Vergifteter LuxusSie schuften wie Sklaven, stehen in verstrahltem Wasser und verdienen am Ende einen Euro am Tag. In der
Demokratischen Republik Konto suchen Männer, Frauen und Kinder in den Abraumhalden von Industrieminen
nach Kupfer und Kobalt: wertvolle Rohstoffe für Handys, Laptops, Akkuschrauber, Elektroautos und E-Bikes. |
Text: Beatrix Gramlich; Foto: Hartmut Schwarzbach
Bis vor zwei Jahren hat Papi Sulu Ilunga an einer Schule unterrichtet. Als sein Lohn immer weiter sank, beschloss der 33-Jährige umzusatteln. Seitdem arbeitet er als Transporteur in Kapata, einem alten Bergarbeiterviertel von Kolwezi. Sein Kapital ist ein in die Jahre gekommenes Herrenfahrrad, dessen Reifen er mit Plastikstreifen umwickelt und mit Wäscheleine an den Felgen festgezurrt hat. Damit befördert er Gestein, manchmal 200 Kilo pro Tour.
Bis zu drei Dutzend Mal am Tag kämpft er sich über die gewundenen Trampelpfade von den Bergwerkshalden zum wenige hundert Meter entfernten See – das Rad beladen mit Säcken voll Abraum. Jedes Kilo Erde birgt wertvolle Mineralien: Kupfer, Kobalt, Uran. Der Bergbau hat die Landschaft zerstört. Unerbittlich haben sich Bagger und Raupen durch den Boden gefressen, schüttere Hügel aufgetürmt und Krater gerissen, die wie riesige Wunden in der Erde klaffen. Die Seen, die sich durch den Abraum gebildet haben, sind radioaktiv verseucht.
Unten am See warten Ilungas Kunden: die „Creuseurs“. So heißen, abgeleitet vom französischen Wort für „graben“, die Bergleute im Kongo, die auf eigene Faust nach Bodenschätzen suchen. Seit den frühen Morgenstunden stehen sie barfuß im kalten Wasser: Männer, Frauen und Kinder, die die kostbaren Erze für einen Hungerlohn aus dem Gestein waschen. Mit primitiven Hilfsmitteln – groben, selbst gezimmerten Drahtsieben, Schaufel, Eimer und Plastikplanen – gewinnen sie Kupfer und einen der wichtigsten Rohstoffe für viele Zukunftstechnologien: Kobalt. Das seltene Metall steckt in Lithium-Ionen-Akkus – kleine Speicherwunder, die Handys, Laptops, Tablets, aber auch Akkuschrauber, E-Bikes und Motoren für Elektroautos auf kleinstem Raum mit einem Maximum an Energie versorgen.
Bwana Ngoi hat vom See aus eine meterlange Rinne gegraben und mit weißer Plastikplane ausgelegt. Der Graben endet in einer Mulde voll steiniger Erde. Die junge Frau steht bis zu den Knöcheln im Schlamm. Immer wieder bückt sie sich, füllt ihre Plastikschüssel mit Wasser und schleudert es mit weit ausholenden Armbewegungen über den Aushub. Hunderte Male wird sie diesen Vorgang wiederholen – bis sich das Metall aus den Steinen löst und ihre provisorische Wanne mit feinem, giftgrünen Kupfersand füllt. Zehn, zwölf 50-Kilo-Säcke voll Erde bearbeitet sie so am Tag. Das ist Knochenarbeit, aber viel schlimmer ist die schleichende Gefahr, die im Abraum lauert. Denn Kupfer, Kobalt und Uran kommen in Kolwezi nicht getrennt, sondern als Erzmischung vor. In dem Gestein fördern die Creuseurs auch radioaktives Uran zutage, das beim Auswaschen in den See gelangt.
„Die Arbeit ist hart“, sagt Ngoi nüchtern und hält einen Moment inne. Ihre Schüssel legt sie dabei nicht aus der Hand – gerade so, als würde jeder Satz wertvolle Zeit kosten. Die 31-Jährige und ihr Mann schuften wie Sklaven – sie unten am See, ihr Mann oben in den Abraumhalden, wo er das Gestein ausgräbt. „Wir machen keine Pause“, erklärt sie, „weil wir kein Geld haben.“ Die beiden würden viel für eine andere Arbeit geben. Aber wer wie Ngoi nur die Grundschule besucht hat, braucht sich keine Hoffnungen zu machen. Die Arbeitslosigkeit in Kolwezi liegt bei 90 Prozent – genauso hoch wie im ganzen Land.
Willkür und Korruption
Der Kongo zählt zu den so genannten „Failed States“, gescheiterte Staaten ohne Recht und Ordnung, in denen die Willkür und eine machtbesessene Elite regiert. Jahrzehntelange Misswirtschaft, Korruption und Bürgerkriege haben das rohstoffreiche Land im Herzen Afrikas zu einem der ärmsten der Welt gemacht. Mehr als 100000 „Creuseurs“ graben auf eigene Faust, 36000 allein in Kolwezi. Sie kommen aus der ganzen Region Katanga – unter ihnen Ärzte und Ingenieure, die sich als Erzschürfer durchschlagen.
In der alten Bergarbeiterstadt Kolwezi leben knapp eine Million Menschen. Die belgischen Kolonialherren stampften sie in den 1930er-Jahren aus dem Boden und holten Männer aus halb Afrika als Minenarbeiter in den „Copper Belt“, den Kupfergürtel, der sich auf einer Hochebene von Sambia bis in den Südosten des Kongo erstreckt. Als der Staat ab 1980 immer mehr zerfiel, machten die meisten staatlichen Minengesellschaften pleite. Damals begannen viele Bergleute, auf eigene Rechnung weiterzugraben. Was sie trieb, war mehr als der Mut der Verzweifelten. Denn sie wussten: Kolwezis Boden ist eine Schatztruhe. Die Bergleute nennen ihn Heterogenit – wegen der vielen wertvollen Substan-zen, die er birgt. Mehr als die Hälfte der weltweiten Kobaltreserven lagert im Kongo, vor allem in Katanga. Ein Fünftel davon wird im Kleinbergbau außerhalb der Minen gefördert.
Mit dem Verfall der Weltmarktpreise für Kuper in den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Creuseurs noch einmal sprunghaft gestiegen. Die großen Minengesellschaften haben seitdem 50 Prozent ihrer Belegschaft entlassen. In Kolwezi gibt es zurzeit noch sechs industrielle Bergwerke. Die Betreiber haben ihre Firmensitze in Australien, Luxemburg, der Schweiz und China. Die einzige kongolesische Minengesellschaft, Gecamines, befindet sich in Staatsbesitz und steht kurz vor der Pleite.
„Fast die gesamte Bevölkerung von Kolwezi arbeitet offiziell oder inoffiziell im Bergbau“, erklärt Gaston Mushid Mutund. Er ist Journalist und Direktor des privaten Rundfunksenders Radio Television Manika und hat viel über den Bergbau recherchiert. Konzerne wie Apple, Samsung oder LG sollten sich endlich dafür interessieren, woher ihre Rohstoffe kommen und nur noch saubere Mineralien kaufen, fordert er. Er erzählt, dass die Minengesellschaften ihre Abwässer in Flüsse und Seen leiten und immer mehr Frauen in der Gegend missgebildete Kinder zur Welt bringen. „Die Creuseurs sterben langsam“, sagt Mutund. „Von Blutkrebs oder Lungenschäden spricht hier kaum jemand – weil sich niemand die Untersuchungen leisten kann. Aber viele sind verstrahlt.“ Die Minenbetreiber geben zwar Studien in Auftrag und kündigen vollmundig an, die Umwelt zu schützen. Aber es bleibt bei leeren Versprechungen. Mutund macht das wütend. „Der Staat tut nichts“, schimpft er. „Statt die Minen zu schließen, kassiert er Bestechungsgelder.“ Er selber muss aufpassen, was er öffentlich sagt. Seine Arbeit ist vielen ein Dorn im Auge. In einem korrupten Land wird kritische Berichterstattung nicht gerne gesehen. Allein in Kolwezi wurden in den vergangenen fünf Jahren sechs Journalisten ermordet.
Eine kleine Siedlung im Bergarbeiterviertel Kapata zeugt davon, dass die Stadt schon bessere Zeiten gesehen hat. Früher, als das Geschäft noch florierte, hat die staatliche Bergbaufirma Gecamines hier Häuser für ihre Leute gebaut. Doch schon lange hat niemand mehr Geld, um sie zu unterhalten. Die Mauern haben Risse bekommen, von den Wänden blättert der Putz. Die Straße, die durch die Siedlung führt, endet am Lac Kabulungu. Der See ist durch den Abraum entstanden, sein giftgrünes Wasser radioaktiv verseucht. Frauen waschen ihre Wäsche darin, am Ufer gießt ein Bauer seine Gemüsebeete. Die Menschen wissen um die Gefahr; eine Wahl haben sie nicht.
Pfarrei der Armen
Kapata ist ein multikultureller Stadtteil. Kongolosen leben hier Tür an Tür mit Nachbarn aus Sambia, Burundi, Ruanda und Angola: Nachfahren der Einwanderer, die die belgische Kolonialmacht für den Bergbau anheuerte. „Unserer Lieben Frau der Armen“ prangt in bunten Lettern auf der Kirche. Passender könnte sie kaum heißen. „Im Kongo Priester zu sein, heißt nicht nur, Sakramente zu spenden“, sagt Pfarrer Jacques Musalika. „Wir sind Lehrer, wir kümmern uns um Waisen, um die Bedürftigen.“ Der 46-Jährige unterrichtet an einer Schule, um Geld zu verdienen. Als Pfarrer bekommt er kein Gehalt, sondern ist auf Spenden der Gläubigen angewiesen. In Kapata, wo die Menschen arm sind, ist das nicht viel. „Sie geben mir Lebensmittel“, sagt Musalika. 90 Euro verdient er monatlich mit seiner Lehrtätigkeit. Damit unterstützt er sieben Waisen, für die er sorgt. Im Pfarrsaal hat er eine behelfsmäßige Schule für die Kinder der Bergleute eingerichtet. 270 Jungen und Mädchen drängen sich im Vor- und Nachmittagsunterricht auf den schmalen Holzbänken. Es gibt keine Pulte, keine Lehrbücher, weder Hefte noch Stifte. Aber allein die Tatsache, dass sie hier lernen dürfen, ist für sie der reine Luxus. „Diese Kinder waren noch nie in der Schule. Sie wissen nichts. Wir haben sie bei den Abraumhalden eingesammelt“, sagt Lehrerin Sion Kasongo Ngoie.
Auf den künstlichen Hügeln steht Fortuné Lupichi in der Abendsonne, neben ihm ein gähnender Schacht. Weit unten, wo kaum noch Licht hinfällt, kämpft sich sein Sohn Jean-Marie mit einer Schaufel voran. Es ist eine schweißtreibende Arbeit. Vor zwei Wochen haben der 22-Jährige und sein Vater angefangen, seitdem sind sie zwölf Meter tief in den Berg vorge-drun-gen. Bis auf 20 Meter wollen sie gehen. Die Wände des Schachts haben sie mit Holzpfählen gesichert. Lupichi weiß, dass die Arbeit gefährlich ist. Die Erde ist rutschig. Jeden Tag passieren Unfälle oder werden Leute verschüttet.
Jeden Tag Unfälle
Der 46-Jährig hat gerade hat eine Ladung Gestein aus seinem alten Schacht geholt. Aber es wird immer riskanter. „Der Sand fing an zu rieseln“, sagt er. „Wir mussten sofort raus.“ Schächte graben, ist Männersache. Lupitchi sucht nach Kobalt. Er hat keine Ahnung, wofür das Erz gebraucht wird. Aber er weiß, dass es mehr einbringt als Kupfer. Wie bei vielen Creuseurs arbeitet auch bei ihm die Familie mit. Lupitchi und sein ältester Sohn graben das Gestein aus. Seine Frau und die 20-jährige Tochter Ulrike waschen es im See. Nach der Schule kommen die vier jüngeren Geschwister und helfen mit. Ulrike hat nie eine Schule besucht. Ihr größter Wunsch ist es, nähen zu lernen. Aber die Nähkurse kosten Geld. Geld, das die Familie nicht hat. Was sie als Erzschürfer verdienen, reicht mit Mühe für eine Mahlzeit am Tag, das Schulgeld und die Miete für ihre Hütte. Manchmal reicht es auch nicht. Dann können die Kinder nicht zum Unterricht gehen.
Creuseurs wie Lupichi oder Ngoi stehen auf der untersten Stufe einer langen Kette von Abhängigkeiten, an der sich viele bereichern: ganz oben der Staat, der mit den Minengesellschaften jahrzehntelange Pachtverträge abschließt und die Schürflizenzen vergibt. Die Beamten der Kleinbergbaubehörde, die Gebühren verlangen, damit die Creuseurs im Abraum schürfen dürfen, und den Frauen nach Berichten von Amnesty International ein Drittel ihrer Tageseinnahmen abknöpfen. Die Minenpolizei, die darüber wacht, dass kein Unbefugter das Gelände betritt, und die Transporteure, die das Gestein von den Schächten zum See schaffen.
Ihre Tagesausbeute liefern die Creuseurs abends in einer Wellblechhütte am Straßenrand ab. Im schummrigen Innenraum sitzen chinesische Mittelsmänner. Sie kaufen gerne hier ein, weil die Ware der Erzwäscher billiger ist als die aus den Industrieminen. Am Eingang steht Wachpersonal mit Kalaschnikows und verweigert Fremden rigoros den Zutritt. Aus gutem Grund. Die Händler wollen vermeiden, dass jemand ihre schmutzigen Geschäfte durchschaut. Dass bekannt wird, wie sie die Preise drücken und die kleinen Leute betrügen, wenn sie das Erz wiegen oder dessen Gehalt bestimmen. Am Ende bleibt den Gräbern nach zwölf Stunden Knochenarbeit pro Person umgerechnet ein Euro Gewinn – so viel wie zwei Eimer Maismehl kosten.
Die wahren Gewinner sind Unternehmen wie Congo Dongfang Mining (CDM), eine Tochterfirma des chinesischen Huayou-Cobalt und einer der größten Kobalt-Verarbeiter weltweit. Seine Kunden produzieren Batterien und Akkus für internationale Handy- und Computerhersteller wie Samsung, Sony und LG, aber auch für VW und Daimler. Apple verzichtet laut Washington Post mittlerweile auf Material von dem chinesischen Zwischenhändler und will die Minen, aus denen es Rohstoffe bezieht, zertifizieren lassen. Huayou ist der drittgrößte Teilhaber an Chinas Afrikafonds und sponserte 2011 den Wahlkampf des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila – ein Autokrat, der sich mit allen Mitteln an die Macht klammert und Neuwahlen systematisch verschleppt. Verlierer sind Menschen wie Lupichi oder Ngoi. Gerne würden wir die junge Frau am Abend nach Hause begleiten. Aber sie lehnt ab. Sie müsse weiterarbeiten, erklärt sie, den Kupfer auswaschen und abliefern, bevor jemand ihre Tagesausbeute stiehlt. Mag sein, dass das stimmt. Vielleicht aber will sie auch niemandem ihre Hütte zeigen – weil sie sich schämt.
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