Gestrandet in ThailandTausende Flüchtlinge aus Pakistan, dem Irak und Syrien leben verstreut im Großstadtdschungel
Bangkoks. Ohne Arbeit, ohne Rechte, ohne Sicherheit. Bleiben dürfen sie nicht.
Die Jesuiten stehen ihnen mit ihrem Flüchtlingsdienst beratend zur Seite. |
Von Eva-Maria Werner (Text) und Fritz Stark (Fotos)
Basima Salim* ringt um Fassung. Sie atmet tief ein und ganz schnell wieder aus. Die 55-Jährige drängt die Tränen zurück, schluckt. Und immer wieder schüttelt sie den Kopf, so, als wäre die Geschichte, die sie erzählt, für sie nach wie vor unfassbar. Sie sitzt zwischen ihrem Mann Issam und ihrem Sohn Halim auf dem Bett in einer Einzimmerwohnung, irgendwo in Bangkok. 40 Quadratmeter, die sie sich gemeinsam mit einem weiteren Sohn, Dakhil, der Schwiegertochter Asifa und dem Enkel teilen, seit nun knapp einem Jahr. Ein Jahr, in dem nichts passiert ist. In dem Issam und Halim täglich versucht haben, auf der Straße bei kleinen Tätigkeiten ein wenig Geld zu verdienen. Meist erfolglos. In dem Basima und Asifa das Essen für die Familie auf zwei Kochplatten zubereitet und anschließend die Zeit totgeschlagen haben. In einem Raum, in dem außer einem Bett, einer Couch, einem Schrank und zwei Schemeln nichts steht. Die Frauen verlassen die Wohnung nie, aus Angst, aufgegriffen zu werden. Dann droht Abschiebehaft.
„Das Wichtigste in unserer Situation ist“, erklärt Asifa, „wenigstens die Familie zusammenzuhalten.“ Stoisch erträgt die 37-Jährige ihr Schicksal, lächelt zärtlich ihren kleinen Sohn an und streicht ihrer Schwiegermutter tröstend über die Schulter. Diese hat ihre Nerven längst nicht mehr unter Kontrolle. „Hier, all die Medikamente sind nötig, um durchzuhalten“, sagt sie und präsentiert zitternd eine Schachtel voll mit Tabletten in unterschiedlichsten Farben und Formen. Längst kann sie nachts nicht mehr schlafen. Die Sorge um zwei weitere Kinder, die noch im Irak leben und das Wimmern von Halim, der, von Alpträumen geplagt, neben ihr liegt, rauben ihr die Ruhe. Dazu die Ungewissheit, wie es weitergeht.
Hetzjagd auf die Palästinenser
2005 ist die palästinensische Familie Salim aus Bagdad geflohen. Unter Saddam Hussein genossen die Palästinenser, die sich seit 1948 im Irak ansiedelten, noch großzügige Privilegien: etwa kostenfreien Wohnraum oder Studienstipendien. Das Wohlwollen des Diktators war jedoch berechnend. Mit der guten Behandlung der Palästinenser im Irak wollte er Pluspunkte in der arabischen Welt sammeln. Doch nach dem Sturz Saddams entlädt sich die Wut der übrigen Bevölkerung. Eine Hetzjagd auf die ehemaligen Günstlinge beginnt.
Gnadenlos fordern Iraker ihre palästinensischen Nachbarn auf, Wohnungen und Häuser über Nacht zu verlassen. Sie drohen denjenigen mit Mord und Verschleppung, die sich widersetzen. Als der Onkel in seinem eigenen Haus erschossen wird, ist für Familie Salim das Maß voll. Sie flüchtet. Doch damit beginnt eine jahrelange Odyssee. Die Suche nach einem Ort, wo man in Sicherheit leben kann. Sie haben ihn bis heute nicht gefunden.
Basima erzählt von den unzähligen Anläufen, die die Familie unternommen hat. Von dem schrecklichen Gefängnis in der Türkei, in dem man die Flüchtlinge gemeinsam mit Schwerverbrechern festhielt. „Sie haben mir dort all mein Geld und den Schmuck gestohlen“, sagt die 55-Jährige, die, gezeichnet durch all die schlimmen Erlebnisse, viel älter aussieht. Sie schüttelt den Kopf, als sie berichtet, dass weder Syrien, noch Russland, noch die Türkei die Flüchtlinge dauerhaft aufnehmen wollte. „Jedes Land ist uns recht, wo wir in Sicherheit leben können“, sagt Basima. „Wir wollen kein Geld geschenkt. Wir wollen arbeiten, den Kindern eine Ausbildung ermöglichen, in Würde leben.“
Die Worte strömen aus ihrem Mund. Die anderen Familienmitglieder halten sich zurück. Nur einmal sagt Dakhil: „Ich kenne in meinem Leben nur Flucht und Krieg.“ Und dann mit Blick auf uns Reporter und die Klimaanlage, die leise surrt und angenehme Kühle verbreitet: „Eigentlich könntet ihr häufiger zu Besuch kommen. Dann ist es hier drinnen erträglich.“ Zum ersten Mal seit dem Einzug hat er die Klimaanlage eingeschaltet. Seine Bemerkung soll ein Scherz sein. Es bleibt der einzige an diesem Nachmittag.
Gemeinsam mit Issam und Halim geht es im Taxi quer durch die Stadt zum Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS). Die beiden erhoffen sich dort Hilfe, um ihre Anhörung beim UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, zu beschleunigen. Noch immer warten sie auf eine Einladung zum Gespräch.
Sehnsucht nach Sicherheit
Auf den Straßen Bangkoks ist um die Mittagszeit viel los. Angestellte gönnen sich einen Snack von einer der Garküchen am Straßenrand, buddhistische Mönche in orangenen Kutten laufen über die Gehsteige. Menschen mit schweren Einkaufstüten gehen die Treppen zum „Skytrain“ hinauf, dem bequemsten und schnellsten Fortbewegungsmittel der Acht-Millionen-Metropole.
Je näher die Innenstadt kommt, umso häufiger kreuzen auch Touristen den Weg. Sommerlich gekleidet mit Top und Flip-Flops fiebern sie ihrem Urlaub an einem der Traumstrände entgegen. Thailand ist das Reiseziel der Region. An seinen mit Palmen bewachsenen Stränden und im türkisblauen Wasser werden Urlaubswünsche wahr.
Im Hof des Jesuitenflüchtlingsdienstes warten andere, die auch mit einem Touristenvisum ins Land kommen, die Flüchtlinge. Ihr Ziel ist jedoch kein Urlaubsresort, sondern ein Ort, an dem sie dauerhaft in Sicherheit leben können. In Thailand selbst können sie das nicht. Nach Ablauf ihres Visums gelten sie als Illegale. Denn Thailand hat die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen nicht unterzeichnet, gesteht den Flüchtlingen also keinerlei Schutz, finanzielle Hilfen, oder ein Bleiberecht zu.
Selbst die, die vom UNHCR als Flüchtlinge oder Asylbewerber anerkannt sind, dürfen langfristig nicht in Thailand leben. Ihnen bleiben nur zwei Möglichkeiten: die freiwillige Rückkehr in die Heimat oder die Ansiedlung in einem sicheren Drittland. Das jedoch kann Monate oder sogar Jahre dauern. „Unerträglich“, findet Issam. Denn die Flüchtlinge erhalten keine Arbeitserlaubnis. „Wovon sollen wir leben?“, fragt er.
100 Menschen in einer Zelle
Der Jesuit und Regionalleiter des JRS, Bambang Sipayung, weiß, dass die Hilfe des JRS, der vor elf Jahren in Bangkok seine Arbeit aufgenommen hat, nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Aber immerhin ist die Organisation, die von missio unterstützt wird, eine der wenigen, die den Flüchtlingen überhaupt zur Seite steht. Zwar öffnen manche buddhistischen Klöster über Nacht ihre Pforten, um Flüchtlingen einen Schlafplatz zu bieten, aber institutionell organisierte, karitative Hilfe gibt es nicht.
Die Jesuiten hingegen sind behilflich bei der Wohnungssuche, versorgen Neuankömmlinge mit Kleidung, Decken und Nahrung, unterstützen Familien monatlich mit umgerechnet 14 bis 112 Euro – allerdings nur für die Dauer von zwei bis sechs Monaten. Sie sind auch im Abschiebegefängnis präsent, wo die Zustände menschenunwürdig sind: Bis zu 100 Personen leben dort in einer Zelle mit zwei Toiletten, manchmal ist der Platz so knapp, dass sich nicht alle zum Schlafen hinlegen können.
Der JRS sorgt dort für medizinische Betreuung und gibt seelsorglichen Beistand. Um die Zahl der Razzien und Verhaftungen zu minimieren, empfehlen die Jesuiten den Flüchtlingen, in kleinen Gruppen Unterschlupf zu suchen. So bleiben sie unauffälliger. Denn wer auf offener Straße nach Ablauf des Visums verhaftet wird und die Geldstrafe nicht zahlen kann, kommt in Abschiebehaft. Dort wird er erst wieder gegen Kaution oder mit Hilfe einer Bürgschaft entlassen. Besonders wichtig sind nach Ankunft in Thailand die Rechtsberatung und das Interviewtraining, das der JRS anbietet. Denn alle Flüchtlinge und Asylbewerber müssen sich registrieren lassen und beim UNHCR ihren Fall schildern. Nur wenn sie glaubhaft ihren Fluchtgrund darlegen können, haben sie überhaupt die Chance, als Flüchtling anerkannt zu werden.
Kalila hat diesen Prozess erfolgreich durchlaufen. Die junge Frau hofft nun auf eine Zukunft in Australien. Unterdessen macht sie sich nützlich. Stundenweise arbeitet sie am Empfang des JRS, hilft den Flüchtlingen beim Ausfüllen von Formularen und übersetzt bei Infoveranstaltungen. Die Lehrerin spricht vier Sprachen und ist mit ihrer Mutter und Schwester aus Pakistan geflohen. Ihre Stelle an der City School in Islamabad musste sie aufgeben. Die Taliban stellten die Christen vor die Wahl: Konversion zum Islam oder Tod. Als ihr Vater bei einem Attentat auf eine Kirche sein Leben verlor, floh die restliche Familie. „Als unverheiratete Christin ist es in Pakistan fast unmöglich, zu überleben“, sagt Kalila.
Mit der Aussicht, sich in absehbarer Zeit ein neues Leben aufbauen zu können, ist das lange Warten für die junge Frau nicht mehr ganz so quälend. Anders sieht es für Basima und ihre Familie aus. Deren Zukunft steht noch in den Sternen. „Viel Kraft habe ich nicht mehr“, sagt die 55-Jährige und bemüht sich nicht mehr um Fassung. Sie lässt ihren Tränen freien Lauf. Endlich.
*Alle Flüchtlingsnamen von der Redaktion geändert