Mahnwache der Gerechten Seit vier Jahren fechten Bauern in Guatemala einen ungleichen Kampf gegen die Betreiber
einer Goldmine aus. Mit Hilfe von Ordensfrauen prangern sie Ungerechtigkeit und
Umweltverschmutzung an. Ein Gerichtsurteil hat ihnen Recht gegeben, aber die Lage bleibt ernst. |
Von Sandra Weiss (Text) und Florian Kopp (Fotos)
Neuerdings schreckt Berta Valencia nachts aus dem Schlaf und weiß nicht so recht, warum. Vielleicht sind es die grellen Scheinwerfer der neuen Goldmine, die sie von ihrer Terrasse aus sehen kann. Vielleicht ist es einer der riesigen Lkw, die vor ihrem Haus vorbeidonnern und eine Staubwolke aufwirbeln, die sich anschließend wie ein gespenstischer, grauer Schleier auf Dächer und Bäume legt. Vielleicht sind es auch die Erinnerungen an den 23. Mai 2014, als mehrere Hundertschaften der Polizei Berta und die anderen Dorfbewohner stundenlang mit Tränengasbomben bewarfen und mit Schlagstöcken traktierten, bis sie endlich den Weg zur Mine freigaben. Seither schmerzt ihre Schulter. Es gibt ein Foto von Berta im Widerstand, wie sie mit ihren 72 Jahren und dem zu Zöpfen gebundenen, wei-ßen Haar auf der staubigen Piste liegt. Neben ihr ein hölzerner Marienschrein, und nur ein paar Armlängen entfernt die schwarzgekleideten Polizisten mit Schutzschildern, Helmen und Schlagstöcken. Zu dem Zeitpunkt war „La Puya“, wie die Wegkreuzung zur Mine heißt, schon längst in die Geschichte Guatemalas eingegangen: als das erste, friedliche Widerstandscamp der Bevölkerung gegen ein Bergbauprojekt.
Dicht neben Berta lagen die anderen: Bauern mit wettergegerbten Gesichtern, Frauen, Teenager. Sie beteten den Rosenkranz, sprachen von der Be- wahrung der Schöpfung und sangen christliche Lieder. Die Antwort waren Tränengasbomben, Steine und Schläge. Ihr Widerstand war ein Affront für den damaligen Präsidenten, General a.D. Otto Pérez, und dessen Militärbündnis, die in das Bergbauprojekt investiert hatten. 200 Meter oberhalb des Schlachtfelds versorgte Schwester Dani Brought vom Orden der Anbeterinnen des Blutes Christi die Verletzten, rief die Nationale Menschenrechtskommission und die Presse herbei. „Die Polizei ließ nicht einmal Krankenwagen durch“, erinnert sich die 58-Jährige mit Tränen in den Augen. Fast acht Stunden dauerte die ungleiche Schlacht. Dann war der Weg zur Mine frei.
Hochgiftige Schwermetalle
Doch die Bauernfamilien aus den umliegenden Dörfern ließen nicht locker. Bis heute wechseln sie sich bei den 24-stündigen Wachen an der Straßenkreuzung nördlich von Guatemala-Stadt ab. Aus der Blockade wurde eine Mahnwache. Ein lebendes Mahnmal vor dem Tor eines Großprojekts, zu dem sie nie befragt wurden und von dem sie nur deshalb erfuhren, weil die Missionarinnen zufällig auf einen Zeitungsartikel gestoßen waren.
Schwester Dani wurde sofort hellhörig. Eine Goldmine in Guatemala verheißt nichts Gutes. Umweltauflagen sind in dem mittelamerikanischen Landpraktisch inexistent, und die beim Goldschürfen im Tagebau eingesetzten Schwermetalle wie Quecksilber, Zyanid, Arsen und Blei hoch giftig. „Eine solche Mine könnte unsere ganze Arbeit zunichte machen“, sagt die gelernte Krankenschwester, eine der Pionierinnen des Gesundheitswesens in der Region. In 20 Jahren mühsamer Arbeit haben die Ordensfrauen ein Netz aus Kliniken und Volksapotheken in dieser ärmlichen, ländlichen Gegend aufgebaut, in der der Staat kaum präsent ist. Mickrige 260 US-Dollar pro Kopf gibt die Regierung jährlich für Gesundheit aus, und nur ein Viertel der Bevölkerung hat überhaupt Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Fast zwei Drittel aller Kinder der Region sind unterernährt, 30 von 1000 sterben, bevor sie das erste Lebensjahr erreicht haben.
Großer Wassermangel
Diese Zahlen haben die Schwestern alarmiert: Sie gehen an Schulen und klären über richtige Ernährung und Hygienemaßnahmen auf, verteilen Vitamine, Medikamente und betreuen pro Jahr knapp 20.000 Patienten in ihren fünf Gesundheitszentren. Die Lage für die Bevölkerung hat sich seither spürbar verbessert. Unterernährung und Kindersterblichkeit sind zurückgegangen. Seit neuestem gehört auch der Umweltschutz zu ihrem Anliegen, unter anderem ein Wiederaufforstungsprogramm. Denn das Hauptproblem in dieser Region, dem sogenannten „Trockenkorridor“, ist Wassermangel. In umliegenden Dörfern kam es deshalb schon zu Konflikten. Brought findet das Minenprojekt aus diesem Grund unverantwortlich: „Eine Mine braucht Millionen Liter Wasser, um das Gold aus dem Gestein zu lösen“, erklärt sie.
Gelernt hat sie das von Minenexperten wie Magaly Rey Rosa, der Gründerin der Umweltschutzorganisation Madre Selva. „Das Problem in Guatemala ist, dass dir niemand die Wahrheit über solche Projekte sagt“, erklärt die Aktivistin. Auch über die Mine in La Puya ist wenig bekannt: 2011 erhielt der kanadische Konzern Radius Explorations die Konzession vom Bergbau- und Erdölministerium, in Kooperation mit der guatemaltekischen Bergbaufirma Exmingua, die von Ex-Militärs betrieben wird. Es ist eine von zwölf in der Region und Teil des riesigen Minenprojektes El Tambor mitten im Trockenkorridor. Deshalb gilt dort eigentlich ein Moratorium, wie das Bergbauministerium einräumte – ohne jemals zu erklären, warum dagegen verstoßen wurde. Nach dem anfänglichen Widerstand der Bevölkerung verkauften die Kanadier ihren Anteil an die US-Firma KCA. Die versuchte auf Biegen und Brechen, den Baubeginn durchzusetzen.
Ein erster Räumungsversuch scheiterte. Das ist vor allem Bertas Sohn Alvaro Sandóval zu verdanken. „Ich war früher Polizist und weiß, wie die funktionieren“, schmunzelt der 51-Jährige. Er schickte die Frauen an die Front. Sie dürfen laut Gesetz nur von Frauen angefasst werden. „Die Polizei hatte keine dabei. Also versuchte sie es mit Tränengas“, erzählt Sandóval. Er wies die Frauen an, sich auf den Boden zu legen. Die Bomben flogen über sie weg; in Bodennähe konnten die Frauen atmen. Der friedliche Widerstand verwirrte die Polizei, die auf gewaltsame Zusammenstöße eingestellt war. Die Räumung scheiterte, die Bauern feierten: Wenn ein Projekt zwölf Monate nach Konzessionsvergabe nicht in Betrieb geht, gilt die Konzession laut Gesetz als erloschen. Doch Papier ist geduldig, und Tatsachen schaffen in Guatemala die Mächtigen.
Diese Lehre hat sich Alvaro ins Gedächtnis gebrannt. Er erinnert sich an jedes Datum, jedes Detail dieses Konflikts. Über eine Stunde braucht er, bis er die Geschichte komplett erzählt hat. Es ist die Geschichte eines ungleichen Kampfes, voller Finten und Betrug. Die Geschichte von einem Staat, der Neutralität simuliert, sich aber stets auf die Seite der Reichen und Mächtigen schlägt. Anschließend geht Alvaro Brennholz hacken. „Da drüben“, sagt er, wischt sich den Schweiß von der Stirn und zeigt auf ein Terrain auf der anderen Seite der Schlucht, „da weideten früher meine Kühe.“ Jetzt hat die Mine die frühere Gemeinschaftsweide eingezäunt. 20 Quadratkilometer hat ihr der Staat auf 25 Jahre verpachtet. Zurückbleiben wird eine vegetationslose, vergiftete Mondlandschaft.
Schweigend packt Alvaro seine Sachen zusammen und fährt mit seinem altersschwachen Pickup und den beiden jüngsten Söhnen Alvarito und Julio nach La Puya. Wie viele Nächte er schon dort verbracht hat? Alvaro muss lächeln. „Theoretisch sind wir alle sieben Tage dran, aber ich war viel öfter dort“, sagt er. Weil er einer der Anführer des Widerstands ist, muss er oft Dinge regeln, Gemüter beschwichtigen, ausländische Solidaritätsgäste empfangen, Prozesse begleiten. La Puya ist inzwischen eine Referenz des Widerstands gegen Bergbauprojekte, nicht zuletzt wegen der unermüdlichen Netzwerkarbeit von Schwester Dani, die vor allem die Kontakte in ihre US-Heimat pflegt. Trotzdem ist es nicht einfach, die Bewegung zusammenzuhalten.
Immer wieder Machtkämpfe
Ermüdungserscheinungen, wirtschaftliche Nöte, interne Streitigkeiten – all das kennt Alvaro nur zu gut. „Aufgeben ist keine Alternative“, sagt er, und rattert vorbei am Wachposten der Polizei, der keine 100 Meter oberhalb des Widerstandscamps liegt. Heute sind dort nur drei schwarze Pickups und rund ein Dutzend Polizisten. Junge Männer, viele mit indigenen Gesichtszügen, einfache Menschen wie die Widerständler aus La Puya. Schlecht bezahlt, von der Gesellschaft als korrupte Schlägertruppe verachtet. Guatemalas Elite hat es schon im Bürgerkrieg (1960-1996) verstanden, die Bevölkerung zu spalten. Doch heute ist es friedlich. Blockiert wird der Verkehr kaum noch – nur, wenn die Firma neue Maschinen aufs Gelände bringen will. Dann kommt es jedes Mal aufs Neue zu einem kleinen Machtkampf „Manchmal siegen sie, manchmal wir“, erzählt Alvaro. Vor einigen Wochen musste ein Sattelschlepper den Rückwärtsgang einlegen. Danach sahen die Widerständler, wie ein Hubschrauber mehrfach hin- und herflog. Eine Zermürbungstaktik.
Alvaro kennt das inzwischen. Er ruht sich in einer Hängematte aus, seine Jungs spielen Fußball. Schwester Dani begleitet die Anwesenden mit einem Gebet. Die Frauen kochen auf offenem Feuer Reis und Bohnen, ein paar Männer haben Gitarren mitgebracht und singen selbst komponierte Widerstandslieder. Dann gibt es kein Benzin mehr im Generator, und es wird stockfinster. Die Nacht ist heiß, staubig und laut. Alvaro döst mehr, denn er schläft. Er schreckt bei jedem herannahenden Motor auf. Doch es sind meist Pick-ups von Bauern, ein paar Kleinbusse oder Lieferwagen.
Kurz vor vier Uhr morgens nähert sich mit dumpfem Grummeln ein großer Laster. „Der fährt zur Mine, aber er ist leer“, kann Alvaro per Gehör feststellen. Die Widerständler lassen ihn durch, werfen dem Fahrer nur ein paar kritische Blicke zu. Noch vor dem Morgengrauen muss Alvaro zurück. Heute hat er einen Gerichtstermin in der Stadt, einige der Bauern haben zum Teil absurde Prozesse laufen, wegen Waffenbesitzes, Aggression gegen die Staatsgewalt oder sonstigen Delikten, die sich Polizisten und Bergbaugesellschaft ausgedacht haben.
Einsatz für die Enkel
Als er zu Hause ankommt, fegt seine Mutter den Hof, barfuß, wie sie es ge-wohnt ist. Dann sieht sie nach den Hühnern und geht Mais mahlen. Aus dem weißen Teig wird sie später würzige Tortilla-Fladen backen. „Bohnen habe ich leider keine“, sagt sie entschuldigend. Die sind eingegangen, denn seit zwei Wochen kommt in der ganzen Gemeinde kein Tropfen Wasser mehr aus dem Hahn. Warum, weiß keiner. „Vielleicht hat uns die Mine das Wasser abgegraben, vielleicht hat es uns auch der Bürgermeister abgedreht, um uns zu bestrafen“, vermutet Alvaro. Der Bürgermeister, auch so eine Enttäuschung. Im Wahlkampf hatte er sich auf die Seite der Minengegner gestellt. Kaum im Amt, wechselte er die Seite.
In Guatemala legen die Mächtigen keine Rechenschaft ab, und wer zu aufmüpfig ist, riskiert sein Leben. Auf eine der Anführerinnen des Widerstands wurde ein Attentat verübt. Yolanda Oqueli überlebte wie durch ein Wunder. Auch Alvaro hat zahlreiche Drohungen erhalten. Inzwischen geht er nur noch an sein Mobiltelefon, wenn er die Nummer des Anrufers identifiziert. Am anderen Ende der Strippe ist Schwester Dani. Sie bespricht mit Alvaro die nächsten Schritte. Die Gemeinde hat es geschafft, eine vorläufige Aussetzung der Bergbauaktivitäten rechtlich zu erstreiten. Doch die Firma hat die Mine schon nach 40 Stunden widerrechtlich wieder in Betrieb genommen. Für Berta und Alvaro geht es aber längst nicht mehr nur um die Mine. Sie wollen ein Zeichen setzen, dass sich die Armen nicht mehr alles gefallen lassen müssen „Ich habe mein Leben fast hinter mir“, sagt die alte Dame. „Das hier mache ich für meine Enkel.“ Und für etwas mehr Gerechtigkeit in Guatemala.