Lehrjahre im SlumKibera liegt am Rand von Kenias Hauptstadt Nairobi und gilt als der größte Slum
Afrikas. Die meisten, die hier leben, wollen nur eins: Weg. Die Yarumal-Missionare
sagen: „Kibera ist eine gute Schule“ – und bleiben. |
Von Beatrix Gramlich (Text) und Hartmut Schwarzbach (Fotos)
Mitten im Müll steht ein Mann in abgerissener Kleidung und liest Zeitung. Er hat die zerknitterten Seiten aus stinkendem Unrat, faulenden Küchenabfällen und aufgeplatzten Plastiktüten geklaubt und liest. Unbeeindruckt von der abstrusen Kulisse. Unbeirrt von den Vorbeigehenden, die über die Mülldeponie waten. Ein Intellektueller im Slum: auch das ist Kibera.
Es heißt, Kibera sei der größte Slum Afrikas. Ein Meer aus Wellblechhütten, durchzogen von Abwasserrinnen und einem undurchsichtigen Netz aus Trampelpfaden, die sich wie Adern immer feiner verästeln. Ein Labyrinth, wenige Kilometer südlich vom Zentrum Nairobis, das sich jeden Tag weiter ausdehnt. Eine gefräßige Krake, die alles verschlingt, was ihre Tentakel erreichen. Wie viele Menschen hier leben, weiß niemand genau. Die Schätzungen reichen von 200.000 bis zu einer Million. Nur wenige verlassen den Slum jemals wieder, aber jeden Tag wandern neue Glücksritter zu.
Sie alle träumen von Arbeit und einem besseren Leben und stranden in schäbigen Bruchbuden, für die Landlords, die das Gebiet unter sich aufgeteilt haben, üppige Mieten kassieren. Sie hausen jahrzehntelang in Staub, Schmutz und Armut und wollen am Ende doch alle nur eins: nach Hause. Zurück dorthin, wo Kenia weit und grün ist. Wo der Himmel sich bis zum Horizont spannt und die Menschen ihr eigenes Land besitzen. Sie sehnen sich danach, dahin zurückzukehren, woher sie gekommen sind und in ihrer Heimat ein Haus zu bauen.
Das ist auch Monicah Awinos größter Wunsch. Der Weg zu ihrer Wellblechhütte führt an dem Zeitungsleser vorbei über die Müllkippe. Ihre nackten Füße stecken in einfachen Gummisandalen. Doch mit traumwandlerischer Sicherheit setzt sie ihre Schritte immer genau zwischen Abfalltüten, Dreck haufen und Unrat. Monicah ist stolz. Gerade hat die „Bank of Trust“, die Vertrauens-Bank, ihr einen neuen Kredit gewährt: 50 Euro – weil sie ihre früheren Anleihen zuverlässig zurückgezahlt und die Treffen regelmäßig besucht hat.
Jeder Gang zur Toilette kostet Geld
Die 39-Jährige betreibt in Kibera einen kleinen Laden, genau genommen ist es eher ein Stand, an dem sie ihre Ware feilbietet. Das Angebot ist übersichtlich: Tomaten, Kartoffeln, Kohl, Holzkohle und selbst gemachte Pommes Frites, die in einem gusseisernen Topf über dem Feuer brutzeln. Jeden Morgen um 5.30 Uhr geht Monicah auf den Markt und kauft Ware ein. Tagsüber steht sie in dem Laden in ihrem Viertel und wartet auf Kundschaft. „Mein Mann wollte hierher, um Arbeit zu suchen“, sagt Monicah. „Zu Hause war das Leben billiger. Hier müssen wir für alles bezahlen – selbst wenn wir zur Toilette gehen.“ Sie spricht leise, manchmal lächelt sie verlegen.
Die offenkundige Armut, die durchgesessene Couch, aus der der Schaumstoff quillt, dass sie mit den vier Kindern in einem dunklen, fensterlosen Raum hausen, all das ist ihr unangenehm. Ihre wenigen Habseligkeiten baumeln in Plastiktüten an der Wand. An guten Tagen wirft der Laden 200 Schilling ab, das sind zwei Euro. Zusammen mit dem, was ihr Mann bei Gelegenheitsjobs verdient, kommen sie gerade so über die Runden. Aber allein die Miete für die Wellblechbude verschlingt jeden Monat 1500 Schilling, 15 Euro. Ein Kilo Mehl kostet 75 Cent, ein Kilo Gemüse 40 Cent.
Der Kleinkredit von der „Bank of Trust“ hilft ihnen, Durststrecken zu überwinden oder das Schulgeld für die Kinder zu bezahlen. Auch Douglas Yungo ist Mitglied der „Vertrauens-Bank“, die in Wahrheit kein Geldinstitut, sondern eine Gruppe von Kleinsparern ist. Mit ihrer Hilfe hat auch er einen Gemüseladen eröffnet – eine „Green Grocery“, wie er großspurig erklärt. Douglas spricht ganz gut Englisch. Es mangelt ihm nicht an Selbstbewusstsein. Er wirkt nicht sonderlich sympathisch, aber er ist clever. Neben Bananen, Tomaten, Kartoffeln und Kohl handelt er mit einem der kostbarsten Güter im Slum: Wasser.
Denn Wasserleitungen und Abwasserrohre existieren nur an den öffentlichen Toiletten. Jeden Liter, den die Leute zur Körperpflege, zum Kochen oder Waschen brauchen, müssen sie teuer bezahlen. Das Wasser zapfen sie aus großen Blechtanks, wie Douglas einen vor seiner Hütte aufgestellt hat. Gleich dahinter hat er seine neueste Geschäftsidee angeschlossen: das „Bad“, ein Wellblechverschlag mit Brause. Einmal duschen fünf Schilling. Auch das ist Kibera.
Vom Luxus einer Waschmaschine
Douglas ist ein Paradebeispiel für das, was die „Bank of Trust“ bewirkt. „Wir wollen den Menschen Selbstvertrauen vermitteln. Wir wollen ihre Eigenständigkeit fördern und weg von der Hilfsmentalität“, sagt Pater Jairo Alberto Franco. Deshalb haben er und seine Seminaristen die „Bank des Vertrauens“ ins Leben gerufen. Der 47-Jährige ist Yarumal-Missionar – eine 1927 in dem gleichnamigen Andenstädtchen in Kolumbien gegründete Gemeinschaft, die Erstevangelisierung und den Einsatz für die Armen zu ihren vorrangigen Aufgaben zählt. Seit 21 Jahren leben und arbeiten die Yarumals in Kibera.
Hier steht auch das Seminar für die Ordensanwärter: drei einfache Häuser, wie sie die „besser Verdienenden“ im Slum mieten. Die Seminaristen teilen sich die kleinen Zimmer, in denen sonst eine Familie wohnt. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftsduschen und -toiletten. Der offene Innenhof mit seinen an der Wand entlang laufenden Holzbänken dient als Esssaal. Weder Mauern noch Wachleute schirmen die Missionare von ihrer Umgebung ab. Außer einer Köchin haben sie kein Personal. Die jungen Männer erledigen die Hausarbeit selber. Der einzige „Luxus“, den sie sich darüber hinaus leisten, ist eine Waschmaschine – „weil das weniger Wasser verbraucht, als wenn jeder seine Kleidung von Hand wäscht“, erklärt Jairo Alberto.
Die komplette Reportage können Sie in kontinente 3/2015 lesen.