Kandhamals Christen leben in AngstWeder Regierung noch Justiz schützen die Christen im indischen Bundesstaat Odisha vor
gewaltbereiten Hindu-Fanatikern. „Nur Gott kann uns helfen“, sagen sie. |
Text: Stephan Baier, Foto: Andy Spyra
Die Christen im indischen Bundesstaat Odisha leben in Angst. Begonnen hat alles am Heiligen Abend des Jahres 2007. „Wir waren gerade in der Weihnachtsliturgie. Voll Angst rannten wir davon, und sie zerstörten unsere Kirche“, erzählt Kamal Kumaldinal aus Barakhama, einem christlich geprägten Dorf in Kandhamal.
Die Rechtlosigkeit bleibt
Mit Äxten und Gewehren stürmten die Hindu-Fanatiker die Dorfkirche, zündeten Häuser an und blockierten die Straßen mit gefällten Bäumen. Dann seien Polizisten gekommen und hätten den Mob noch ermutigt. 500 Wohnhäuser seien geplündert und verwüstet worden, eine alte Frau kam zu Tode. Die Dorfbewohner verbrachten drei Tage ohne Essen im Dschungel, bevor sie sich zurück ins Dorf wagten. Die größten Ausschreitungen sind vorüber, die Rechtlosigkeit bleibt. Und die Angst auch: „Sie können uns jederzeit attackieren. Aber wir sind bereit, unser Leben für Christus zu geben!“
„Wir kämpfen ums Überleben“
Die Christen in Kandhamal sind arm und ausgegrenzt: 55 Prozent gehören den Dalits an, den „Unberührbaren“, die übrigen 45 Prozent den Adivasi, indigenen Stämmen – sie alle stehen außerhalb des Kastensystems, das Indien prägt. Zweimal sei sein Dorf angegriffen worden, erzählt ein Mann im „St. Pauls Minor Seminary“. Ein Hindu-Fanatiker sei von einem herabfallenden Kreuz erschlagen worden, als er gerade die Kirche abfackelte. Daraufhin beschuldigten die Behörden die Christen, den Mann getötet zu haben. Einige wurden eingesperrt. „Wir verloren unsere Häuser und alles Eigentum. Viele Kinder gehen aus Angst nicht mehr zur Schule“, klagt er. „Wir kämpfen ums Überleben!“ Der Dorfsprecher macht aus seiner Verzweiflung keinen Hehl: „Diesmal haben sie unsere Häuser zerstört. Die können wir wieder aufbauen. Nächstes Mal werden sie uns töten.“ Die Attacken zwischen Dezember 2007 und August 2008 kosteten mehr als hundert Christen in der Region das Leben.
Der friedliche Schein trügt
Ähnliche Gewalttaten sind derzeit nicht wahrnehmbar, doch der friedliche Schein trügt: „Wenn wirklich Frieden wäre, müsste keiner von uns in Angst leben – doch das ist nicht der Fall.“ Immer wieder kommt es zu Übergriffen: Da werden christliche Frauen im Wald vergewaltigt, da werden Dorfbewohner zur „Rückkehr“ zum Hinduismus gezwungen, da werden Einzelne angegriffen und misshandelt. Shibani Behera nimmt sich der Vergewaltigungsopfer an. „Ein Hauptziel der Attacken war, Frauen und Mädchen zu vergewaltigen und damit zu entwürdigen“, sagt sie.
„Nur in Gott ist unsere Stärke“
Über holprige Straßen geht es durchs satte Grün der Kandhamal-Region. Die Kirche von Gunjibadi, einem kleinen katholischen Dorf, wurde 2008 niedergebrannt. Ein paar Kilometer weiter haben sich vertriebene Christen mehrerer Konfessionen eine Siedlung gebaut. Keine geteerte Straße führt hierher. „Verheißenes Land“ nennen sie ihre Siedlung, doch die meisten wollen zurück in ihre Dörfer. In ihrer „Union Church“ feiern Baptisten, Protestanten und Katholiken ihre Gottesdienste. Hier erzählt Ludiadigal, was sie 2008 erlebte: Ihr Mann, ein Pastor, war bei Bekannten, als 500 Hindu-Fanatiker den Ort stürmten. Als sie ihren Mann fanden, töteten sie ihn mit Äxten und Messern. Den Leichnam zündeten sie an. Viele Witwen hätten nicht einmal die Leiche ihres Mannes bekommen. „Niemand hilft uns. Nur in Gott ist unsere Stärke.“
Hotspot der Berufungen
Pittoresk wirkt das Dorf Tiangia, mitten im Dschungel, zwischen Seen und Reisfeldern. 170 katholische und 150 evangelische Familien leben in dieser zersiedelten Gemeinde mit 700 Hindu- Familien. Früher harmonisch, doch 2008 wurde das Dorf überfallen. Die Kirche wurde niedergebrannt, sieben Christen ermordet. „Auch die Verfolgung gehört zur Vorsehung, denn sie stärkt uns im Glauben“, sagt eine Frau, die mit dem Tod bedroht wurde, weil sie sich weigerte, zum Hinduismus überzutreten. Ihre Tochter trat ins Kloster ein. Sieben Priester und zehn Nonnen stammen aus Tiangia. „Hier ist ein Hotspot der Berufungen“, sagt Pater Manoj stolz. Viele Christen dieser Region sind überzeugt, dass die Gewalttäter von der Regierung nicht nur ermutigt, sondern auch bezahlt werden. Die Hindus kontrollieren die Wirtschaft, die Politik und fast alle Medien.
Ermordung des Hasspredigers
Und auch die Justiz, wie dieser Fall zeigt: Der seit Jahrzehnten von radikalen Hinduisten geschürte Hass gegen Christen eskalierte zu blutiger Gewalt, als der Hassprediger Swami Laxmanananda Saraswati im August 2008 ermordet wurde. Obwohl sich maoistische Terroristen zu der Tat bekannten, richteten sich die hinduistischen Racheakte gegen die Christen. Sieben arme christliche Männer wurden willkürlich verhaftet und sitzen seither für den Mord im Gefängnis. Ihre Frauen sind verzweifelt, wissen nicht, wie sie ihre Familien durchbringen sollen. Unter Tränen erzählt eine von ihnen, wie ihr Mann abgeführt wurde. Eine Mutter von fünf Kindern weiß, dass auch Kirchenvertreter, die sich für ein ordentliches Gerichtsverfahren einsetzen, in Schwierigkeiten geraten. „Seit damals haben wir Angst vor allen Hindus“, schluchzt eine Frau. Ob sie im Berufungsverfahren auf Gerechtigkeit zu hoffen wagt? „Nur Gott kann uns helfen!“, sagt sie.
Einsatz für die Opfer von Gewalttaten
Einen Anwalt können sich die Familien nicht leisten. Für ihre Anliegen kämpft ein Priester der Diözese Bhubaneswar, der Jurist ist und als Rechtsanwalt am Hohen Gerichtshof zugelassen, Dibakar Parichha. Er und seine Mitstreiter in der „Citizen for Human Dignity & Developement Alliance“ (CHDDA) setzen sich für die Opfer von Gewalttaten ein und appellierten für die unschuldig Inhaftierten an die nächste Instanz. Mehr als 500 Übergriffe gegen Christen hat Parichha seit Beginn der Regierung von Narendra Modi registriert. Dazu zählen „Re-Konversionen“, bei denen Christen gezwungen werden, ihre Bibel zu verbrennen, Kuhdung zu trinken und sich zum Hinduismus zu bekennen. „Die gewalttätigen Gruppen fühlen sich durch die Modi-Regierung ermutigt“, sagt der Priester. „Sie wissen, dass sie alles machen können, weil ihnen nichts passieren wird.“ Die CHDDA, die von missio unterstützt wird, präsentiert eine erschütternde Statistik: 450 Dörfer seien von Hindu-Fanatikern angegriffen worden, dabei wurden 5600 Häuser, 395 Gebetsstätten und 42 Schulen zerstört. 28000 Christen leben bis heute in Flüchtlingslagern, weil sie nicht mehr in ihre Dörfer zurückkehren können. CHDDA bildet Dorfsprecher, Menschenrechtler und Rechtsberater aus, um die christliche Minderheit in ihren Rechten zu stärken. Das ist im Odisha-Staat doppelt schwer, denn alle Christen sind Dalits oder Adivasi.
Modi will einen Hindu-Staat
„Die höheren Kasten verfolgen uns mit Leidenschaft“, sagt Ajaya Kumar Singh. Der unerschrockene Priester leitet das „Odisha Forum for Social Action“ (Orosa) und ist mit hinduistischen Menschenrechtsaktivisten gut vernetzt. „Angehörige niedriger Kasten werden vielfach nicht als gleichwertige Menschen betrachtet“, meint eine Orosa-Managerin. Ein hinduistischer Menschenrechtsaktivist berichtet, er werde bedroht, weil er mit Christen zusammenarbeitet. Zu den radikalen Hinduisten zählt er nur fünf bis 15 Prozent der Hindus: „Die Zahl der Gemäßigten ist viel größer, aber sie sind zersplittert.“ Dass sich die Fanatiker seit Modis Amtsantritt sicherer fühlen, habe einen Grund: Modis Regierungspartei BJP sei eine „Nazi-Partei“, die den säkularen Charakter Indiens abschaffen wolle. Indien solle zum Hindu-Staat werden. Pater Ajaya kann das belegen: In Odisha habe es seit 1967 ein Gesetz gegen Konversionen gegeben, „aber 40 Jahre lang gab es nicht eine Verurteilung aufgrund dieses Gesetzes – bis 2008“. Jetzt richte es sich gegen die christliche Mission, weil die hinter der Regierungspartei stehenden Ideologen glaubten, dass die christliche Mission den Charakter Indiens zerstöre. Die Adivasi dagegen seien den Missionaren dankbar, „denn erst die Christen ermöglichten ihnen Zugang zu Bildung“.
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