Nazareth bringt uns zusammenEine Christin und eine Muslime einträchtig Seite an Seite – gerade in Israel ist das nicht selbstverständlich.
Weil die Beziehungen zwischen den Religionen so angespannt sind, sucht die Salvatorschule den Frieden. |
Text: Jobst Rüthers; Fotos: Kathrin Harms
Nayroz und Roaa leben in einem zerissenen Land. Die beiden 17-Jährigen sind aufgewachsen mit der ständigen Angst vor Autobomben, Attentaten oder Krieg. Sie fürchten, dass der Konflikt eskaliert. „In Israel gibt es Menschen, die nicht wollen, dass die Konflikte enden”, sagt Nayroz, die Christin. Ihre Freundin Roaa ist Muslima und überzeugt: „Nur wenn wir akzeptieren, dass wir mit unterschiedlichen Religionen die gleichen Rechte und Pflichten haben, können wir die Konflikte beenden.“ In Israel liegen Israelis und Palästinenser miteinander im Streit, aber auch Juden, Christen und Muslime. Juden, die seit ihrer Geburt in dem 1948 gegründeten Staat leben oder aus aller Welt eingewandert sind, befinden sich im Dauerkonflikt mit Arabern – Muslimen wie Christen –, die ebenfalls schon immer auf diesem Boden leben. Die Lage ist verworren und eine Lösung zur Zeit nicht absehbar.
Nayroz Daoud und Roaa Khatib leben in Nazareth im Norden Israels. Beide besuchen die Salavatorschule, eine von der internationalen Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen geführten Schule. Die Schule wirbt mit dem Slogan „Lernziel Frieden“ – hier lernen Christen und Muslime gemeinsam. Die rund 1500 Schüler und Schülerinnen üben täglich Werte wie Offenheit, religiöse Toleranz und Wertschätzung gegenüber dem anderen – alle sollen als Bürger Israels zum Frieden beitragen. Roaa, Nayroz und ihre Freundin Celine schätzen den besonderen Charakter der Ordensschule. Alle Altersgruppen ab dem Kindergarten sind hier vertreten, entsprechend lebendig geht es in Klassenzimmern, Fluren und auf dem Schulhof zu. Der Unterricht ist nach Aussagen von Schülern interessant und die Erfolgsaussichten sind hoch, immerhin absolvieren hier 95 Prozent aller Schüler das Abitur. Auf den staatlichen Schulen gelingt dies nur 57 Prozent, und Schüler, die die Schule ohne Abitur verlassen, stehen in Israel vor dem Nichts.
Mehr als nur Unterricht
85 Prozent der Schüler sind Christen, 15 Prozent sind Muslime. Auch unter den Lehrern und weiteren Mitarbeitern sind sowohl Christen als auch Muslime. Neben dem Unterricht gibt es zahlreiche zusätzliche Aktivitäten, die den Schülern angeboten werden – sportliche und musische, religiöse und soziale. Da in vielen Familien beide Eltern berufstätig sind, ist die Schule täglich von sieben bis 20 Uhr geöffnet und die Schüler sind eingeladen, auch nach dem Unterrichtsschluss ihre Zeit betreut und aktiv auf dem Schulgelände zu verbringen. Im kleinen Land Israel, das über wenige Rohstoffe verfügt und zu weiten Teilen aus Wüste besteht, ist Bildung ein hohes Gut. Erfindergeist und technischer Fortschritt, wohl auch in der Rüstungsindustrie, haben das Land zu einem industriellen Vorzeigeland gemacht. Deshalb werden an der Salvatorschule auch Mädchen besonders motiviert, technische Fächer zu belegen. Anders als an vielen staatlichen Schulen ist es der Ordensschule ein wichtiges Anliegen, leistungsschwache Kinder zu fördern. 130 Schüler mit ausgeprägten Lernschwierigkeiten wie ADHS werden derzeit zum Schulabschluss und möglichst zum Abitur geführt. Direktor Awni Batish macht dabei gute Erfahrungen: „Mit einer professionellen und intensiven Begleitung schaffen wir es, die Schwachen zu fördern.“
Der Sinn von Schuluniformen
Für Schwester Klara Berchtold, die die Interessen ihres Ordens an der Schule vertritt, ist wichtig, dass kein Schüler wegen finanzieller Probleme abgewiesen wird. Ein Drittel aller Eltern ist nicht in der Lage, das Schulgeld teilweise oder ganz zu zahlen. Schule und Ordensgemeinschaft unterstützen die Aufnahme wirtschaftlich schlecht gestellter Schüler. Eine soziale Funktion hat auch die Schuluniform – sie ist für alle verpflichtend, damit finanzielle und religiöse Unterschiede nicht in der Kleidung der Kinder sichtbar werden. Für Rana Daoud, Mutter von Nayroz, war dieses soziale Profil ein wesentlicher Grund, ihre Tochter an der Salvatorschule anzumelden. So gebe es an der Schule Drusen – eine in Israel ausgegrenzte Minderheit, die zumeist verarmt ist – ohne dass diese Kinder durch ihre Kleidung auffielen. „Das Zusammenleben und den Respekt voreinander lernen die Schüler nicht durch Vorträge, sondern durch das tägliche Miteinander“, so Rana Daoud.
Zum Anspruch von Schwester Klara Berchtold gehört, Schüler mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen zu integrieren. „Derzeit haben wie drei Schüler mit Behinderungen. Integration gelingt umso besser, je früher die Kinder zu uns kommen und in die Schulgemeinschaft reinwachsen.“ In diesen Wochen mache eine ehemalige Schülerin ihren Abschluss an der Universität, die von ihren Eltern wegen ihrer Kleinwüchsigkeit jahrelang versteckt worden sei. Heute sei sie eine selbstbewusste junge Frau, die nun beruflich Karriere machen möchte, berichtet Schwester Klara.
Die Ordensfrau ist stolz darauf, dass viele Schüler freiwillig Gemeinschaftsaufgaben an der Schule übernehmen, nur so könne eine Schule mit 1500 Kindern funktionieren. Es sei selbstverständlich, dass die älteren den jüngeren Schülern helfen. In den Klassen zehn und elf – die auch Roaa, Celine und Nayroz besuchen – ist ein Sozialdienst für alle Schüler verpflichtend, der in umliegenden sozialen Einrichtungen absolviert wird.
Celine, Nayroz und Roaa haben gemeinsam ihre Leidenschaft für Politik entdeckt. Während andere Schüler in dem Alter den Geschichtsuntericht am liebsten schwänzen, gehören Politik und Geschichte zu den Lieblingsfächern der drei Freundinnen. Von der Schule ausdrücklich unterstützt, haben Celine, Nayroz und Roaa wiederholt als Freiwillige an internationalen Planspielen teilgenommen, in denen junge Menschen aus aller Welt Konferenzen der Vereinten Nationen simuliert haben. Internationale Konflikte wurden durchgespielt, in Rollenspielen wurden Positionen und Argumente ausgetauscht und spielerisch nach Lösungen gesucht. Nayroz hat gelernt, dass es gut ist, die Kultur, Religion und politische Idee des Anderen zu verstehen, um miteinander Konflikte bewältigen zu können. Bei Schulausflügen der Salvatorschule ist es selbstverständlich, dass Ausflüge nicht nur zu den Stätten der christlichen, sondern auch der jüdischen und islamischen Religionen gemacht werden. Brechen aktuelle Konflikte zwischen den Religionen in Israel aus, werden diese im Unterricht angesprochen. Es ist nicht üblich, dass in Israel Juden, Christen und Muslime miteinander reden, sagt Schuldirektor Awni Batish, stattdessen werde schlecht übereinander gesprochen. Die Araber werfen den Juden vor, ihnen ihr Land weggenommen zu haben; die Juden dagegen sagen, das Land Israel sei ihnen versprochen worden, man habe es sich deshalb genommen und würde nun bekämpft. „Die Menschen haben immer nur eine Sichtweise“, klagt Awni Batish, „jeder sieht nur seine und kennt die Perspektive des anderen nicht.“
Den Frieden üben
Für den Schulleiter und Vater von drei Kindern ist die Friedenserziehung deshalb ein besonders wichtiges Anliegen. „Unsere Schüler sollen Botschafter des Friedens sein. Wenn wir in Israel nicht lernen, miteinander zu leben, werden wir miteinander hängen. Eine Zukunft ohne Frieden ist keine.“ Bis dahin sei es ein langer Weg, so Batish, aber es sei der einzig mögliche. Er ist zuversichtlich: „Wenn wir die Kinder zu Toleranz und gegenseitigem Respekt erziehen, gewinnen wir eine Generation, die das Land weiterentwickeln wird.” Batish, der im ersten Berufsleben Computer-Ingenieur war, glaubt an die Kraft der Erziehung: „Wir haben an der Salvatorschule mit jedem Schüler und jeder Schülerin 14 Jahre Zeit. Jeden Tag viele Stunden, um mit den Kindern die richtigen Dinge einzuüben.“ Der 51-Jährige ist überzeugt: „Salavtorschüler werden nicht zu den zukünftigen Kämpfern und Bombenbauern gehören. Von meinen Schülern wird sicher keiner ein Radikaler.“
Massiv unter Druck
Ungemach droht derzeit von ganz anderer Seite. Die Salvatorschule ist eine von 47 kirchlichen Privatschulen in Israel. Nicht überall im Land gibt es christliche Schulangebote, aber im Norden rund um Nazareth sind es einige – es ist die Region Galiläa, in der Jesus aufwuchs und zur Schule ging. Als wäre nicht genug Unruhe im Land, fühlen sich viele Schüler, Eltern und Lehrer durch die staatliche Schulpolitik massiv unter Druck gesetzt. Seit mittlerweile zwei Jahren kämpfen die privaten Schulen um ihre wirtschaftliche Zukunft. Zuerst waren die staatlichen Zuschüsse in den vergangenen sechs Jahren um fast die Hälfte reduziert worden. Dann hat das Bildungsministerium eine Nachzahlung von umgerechnet mehr als elf Millionen Euro zugesagt – aber bis heute nur einen kleinen Teil davon ausgezahlt. Zugleich hat der Staat die Möglichkeit eingeschränkt, Schulgeld von den Eltern zu erheben. 33000 Schülern und ihren Eltern sowie 3000 Lehrern droht nun „der finanzielle Kollaps“, wie es in einer Mitteilung des römisch-katholischen Patriarchats von Jerusalem heißt. Schwester Klara Berchtold versetzt das in große Sorge: „Die wollen unsere Präsenz nicht mehr“, vermutet sie. Der Staat habe nicht nur drastisch die Zuschüsse reduziert, sondern suche auch nach größeren Einflussmöglichkeiten. Sie vermutet, dass die privaten christlichen Schulen langfristig in öffentliche Schulen umgewandelt werden sollen, um die Kontrolle über den Lehrplan, das Lehrpersonal und die Gebäude zu übernehmen. Aus Protest gegen die staatliche Gängelung haben die christlichen Schulen in 2015 einen 28-tägigen Streik durchgeführt. Einer Lösung sind die Konfliktparteien bis heute nicht näher gekommen.Während Privatschulen der ultraorthodoxen Juden zu 100 Prozent gefördert werden, bekommen die christlichen Schulen derzeit nur 29 Prozent ihrer Unkosten vom Staat ersetzt. Awni Bathish, Direktor der Salvatorschule, befürchtet schwerwiegende Konsequenzen für das religiöse Leben in Israel: „Wenn die Christen keine eigenen Schulen mehr haben, werden sie das Land verlassen, weil religiöse Erziehung zu ihrer Identität gehört.“
Christliches erlebbar machen
Seit fast 30 Jahren lebt Schwester Klara Berchtold in Nazareth. Alle Krisen in Israel haben sie nicht zurück nach Deutschland treiben können. Die fast 80-Jährige vertritt den Schulträger vor Ort, die Schulleitung liegt schon seit Jahren in den Händen von Laien. Aber mit fünf Ordensschwestern, drei davon in der Schulpastoral, sind die Schwestern ansprechbar für die Schüler. „Es kann nicht mehr die Aufgabe für Ordensleute sein, die Leitung wahrzunehmen. Wir haben ein anderes Charisma“, betont Klara Berchtold. Das Christliche erlebbar machen. Das Soziale fördern. Frieden stiften. Sie sagt: „Ich bete jede Nacht dafür, dass die Konflikte in Israel enden.“
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