72 Stunden in KadunaEntführungen, Überfälle und gewalttätige Konflikte zwischen Hirten und Bauern: Für die Menschen inKaduna gehört das zum Alltag. Die interreligiöse Fraueninitiative „Women’s Interfaith Council“ will der Gewalt nicht länger zuschauen. Drei Tage in einem der Krisenhotspots Nigerias. |
Text: Bettina Tiburzy, Fotos: Hartmut Schwarzbach
missio-Referentin Bettina Tiburzy und Fotograf Hartmut Schwarzbach haben sich in die krisengeschüttelte Region Kaduna gewagt und die angespannte Atmosphäre dort hautnah erlebt. Sie haben mit Menschen gesprochen, die viel verloren haben, und mit Frauen, die sich mit großem Mut und viel Engagement für den Frieden einsetzen. Ihre Eindrücke schildern sie in einem Reisetagebuch.
23. November 2019 – 15:25 Uhr
Zugfahrt
„Nach Kaduna? Nehmt bloß nicht das Auto!“, hatte ein Kollege gewarnt. An der Straße von Nigerias Hauptstadt Abuja in die Stadt des gleichnamigen Bundesstaates Kaduna lauern kriminelle Banden. Fast täglich berichten Medien von Entführungen. Aber er hatte auch darüber gesprochen, wie beeindruckend er die Fraueninitiative in Kaduna fand. Wir nehmen den Zug. Im vollbesetzten Abteil rollen wir gen Nor- den. Eine neue Strecke, 186 Kilometer, von Chinesen gebaut. Moderne Züge, fast ausgestattet wie deutsche ICEs, nur dass in jedem ein Polizist mit Gewehr mitfährt. Die Tickets sind begehrt. Alle, die es sich leisten können, fahren Zug.
23.11.2019 – 17:00 Uhr
Ankunft Kaduna
Wir kommen in Kaduna an. Schwester Veronica Onyeanisi von der Fraueninitiative wartet schon. Warmes Lachen. Herzliche Umarmung. Sie macht uns mit unserem Übersetzer Philip Arage bekannt, ein älterer Herr mit ruhiger Ausstrahlung. Er schnappt sich unser Gepäck und bugsiert es durch das Gedränge am Bahnhof zu einem Kleinbus. Daneben steht ein Mann, schwarz gekleidet. Vor der Brust trägt er ein großes automatisches Gewehr. Der Mann steigt in ein Polizeiauto und schaltet die Sirene ein. Schwester Veronica setzt sich ans Steuer des Busses und folgt. Uns dämmert: Das ist unser Begleitschutz.
Bevor es zu unserer Unterkunft geht, fahren wir zum Büro des Women’s Interfaith Council. Die Initiative, kurz „WIC“, bietet ein umfangreiches Programm für Frauen und Jugendliche, um Gewalt zu verhindern. 23 Frauenverbände haben sich im WIC zusammengeschlossen, insgesamt 12 650 Christinnen und Musliminnen. Wir werden von zwei Dutzend empfangen. Ich erkläre, warum wir gekommen sind. Wir wollen zeigen, wie WIC hilft.
24.11.2019 – 9:00 Uhr
Rahila Godwin
Mit einer Machete schlugen sie auf Rahila ein, verletzten ihr Gesicht. Sie verlor ihren Unterarm. Peace trafen sie am Kopf. Sie töteten Rahilas blinde Mutter, auch die Schwiegermutter. Rahila war schwanger, das Kind hat sie verloren. Peace isst einen Keks, den ihr Schwester Veronica gegeben hat. Das Mädchen blickt ins Leere, kein Lachen, nichts.
24.11.2019 – 11:06 Uhr
Moscheebesuch
Treffen mit einem islamischen Frauenverband. Sie gehören zu WIC. Ich dachte, wir treffen sie in einem Büro, aber wir finden uns in einer Moschee mit mehreren hundert muslimischen Frauen wieder. Sie sitzen im Gebetsraum auf dem Boden. Ein Meer von blau-weißen Gewändern und Kopftüchern. Schwester Veronica tritt ans Rednerpult. Eine Ordensfrau, die in einer Moschee spricht: ein ungewöhnliches Bild. „Wir sind eine Familie. Es ist wunderbar hier zu sein“, sagt sie. Laute Zustimmung von den Zuhörerinnen. „Wir brauchen Frieden in unserer Gesellschaft. Wenn es keinen Frieden gibt, gibt es kein Leben. Wir sind alle Mütter. Und Mütter sind Friedensstifterinnen, schon in ihrem Zuhause.“ Nach der Veranstaltung stehen die Frauen noch länger in Gruppen draußen zusammen. Sie lachen, tauschen sich aus, machen Selfies mit dem Smartphone. Einfach ein schönes Bild. Auch das ist Nigeria.
24.11.2019 – 12:52 Uhr
Überfallopfer
Wir besuchen Monica Musa. Die 57-jährige Witwe verlor ihren Sohn bei einem Entführungsversuch. Nasiru Isaac Musa war ihr Ältester, Ernährer der Familie. Der 31-Jährige wollte seine Schwester in der Stadt Jos besuchen. Er kam nie an. Die Familie suchte. Tagelang. Auf einer Polizeiwache erfuhren sie dann, dass er tot ist. Erschossen. Ein Entführungsversuch, der gar nicht ihm galt.
Was genau geschah, wird Monica Musa wohl nie erfahren. Die Polizisten zeigten ihr Fotos ihres Sohnes, gaben ihr den Polizeibericht. Den hält sie fest in den Händen. Es ist das einzige offizielle Schreiben, das den Tod ihres Sohnes dokumentiert. Monica Musa zeigt uns Bilder von ihm. Ein kleiner Junge auf einem Holzpferd. Nasiru als junger Mann, stolz mit seinem Universitätsabschluss. Schließlich ihr Sohn ausgestreckt auf einer weißen Bahre im hohen Gras, die Augen geschlossen.
Nach dem Tod ihres Sohnes kamen Frauen von WIC zu ihr. Einander beistehen, Trost spenden, dafür stehen sie ein. Auch Monica Musa macht mit bei den „Müttern für den Frieden“. „Alles wofür wir uns einsetzen, ist Frieden“, sagt sie. Und nach einer Pause: „Wir brauchen ein vergebendes Herz.“
Weltmissionssonntag im Oktober
Unter dem Leitwort Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun lenkt missio Aachen im Oktober den Blick auf Nigeria. Die Menschen hier leiden unter Armut, islamistischem Terror und zahlreichen Konflikten, die sich in oft in Gewalt entladen. Die katholische Kirche mit ihrer interreligiösen Friedensarbeit setzt sich für ein harmonisches Zusammenleben der Menschen ein.
Am Weltmissionssonntag sammeln mehr als 100 päpstliche Missionswerke Spenden für die ärmsten Diözesen der Welt. Kirchliche Arbeit wie im Norden Nigerias ist nur dank der Solidarität der Katholiken weltweit möglich.
Weitere Infos zum Weltmissionssonntag 2021.
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Der Film erzählt von Schwester Marie Catherine im Niger, die zur Versöhnung von Muslimen und Christen im ärmsten Land der Welt beiträgt. |
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