Die Last der späten EinsamkeitDer Anteil der alten Menschen in China steigt rapide an. Staat und Gesellschaft
sind auf die Überalterung nicht vorbereitet. In Pfarreien gründen sich
Besuchsdienste, um die Einsamen aus der Isolation zu holen. |
Von Jobst Rüthers (Text) und Kathrin Harms (Fotos)
Seinen wenigen Besitz hat er bitter bezahlen müssen. Hu Linshan ist ein ganzes Leben lang Bauer gewesen, seine Familie besaß etwas Land, das jahrein, jahraus mit Weizen und Mais bestellt wurde. Als die Eltern alt geworden waren und die Arbeit auf den Feldern für sie zu mühsam wurde, übernahm Hu als ältester Sohn den kleinen Hof und versorgte seine Eltern. Dann kam die Kulturrevolution: Von 1966 bis 1976 wollte Mao China kommunistisch erneuern, Andersdenkende wurden verfolgt, es kam zu Menschenrechtsverletzungen, die Menschen waren ein Jahrzehnt Schikanen ausgesetzt.
In diesen Jahren, Hu Linshan war ein junger attraktiver Mann im heiratsfähigen Alter, wurden Besitzer von Acker und Land schlecht angesehen. Hu fand keine Frau, die ihn heiraten wollte, und so blieb er allein. Jetzt ist er 74 Jahre, lebt ohne Familie auf dem alten Hof und hält recht mühsam seine Versorgung aufrecht. Die Landwirtschaft hat er aufgegeben, eine kleine Grundrente sichert das bescheidene Auskommen. Gelegentlich besucht ihn sein jüngerer Bruder auf dem ehemals elterlichen Hof.
Das Haus hat Hu mittlerweile seinem Neffen überschrieben, gegen ein lebenslanges Wohnrecht und die Zusicherung, dass der Neffe es instand hält. Hu nutzt nur noch einen Raum, der hinter beschlagenen Fenstern im Halbdunkeln liegt. Das alte Fernsehgerät funktioniert seit Jahren nicht mehr, aber dem alten Mann fällt es schwer, sich von seinem wenigen Hab und Gut zu trennen. Die Kochstelle wird mit Holz gefüttert, sie ist gleichzeitig der Heizofen für den Raum, allerdings mit zu wenig Wärme in den kalten chinesischen Wintern. Hu beklagt sein Schicksal nicht, aber er weiß, dass das Leben es nicht immer gut mit ihm gemeint hat. Früher wurde er diskriminiert, weil er Land besaß und nicht in die kommunistische Ideologie passte. Heute, im Alter, wird er geächtet, weil er keine Kinder hat. Ohne Nachkommen, besonders ohne Sohn zu leben, bedeutet in China den Verlust des gesellschaftlichen Ansehens.
Die Großfamilie gibt es nicht mehr
Mit 185 Millionen über 60-Jährigen, mehr als zweimal so viele wie Deutschland Einwohner hat, ist China das Land mit den meisten alten Menschen der Welt. Bisher galt als selbstverständlich, dass Kinder für ihre Eltern sorgen, bis zu deren Tod. Aber Hu hat keine Kinder, und es gibt auch keine anderen Familienangehörigen, die mit ihm die Last des Alters teilen. Der Bruder ist selber auf Unterstützung angewiesen, der Neffe lebt in der weit entfernten Stadt und kommt nur selten nach Hause. Hu verbringt die meisten Stunden des Tages allein, er lebt zurückgezogen, hat wenig soziale Kontakte. Nach unseren Maßstäben ist Hu einsam.
Die komplette Reportage können Sie in kontinente 5/2014 lesen.
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