Sie riskieren ihr Leben, um dem Terrorregime in ihrer Heimat zu entfliehen.
In Äthiopien sind sie sicher, aber dürfen die Flüchtlingslager nicht verlassen.
Zehntausende Eritreer, zum Nichtstun verdammt, träumen von einem besseren Leben. |
Okbakrstos Haileslasie wähnte sich schon in Sicherheit, als ihn der Terror wie ein Bumerang einholte. „Ich hatte die Grenze gerade überquert, als ich gefasst wurde. Sie haben auf mich geschossen“, berichtet der junge Computerfachmann regungslos. Er hatte als Programmierer bei der „Eritrean Telecommunications Corporation“, der staatlichen Telefongesellschaft, gearbeitet – verglichen mit anderen kein schlechtes Leben. Doch irgendwann hielt er es nicht mehr aus: die Einschränkungen, die ständigen Kontrollen, die sinnlosen Schikanen, deren einziges Ziel darin besteht, Menschen zu demütigen und einzuschüchtern. Haileslasie wollte studieren, seine Familie besuchen – sie verboten es ihm. Warum er geflohen ist? „Um mich zu befreien“, sagt der 26-Jährige.
Wie viele wählt Haileslasie den Weg über die Berge – und bezahlt bitter. „Sie haben mich festgenommen. Ich kam in ein unterirdisches Gefängnis und drei Monate in Isolationshaft“, sagt er stockend. Er muss sich die Worte abringen und will sie gleichzeitig loswerden wie einen bösen Traum, der seine Macht verliert, wenn man ihn ans Licht zerrt. „In meiner Zelle gab es nichts außer den nackten Wänden. Ich wurde gefoltert. Sie haben mich ständig verhört. Ich hätte alles unterschrieben. Ich kann nicht in Worte fassen, was passiert ist. Aber Gott hat mich gehalten.“
Nach einem Vierteljahr wird Haileslasie in eine andere Haftanstalt verlegt. Die Zelle dort teilt er mit 300 Gefangenen. Es gibt kein Bad, kein Bett, zweimal am Tag eine Scheibe Brot und eine wässrige Suppe. Die Männer haben ständig Hunger. Zwei Jahre sitzt der Computerfachmann ein. Als er endlich entlassen wird, verbietet ein Armeegeneral, dass er an seine alte Arbeitsstelle zurückkehrt. Stattdessen wird Haileslasie zum Militärdienst eingezogen und dort zu niederen Diensten gezwungen. Eine perfide Strafe. Er ist frei, aber muss „den anderen wie ein Sklave dienen.“ Seine Einheit ist in der Nähe der äthiopischen Grenze stationiert. Das ist seine Chance. Haileslasie wagt erneut die Flucht und hat Glück.
Jetzt lebt er in Mai-Aini, einem von vier Flüchtlingslagern im Norden Äthiopiens. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt, und gleichzeitig zu denen, die weltweit am meisten Flüchtlinge aufnehmen. Bis zum Horizont ducken sich die Hütten von Mai-Aini in den Wüstensand – windschiefe, armselige Bauten, zusammengeschustert aus dem, was ihre Bewohner finden konnten: Steine, Lehm, Wellblechteile, zerfranste Plastikplanen. Täglich wachsen die Reihen entlang der schmalen Gassen, die schachbrettartig das riesige Lager durchziehen.
Denn täglich treffen neue Flüchtlinge aus Eritrea ein. Sie fliehen vor den Folterknechten eines Willkürregimes, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, religiöse Minderheiten verfolgt und Männer zu unbegrenztem Militärdienst zwingt. Eritrea gilt als das Nordkorea Afrikas, seine Wirtschaft liegt am Boden. Mehr als 300.000 der fünf Millionen Einwohner haben das kleine Land am Roten Meer bereits verlassen. Sie riskieren ihr Leben – für Freiheit und die vage Aussicht auf eine bescheidene Existenz in der Fremde. Männer, Frauen und Kinder laufen nächtelang im Schutz der Dunkelheit durch das Simin-Gebirge bis zur äthiopischen Grenze. Tagsüber sind selbst die verborgenen Pfade zu gefährlich. Flucht gilt als Landesverrat, an der Grenze herrscht Schießbefehl. Überall patrouillieren Soldaten. Sie zielen noch auf ihre Landsleute, wenn die schon den sicheren Boden des Nachbarlandes unter den Füßen haben.
Laien leiten die Gemeinde
Haileslasie gehört zu den Laien, die die katholische Gemeinde in Mai-Aini leiten. Sie organisieren Kinderkatechese, Bibelstunden, das Rosenkranzgebet, zu dem sie sich morgens und abends versammeln. Jetzt ist es später Nachmittag, die Sonne steht schon tief und brennt nicht mehr so unbarmherzig. Vor der Wellblechkirche hocken Jungen und Mädchen auf pastellfarbenen Plastikbänken.„Wir sind eins im Geist, eins in Gott. Die Menschen erkennen uns an unserer Liebe“, tönt es inbrünstig aus einem Dutzend kleiner Kehlen. Die Kinder sind voll in ihrem Element, als ein unerwarteter Gast auftaucht.