Wir sind komplett!Ruanda kommt mit der rasanten Entwicklung der Bevölkerung zunehmend an seine Grenzen. Mit einem Programm zur natürlichen Familienplanung hilft die katholische Kirche jungen Paaren, die Größe ihrer Familien selbst zu bestimmen. |
Text: Eva-Maria Werner; Fotos: Fritz Stark
Espérance Uwamariy und ihr Ehemann Jean Damascene Maniraho (Foto) haben entschieden: „Wir sind komplett. Es soll bei drei Kindern bleiben.“ Sie sitzen im kargen Eingangsbereich ihres Hauses und posieren mit ihren zwei Söhnen und der Tochter für ein Foto. Eine junge Familie, die bescheiden und traditionell lebt: Die 35-jährige Espérance kümmert sich um die Kinder und den Haushalt, der 39-jährige Jean Damascene um die Bestellung des kleinen Feldes, das gleich hinter dem Haus liegt. So weit, so gewöhnlich. Doch anders als noch die Generation ihrer Eltern wollen Espérance und Jean Damascene in ihrer Ehe partnerschaftlich miteinander leben.
Sie möchten Entscheidungen, die die Kindererziehung, die Finanzen und die Familienplanung betreffen, gemeinsam fällen. Funktioniert das? „Es ist manchmal anstrengend“, gibt Jean Damascene mit einem Lächeln zu. „Hin und wieder diskutieren wir, aber am Ende, wenn wir zusammen eine Lösung gefunden haben, sind wir zufrieden.“ Befehl und Gehorsam spielen in seiner Ehe keine Rolle mehr. Espérance ist erleichtert, dass sie sich mit ihrem Mann auf die Anzahl der Kinder verständigen konnte. „Wir haben nicht viel Geld, unser Feld ist klein. Ich möchte, dass unsere drei Kinder satt werden und eine gute Ausbildung machen können. Mehr Nachwuchs könnten wir nicht gut versorgen.“ Sie verteilt Schüsseln mit dampfenden Bohnen an die beiden Älteren und legt den jüngsten Sohn an ihre Brust. Während er trinkt, spielt sie mit seinen nackten Zehen. „Ich bin froh, dass uns eine Frau aus unserem Dorf unterstützt. Spéciose kennt sich gut aus. Sie kommt regelmäßig, und ich kann sie alles fragen, was ich möchte.“
Aufklärung per Hausbesuch
Die 45-jährige Spéciose Mukamurenzi und ihr Mann Jean Mbonyumugenzi arbeiten ehrenamtlich als Familienhelfer. Von den positiven Erfahrungen, die sie in der Ehevorbereitung gemacht haben, sollen auch andere profitieren. Signalisiert ein junges Paar Gesprächsbedarf, machen sich die beiden in ihrem Heimatdorf Ruhango, das 70 Kilometer von der Hauptstadt Kigali entfernt liegt, auf den Weg. Bei einem Hausbesuch lernen sich die Paare kennen. Jean kommt dabei ein wichtiger Part zu: Seine Anwesenheit soll den anderen Mann überzeugen, sich auf die Familienberatung einzulassen. Ein heikler Moment. Nicht jeder hat offene Ohren und kann mit der Vorstellung eines modernen Partner- und Familienmodells etwas anfangen. Mancher Mann hat Angst vor dem Verlust von Macht und gesellschaftlichem Ansehen. Er möchte lieber „Patriarch“ bleiben und fürchtet eine Revolution. Und tatsächlich: Es geht um nichts weniger als einen Mentalitätswandel, um ein neues Verständnis von Partnerschaft und Familie. Dank ihres eigenen Vorbilds und mit Beharrlichkeit gelingt es Spéciose und ihrem Mann jedoch, mit der Zeit nicht nur Türen, sondern auch Herzen zu öffnen.
Mehr als Worte überzeugt ihr Umgang miteinander und das Leben, das sie führen. Die beiden sind humorvoll, können gut zuhören, teilen sich die Arbeit zu Hause und auf dem Feld, legen Wert auf Gespräche mit ihren drei Kindern. Von der natürlichen Familienplanung halten sie viel. Spéciose kommt aus einer Familie mit acht Geschwistern, Jean hatte sechs Brüder und Schwestern. „Obwohl unsere Eltern liebevoll waren und es gut mit uns meinten, war meine Kindheit schwierig“, sagt Spéciose. Die Familie war arm, es fehlte am Nötigsten. „Es ist gut, dass wir nicht mehr täglich einen Kampf ums Überleben führen müssen“, sagt sie. Im Stall füttert Spéciose die beiden Kühe und das Kälbchen mit Blättern von Bananenstauden, füllt den Schweinetrog und wirft den Hühnern ein paar Körner hin. Hinter dem Haus baut das Ehepaar Reis, Bananen, Maniok, Sonnenblumen, Hirse und Mais an. Manchmal bleibt mehr übrig, als sie und die drei Kinder essen können. Dann verkauft Spéciose den Rest auf dem Markt. Ihr Mann erbte von seinen Eltern eine kleine Parzelle und kaufte weitere Felder dazu. Damit sichert er die Lebensgrundlage der Familie.
Den Kollaps verhindern
Wer durch Ruanda fährt, sieht auf den ersten Blick, wo das Problem liegt: Die Menschen leben überwiegend von Selbstversorgung und bewirtschaften Flächen, die von Generation zu Generation kleiner werden – weil sie unter vielen Erben aufgeteilt werden. Irgendwann sind die einzelnen Felder so winzig, dass mit ihrem Ertrag keine Familie mehr ernährt werden kann. Zusätzliche Flächen zu erwerben ist schwierig. Ruanda, das nur etwas größer ist als Rheinland-Pfalz und das Saarland zusammen, beherbergt 12,3 Millionen Einwohner. Mit 432 Menschen pro Quadratkilometer ist es das am dichtesten bevölkerte Land Afrikas. Bis 2030 sollen laut einer UN-Hochrechnung bereits 16 Millionen Menschen in Ruanda leben. Die Regierung versucht seit Jahren, mit verschiedenen Maßnahmen gegenzusteuern, um den Kollaps der Umwelt und Sozialstrukturen zu verhindern.
Seit 2005 gibt es ein strenges Umweltschutzgesetz. Wer illegal Holz schlägt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Ebenso, wer seinen Abfall einfach in der Landschaft entsorgt oder die Mülltrennung ignoriert. Mittel zur künstlichen Empfängnisverhütung sind leichter zugänglich als noch vor 20 Jahren. Haben 1990 etwa zehn Prozent der Frauen darauf zurückgegriffen, waren es 2016 bereits mehr als 50 Prozent. Die Kirche hingegen setzt auf natürliche Familienplanung und auf einen Bewusstseinswandel – bei Frauen und Männern. Flächendeckend verbreitet sie dank der Familienhelfer das Konzept in allen Diözesen des Landes. „Viele Kinder, viel Segen“, lautete das Motto über Jahrzehnte. Der ganze Stolz der ruandischen Familie gründete auf den zahlreichen Nachkommen. Sechs bis zehn Kinder pro Familie waren üblich, heute bekommt eine Frau im ländlichen Ruanda durchschnittlich fünf bis sechs Kinder, in der Stadt drei bis vier.
Perlen geben Orientierung
Espérance, die für sich entschieden hat „drei Kinder reichen“, lässt eine Kette mit verschiedenfarbigen Perlen durch ihre Finger gleiten. Eine Erfindung der Georgetown University in den USA. Spéciose ist zu Besuch und lässt sich von der jungen Frau die Funktion des Verhütungs-Hilfsmittels noch einmal erklären – sicherheitshalber. „Die rote Perle steht für den ersten Tag der Menstruation“, sagt Espérance, „die weißen Perlen symbolisieren die Tage der Enthaltsamkeit.“ An den Tagen, für die die braunen Perlen stehen, ist Geschlechtsverkehr möglich. Jeden Morgen schiebt Espérance einen dünnen, schwarzen Gummiring um eine Perle weiter. Das hilft bei der Orientierung. Spéciose ist zufrieden. Das Paar kennt sich mittlerweile mit dem weiblichen Zyklus gut aus und ist erleichtert, seinen Alltag entsprechend gestalten zu können. „Es heißt ja nicht, dass ich meiner Frau an Tagen der weißen Perle meine Liebe nicht zeigen kann“, sagt Jean Damascene. „Zum Glück gibt es viele Möglichkeiten, Gefühle auszudrücken.“ Natürlich wissen die Familienhelfer, dass die Methoden der natürlichen Familienplanung nicht so sicher sind wie die künstliche Empfängnisverhütung und große Disziplin erfordern. „Allerdings“, gibt Spéciose zu bedenken, „geht es auch um ein Thema, das so wichtig und existenziell ist, dass sowohl Frauen als auch Männer sich damit gründlich auseinandersetzen sollten.“ Dazu gehöre, nicht einfach nur eine Pille einzuwerfen, sondern sich grundsätzlich Gedanken zu machen, wie man als Paar und Familie leben möchte.
Großes Wiedersehen und neues Kennenlernen in Kigali. Im Bildungszentrum Vinzenz Pallotti kommen 53 Männer und Frauen aus acht der neun ruandischen Diözesen zusammen. Sie wollen sich über ihre Erfahrungen als Familienhelfer austauschen und haben viele Fragen mitgebracht: Wie kann man Mütter am besten über Kinderkrankheiten informieren? Wie eine Taufe gut vorbereiten? Welche Unterstützung benötigen Schwangere? Wie lassen sich Männer für die natürliche Familienplanung gewinnen? Welche Rolle spielen die Geistlichen in der Familienpastoral? Wie können die Familienhelfer am besten mit den Pfarrern zusammenarbeiten? Lebhafte Diskussionen. Viele Ehepaare wünschen sich mehr Unterstützung, um ihre ehrenamtliche Arbeit, für die sie oft weite Strecken in Kauf nehmen, weiterführen zu können. Andere wollen ihre Kenntnisse vertiefen. Sie sind dankbar für Impulsvorträge zum Thema „Familie und Ehe aus christlicher Perspektive“. Jean, der mit seiner Frau Spéciose in Ruhango zwar schon länger Hausbesuche macht, nimmt zum ersten Mal an der Fortbildung in Kigali teil. Er zeigt sich bewegt und zieht ein Fazit, das fast ein wenig pathetisch klingt: „Das Engagement mit meiner Frau als Familienhelfer hilft mir, sie noch mehr zu lieben und zu verstehen. Gott hat sie mir geschenkt, damit sie mein Leben mit mir teilt. Ein großes Glück!“
Sehen Sie hier ein Video zur Reportage
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