen
Doch die Fünf- bis Siebenjährigen sind voll bei der Sache. Nur ab und zu lenkt ein Geschwisterkind ab, auf das der große Bruder oder die ältere Schwester aufpassen muss. Niemand käme hier auf die Idee, deshalb den Unterricht zu schwänzen. Zur Schule zu gehen, ist neu und aufregend – und für die Kinder in den Dör fern ein großes Privileg. Die Schulen auf dem Land liegen weit verstreut, viele Jungen und Mädchen haben noch nie ein Klassenzimmer gesehen. Sie bleiben Analphabeten, ohne Chance, dem Teufelskreis aus Armut und fehlender Bildung zu entfliehen. Wie Generationen vor ihnen werden sie ums tägliche Überleben kämpfen, gegen Hunger und Krankheiten wie Malaria, die sich im feuchtwarmen Klima der Berge ungehindert ausbreitet und häufig Todesopfer fordert.
Später steht in der Dorfschule von Schwenikone Rechnen auf dem Stundenplan. An anderen Tagen unterrichten Mary und Lucia Landeskunde, Musik, Geschichte oder Religion. In einem aber unterscheidet sich dieses verlorene Nest in nichts von New York, Hamburg oder Berlin: Wie überall auf der Welt kommen die Schüler richtig in Fahrt, als sie verstehen, was trockene Theorie in der Praxis bedeutet – nur dass es hier nicht um Fliehkraft oder Fallgesetze, sondern um Hygieneerziehung geht. Die Jungen und Mädchen haben gelernt, wie man ordentlich putzt. Wie sie nun voller Begeisterung mit einem Reisigbesen den Boden fegen und anschließend im Laufschritt mit einer halbierten Kokosnuss über die Holzdielen jagen, gleicht das eher einem sportlichen Wettbewerb als einer Putzmittel-Vorführung. Zweifellos jedoch ist die ausgefallene Bohnertechnik wirksam – und umweltfreundlich obendrein.
„Ich liebe es, mit den Kindern zusammenzusein“, sagt Mary. Die Jungen und Mädchen haben sie vom ersten Moment an respektiert – als sie damals vor einem Jahr mit ihrer Reisetasche am Dorfeingang stand, ein wenig verloren und unsicher, was wohl auf sie zukommen würde. Pfarrer Elizeo hatte die beiden jungen Frauen hierhergebracht. Er stellte sie vor, plauderte ein wenig mit den Leuten, dann bezogen sie die Bambushütte, die die Bewohner von Schwenikone für sie gebaut hatten. Von da an waren Mary und Lucia auf sich gestellt. Zwar hatten die Zetaman-Schwestern sie mit einem Dutzend anderer Mädchen fünf Monate lang auf ihren Einsatz vorbereitet. Sie hatten sie in Didaktik, Ethik, Glaubenserziehung, Musik und Handarbeit unterrichtet, ihr Selbstvertrauen gestärkt und ihnen auch sonst eine Menge Rüstzeug mit auf den Weg gegeben. Doch die Wirklichkeit lässt sich nun einmal nicht üben.
Einsamkeit und Heimweh
Auch wenn die Laienmissionare zu zweit in die Dörfer geschickt werden: Das Leben dort ist hart, viele junge Frauen fühlen sich einsam, manche leiden unter Heimweh. Ihre Einsatzorte sind abgeschieden und oft so weit entfernt von ihren Familien, dass sie nur selten nach Hause fahren können. „Immer mehr Dörfer bitten um Zetamans“, erklärt Schwester Bibiana, „aber wir schicken sie nur in die ärmsten.“ Die Menschen sehen, dass der Glaube, den die jungen Menschen leben, nicht nur ihren Kindern, sondern der gesamten Gemeinschaft gut tut. Dafür sind sie gerne bereit, ihnen Unterkunft und Verpflegung zu stellen. Doch darüber hinaus gibt es wenig Berührungspunkte. „Wir treffen die Dorfbewohner nur sonntags“, berichtet Mary. „Sie kümmern sich um uns, wenn wir krank sind. Aber sonst haben wir nicht viel mit ihnen zu tun.“
Der Bischof von Taunggyi, Matthias U Shwe, hatte Anfang der 90er-Jahre begonnen, junge Frauen in die Dörfer zu schicken, um ihren Glauben im Dienst an den Armen zu bezeugen. Er nannte sie „Zetaman“, was übersetzt so viel wie „Apostel“ bedeutet – das griechische Wort für Gesandte. Bald jedoch erkannte er, dass sie die enormen Herausforderungen, die sie erwarteten, ohne Unterstützung kaum bewältigen konnten. Deshalb gründete er 1998 die Zetaman-Schwestern. Die Ordensfrauen teilen nicht nur den ganzheitlichen Ansatz der Laienmissionare. Sie wählen die Kandidatinnen auch aus, bereiten sie auf ihren dreijährigen Einsatz vor und besuchen sie in den Dörfern. Ein zeitraubendes Unterfangen: Allein in den Diözesen Taunggyi und Pekhon sind derzeit 34 Laienmissionarinnen im Einsatz.
Schwester Bibiana kann gut nachfühlen, wie es den jungen Frauen manchmal geht. Sie hat selber fünf Jahre als Zetaman in den Bergen gearbeitet, Kindern Lesen und Schreiben beigebracht und deren Eltern Grundkenntnisse in Hygiene und Gesundheitsfürsorge vermittelt. Es war ihre Art, ihren Glauben weiterzugeben – und damals nicht ungefährlich. Die Laienmissionare genossen noch nicht so hohes Ansehen wie heute. Vielmehr war ihr Engagement im buddhistischen Myanmar vielen ein Dorn im Auge. „Die Buddhisten haben uns überfallen, die Hühner getötet und gedroht: ‚Ihr seid Christen, wir können euch jederzeit umbringen‘“, erinnert sich Schwester Bibiana. Ein paar Jahre später wurde die zurückhaltende Frau die erste Zetaman-Schwester.
Vom Zetaman zur Ordensfrau
Bischof U Shwe hatte sie gefragt, ob sie sich der neuen Gemeinschaft anschließen wolle. „Das brachte mich völlig durcheinander. Ich dachte: Eine Ordensfrau, das ist so etwas Großes“, sagt Schwester Bibiana und lacht. Doch der Bischof überzeugte sie auf ebenso nüchterne wie pragmatische Weise: Er schlug ihr vor, den neuen Weg einfach auszuprobieren. Sollte sie nach längerer Prüfung keine Berufung verspüren, stünde ihr immer noch offen, weiter als Laienmissionarin zu arbeiten. Schwester Bibiana ließ sich darauf ein und hat ihre Entscheidung nie bereut. Heute kümmert sie sich in der Provinzhauptstadt Taunggyi um 135 Waisen. „Ich will ihre Seelenmutter sein“, sagt sie. „Gott gab mir die Chance, ihnen zu helfen. Ich bin glücklich.“
Sooft sie kann aber, fährt Schwester Bibiana nach Schwenikone zu Mary und Lucia. Sie fühlt sich für die beiden verantwortlich, will für sie da sein, ihnen Mut machen. Jedes Mal steckt sie ihnen ein kleines Taschengeld zu, damit sie ihre Familien besuchen können und nicht zu viele einsame Sonntage totschlagen müssen, an denen ihr Kofferradio und die Bistumszeitung, die Pfarrer Elizeo mitbringt, die einzige Abwechslung darstellen. Heute allerdings sorgt der Priester für Aufruhr im Dorf: Mit seiner Kamera steht er auf dem staubigen Weg vor den Hütten, an ihm klebt eine Traube Kinder. Sie kreischen vor Aufregung, als er das Display hochreckt und sie sich auf dem Video erkennen, das er gerade gedreht hat. So etwas haben sie im Leben noch nicht gesehen. Jetzt haben die Bilder auch in den Bergen laufen gelernt.