Mit Gott an BordReisen im Kongo ist gefährlich. Busse sind ein Verkehrsrisiko, die Straßen
ein Abenteuer und in der Regenzeit unpassierbar. Die „Santa Maria” bringt
Menschen sicher ans Ziel. Aber das ist nicht alles. |
Text: Beatrix Gramlich; Fotos: Hartmut Schwarzbach
Die Träger stehen knietief im Wasser. Stück für Stück hiefen sie die Kartons über den Bootsrand und stapeln sie auf dem Kopf zu knallroten Türmen. Am Ufer wartet eine Handvoll schrottreifer Lkw, um die Ladung ins Landesinnere zu transportieren. Die „Santa Maria“ hat Mehl und Seife gebracht. Einmal pro Woche schippert sie von der kongolesischen Hafenstadt Kasenga den Luapula 300 Kilometer flussabwärts nach Pweto und zurück. Die „Santa Maria“ kann 130 Tonnen Fracht und 120 Passagiere an Bord nehmen. Sie ist ein stolzes Schiff – eine andere Klasse als die hölzernen Pirogen, die Menschen wie Ware ohne jeden Komfort befördern.
„Als ich hier Bischof wurde“, erzählt Fulgence Muteba, „dauerte es Wochen, um nach Pweto zu kommen. Die Straße war teuflisch – voller Schlaglöcher, keine Brücken, in der Regenzeit unpassierbar.“ Wenn er den Norden seines Bistums Kilwa-Kasenga besuchen wollte, blieb nur der Weg über das Wasser. Aber auch das war ein Abenteuer.
Der Luapula bildet die Grenze zu Sambia und ist ein mächtiger Strom – fischreich, voller Krokodile und ein geographisches Phänomen. Während fast alle Flüsse in Ostafrika in den Indischen Ozean münden, fließt der Luapula nach Norden und ergießt sich zweieinhalbtausend Kilometer westlich mit dem Kongo-River in den Atlantik. Die kleinen Pirogen tanzen wie Nussschalen auf seinen Wellen. Doch wer die hölzernen Lastkähne besteigt, weiß nie, ob er sein Ziel jemals erreicht. Alt, undicht, mit Passagieren und Fracht hoffnungslos überladen, sinken viele auf dem Luapula. „Beim letzten Mal sind 150 Leute ertrunken“, berichtet der Bischof.
Er lehnt an der Reeling der „Santa Maria“, eine Rettungsweste über der Soutane, und erzählt von der schwimmenden „Heiligen“. Das Schiff ist seine Erfindung. Muteba wollte nicht hinnehmen, dass der Fluss für so viele zum nassen Grab wurde. Und auch nicht, wie sie reisen mussten, wenn sie ihre Ware zum Markt brachten: auf dem blanken Boden, eingezwängt zwischen Säcken voll Mehl, Obst, Gemüse und gackernden Hühnern – ohne Sitzbänke, ohne Toiletten, der sengenden Sonne schutzlos ausgesetzt. Und das tagelang.
„Es gehört zur Würde des Menschen, sicher und mit einem Mindestmaß an Komfort zu reisen“, erklärt Muteba. Außerdem suchte er eine Möglichkeit, um Baumaterial und andere Güter für seine Diözese sicher zu transportieren. Der 54-Jährige ist ein Querdenker, umtriebig, ideenreich und gewohnt, aus dem allgegenwärtigen Mangel in seiner Heimat das Beste zu machen. Er überlegte und ließ schließlich ein stabiles Schiff aus Metall bauen – mit Passagierdeck, Sitzbänken, Gepäckablage, Duschen und Toiletten. Es passt zu Muteba, dass er dabei versuchte, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ein Transport ohne Mehrwert – im Kongo grenzt das an Verschwendung. Das Schiff, so seine Idee, sollte nicht nur Verkehrsmittel sein, sondern auch das Evangelium zu den Menschen bringen.
Der Motor stampft, als die „Santa Maria“ ablegt. Geräuschvoll wirbeln die Schiffsschrauben das Wasser auf, eine graue Dieselfahne steigt in den federgewolkten Himmel. Auf der Kommandobrücke sitzt Kapitän Georges Kalambwe, das Steuer zwischen den Beinen, und schwitzt. Immer wieder muss er vor- und zurückstoßen, bis es ihm gelingt, das Schiff mit dem eingebauten Lkw-Motor aus dem seichten Wasser zu manövrieren. Mit dem Maschinisten kann er sich nur über Hupsignale verständigen. Dennoch: „Es ist ein gutes Schiff“, meint Kalambwe. Früher hat er einen dieser traditionellen Kähne gesteuert, die schon kurz nach dem Auslaufen die erste Panne hatten.
15 Gebühren vor der Abfahrt
Ein halbes Dutzend davon liegt im Hafen von Kasenga vor Anker. Der Hafen ist eine bessere Anlegestelle und ein noch besseres Lehrstück über den kongolesischen Staat: Im Wasser dümpeln alte Schiffswracks, deren Holz langsam verfault. Es gibt keine Pier, keine Mole, stattdessen Flusspolizisten in schmucker Uniform, die über einen Wust von Formalitäten wachen. Bevor die „Santa Maria“ ablegen darf, müssen ihre Betreiber 15 verschiedene Gebühren entrichten, darunter eine Umweltsteuer, Dieselsteuer, eine für die Instandhaltung des Hafens und eine Ausreisesteuer – obwohl das Schiff nirgendwo Landesgrenzen passiert. Sobald die „Santa Maria“ Fahrt aufnimmt, genießen die Reisenden an Bord kostenlose Unterhaltung. Im Passagierraum laufen religiöse Filme, die ihnen die Zeit während der Flussfahrt verkürzen.
Das Schiffskino ist beliebt, denn in den Dörfern sind Fernseher eine Seltenheit. Die Bildschirme werden von Solarzellen auf dem Dach betrieben. Zu den acht Mann Besatzung gehört auch der Katechist Charles Kalole. Er ist Seelsorger für Mannschaft und Fahrgäste. „Ich spreche mit ihnen über die Filme und erkläre ihnen Jesu Botschaft“, sagt er. „Einmal sind wir in ein Gewitter geraten. Da habe ich mit allen den Rosenkranz gebetet.“ Wenn die „Santa Maria“ auf dem Weg nach Pweto einen der zwölf Häfen ansteuert, wird er häufig an Land gerufen.
Überall suchen die Menschen seinen Rat und wollen mit ihm sprechen – über ihren Glauben, über Schwierigkeiten in der Familie oder gesundheitliche Probleme. „Wir können den Leuten wirklich helfen“, sagt Kalole. „Wir unterstützen sie spirituell, erklären ihnen, wie sie Krankheiten selber behandeln können oder nehmen sie mit ins nächste Hospital.“
Der 62-Jährige fährt auf der „Santa Maria“ mit, seit sie 2005 vom Stapel lief. Eigentlich wäre er gerne Priester geworden, aber seine Eltern fanden, ein Afrikaner müsse Familie haben. So wurde Kalole Grundschullehrer und Vater von acht Kindern. „Ich liebe diese Arbeit“, sagt er über den Dienst auf dem Schiff, um den ihn der Bischof gebeten hat. „Es treibt mich seit meiner Kindheit, den Menschen von Gott zu erzählen.“
Geburt an Bord
In jüngster Zeit jedoch hat der Katechist weniger Zuhörer. Seit die Chinesen die Straße nach Pweto instand gesetzt haben, bevorzugen viele Menschen in der Trockenzeit den schnelleren Bus. Bischof Muteba sucht bereits nach einem neuen Einsatz für die „Santa Maria“. Ein Vorbild bleibt sie trotzdem:
Zwei Unternehmer sind ebenfalls auf Metallboote umgestiegen. Und während der ersten Fahrt kam an Bord des Kirchenschiffs ein Kind auf die Welt. Seine Mutter hat es Maria genannt.
Zurück zur Nachrichtenübersicht November/Dezember 2016