Milch von mageren KühenKlimatische Veränderungen und globale Wirtschaftskreisläufe beeinflussen mittlerweile
auch das Leben der Nomaden in Burkina Faso. Mit dem Aufbau einer Kleinmolkerei in
Koudougou haben sich Peul-Frauen eine Perspektive für die Zukunft geschaffen. |
Text: Eva-Maria Werner; Fotos: Fritz Stark
Schon kurz nach halb sechs in der Früh ist Mariam Diallo auf den Beinen. Die Bäuerin nutzt die kühlen Morgenstunden, um ihre Tiere zu melken. Mit ruhigen Schritten nähert sie sich einer Kuh, bindet deren Hinterbeine zusammen, damit sie nicht fortlaufen kann, hockt sich neben das Tier und greift zum Euter. In einem dünnen Strahl schießt die Milch heraus, Mariam Diallo fängt sie in einer Kalebasse auf. Viel ist es nicht, trotzdem ist die siebenfache Mutter zufrieden. Es wird reichen für die Kinder. Einen kleinen Teil kann sie darüber hinaus an die Molkerei abgeben. Das Leben in ihrem 60-Einwohner-Dorf Sissénin im Zentrum von Burkina Faso verläuft in ruhigen Bahnen, Tag für Tag gleich. Die Peul, auch Fulani genannt, sind Halbnomaden, die ein einfaches Leben im Rhythmus der Natur führen, in dem die Tradition respektiert wird und die Aufgaben klar verteilt sind. Während einige Frauen melken, zerstoßen andere Hirsekörner in einem Holztrog, wieder andere haben sich mit Kanistern auf den Weg zur Wasserstelle gemacht. Die Sorge um die Kühe ist Frauensache. Ältere Kinder tränken die Ziegen. Männer ziehen mit dem Vieh, das nicht gemolken werden muss, auf entferntere Weideplätze.
Viel Zeit bleibt nicht für die morgendlichen Aufgaben, denn schon am späten Vormittag legt sich eine sengende Hitze über das Dorf, die Sonne brennt vom Himmel. Wer kann, vermeidet ab jetzt jede Bewegung. „Acht Monate lang dauert die Trockenzeit, eine Herausforderung für Mensch und Tier“, sagt der Afrikamissionar Pater Maurice Oudet. Der Franzose, der seit 15 Jahren in Burkina Fasos drittgrößter Stadt Koudougou lebt, ist ein Vorkämpfer für die Rechte der Bauern und entwickelt Ideen, wie sich die zu 80 Prozent bäuerliche Bevölkerung des westafrikanischen Landes besser für die Zukunft wappnen kann. Als der Weisse Vater 1965 ins damalige Obervolta kam, gab es im ganzen Land nur vier Millionen Einwohner. Mittlerweile hat sich die Zahl mehr als vervierfacht. Das rasante Bevölkerungswachstum, strengere Dürreperioden aufgrund des Klimawandels, der Anbau von Energiepflanzen wie Jatropha sowie billige Importgüter wie Reis aus Asien oder Milchpulver aus Europa sind nur einige der Herausforderungen, vor denen die Menschen stehen.
Der 70-jährige Afrikamissionar ist überzeugt: „Die Menschen in Sissénin und anderen Dörfern können nicht mehr so weiterleben wie bisher. Um die Natur und den sozialen Zusammenhalt nicht zu gefährden, ist ein Umdenken nötig.“ Denn wo zunehmend mehr Menschen und Tiere um fruchtbare Erde konkurrieren, aufgrund längerer Trockenzeiten die Kühe einen Großteil des Jahres keine Milch geben und Weideflächen knapp werden, sind Spannungen zwischen unterschiedlichen Volksgruppen vorprogrammiert. Für Maurice Oudet reicht es deshalb nicht, das Evangelium allein in der Kirche zu verkünden, es muss auch im täglichen Einsatz für bessere Lebensbedingungen sichtbar werden. „Ich mag den Menschen Nahrung geben“, sagt er. „Im wörtlichen und übertragenen Sinn. Das geht nur zusammen.“
Mariam Diallo hat ihre sieben Kühe gemolken und ihren Kindern zu trinken gegeben. Einige Liter sind noch übrig. Die gießt sie in den Plastikkanister des Milchmannes, der mit dem Fahrrad vorbeikommt, um die überschüssige Milch abzuholen und sie in die 15 Kilometer entfernt liegende Molkerei nach Koudougou zu bringen. Er muss sich beeilen, damit sie unterwegs in der Hitze nicht sauer wird. Dass die Frauen von Sissénin Milch von ihren Kühen übrig haben und sie an eine Molkerei verkaufen, ist neu. „Wir haben uns mit anderen Dörfern in einer Kooperative zusammengeschlossen, um eine Kleinmolkerei in der Stadt aufzubauen“, sagt Mariam Diallo. Finanziell unterstützt werden die Frauen dabei von verschiedenen Hilfsorganisationen, darunter Misereor, Oxfam und Unifem, der Frauenhilfsorganisation der Vereinten Nationen.
„Wir sind stolz auf unsere Arbeit“
Auf Initiative von Maurice Oudet sind bereits 26 Kleinmolkereien entstanden, die sich in der Union der Kleinmolkereien von Burkina Faso zusammengeschlossen und gemeinsam die Marke „Burkina Lait“ geschaffen haben. „Die Kleinmolkerei in Koudougou ist aber die erste, die komplett unter der Verwaltung von Fulani-Frauen steht“, sagt der „Weisse Vater“. Sechs Frauen sind dort beschäftigt, sie verarbeiten täglich bis zu 130 Liter Milch zu Frischkäse, Seife und zwei beliebten lokalen Produkten: Dégué und Gapal. Ersteres ist ein nahrhaftes Gemisch aus gesüßter Dickmilch und Kolbenhirse, das zweite ein Joghurtgetränk. Die frischen Produkte lagern in zwei Kühlschränken neben dem Raum, in dem die Milch verarbeitet wird. Die Frauen verkaufen sie von hier aus direkt an ihre Kunden, ein Teil der Produkte wird auch in kleinere Geschäfte in der Stadt gebracht.
Aminata Tal ist eine der Angestellten. Mit einer Schutzhaube auf dem Haar und gekleidet in einen weißen Kittel schüttet sie die ersten 18 Liter Milch, die gerade per Fahrrad geliefert wurden, durch ein Sieb und erhitzt sie anschließend über dem Feuer. „Ich mag meine Arbeit hier sehr“, sagt sie. „Mit dem Geld, das ich in der Molkerei regelmäßig verdiene, kann ich meine vier Kinder zur Schule schicken. Es ist gut, dass wir unsere eigenen, regionalen Produkte herstellen und verkaufen. Das stärkt unsere Gesellschaft und macht uns stolz auf unsere Arbeit.“ Noch vor einem Jahr hat Aminata Tal wie viele andere Frauen Dégué und Gapal aus importiertem Milchpulver hergestellt. Das Produkt aus der EU ist billiger als lokale Milch. „Der Staat investiert nur in Großmolkereien in Stadtnähe“, kritisiert Maurice Oudet. „Entwicklungsprogramme für Kleinbauern gibt es nicht. Dabei ist es so wichtig, sie zu fördern, um Nahrungssicherheit vor Ort herzustellen und damit Armut zu bekämpfen.“
Wenn die Männer mit Fahrrad oder Moped die Milch geliefert haben, nehmen sie auf dem Heimweg Sojafutter mit in die Dörfer. Die nahrhafte Nutzpflanze ist dort noch nicht lange im Einsatz. Doch schnell konnte der „Weisse Vater“ die Dorfbewohner überzeugen, dass es lohnenswert ist, sie einzusetzen. Indem die Frauen den Kälbern regelmäßig eine Art „Sojasaft“ und den Kühen Soja-Zusatzfutter und gemahlene Maiskolbenreste geben, können sie den Milchertrag pro Kuh auf bis zu fünf Liter pro Tag steigern. Außerdem trocknen sie Futterpflanzen und lagern sie, um die Tiere während der Trockenzeit ernähren zu können und damit den Totalausfall der Milchproduktion in dieser Periode zu stoppen. „Die Kühe der Peul, die an das karge Leben in der afrikanischen Steppe gewöhnt sind und traditionell nur wenig Milch für die Selbstversorgung liefern, produzieren so einen kleinen Überschuss, den die Frauen an die Molkerei verkaufen können“, sagt Maurice Oudet.
Rinder sind die Lebensgrundlage
Die Leistung der Zeburinder ist damit zwar längst nicht vergleichbar mit der von modernen Milchkühen in Europa, die bis zu 27 Liter am Tag geben können. Doch diese Menge zu erreichen, ist auch nicht das Ziel der Halbnomaden. Die Rinder sind die Lebensgrundlage der Peul, sie liefern ihnen Fleisch und Milch, ihre getrockneten Kuhfladen dienen als Brennmaterial. Aber sie sind nicht dazu geeignet, eine Milchwirtschaft im industriellen Sinn aufzubauen. Trotzdem profitieren die Peul von dem Projekt der lokalen Milchwirtschaft – nicht nur die Angestellten in Koudougou, sondern auch die Bäuerinnen, ihre Kinder und Männer auf den Dörfern. Sie erwirtschaften ein kleines Einkommen und nehmen an der Alphabetisierungskampagne, die zum Projekt gehört, teil.
Wenn die größte Hitze nachgelassen hat, versammeln sich die Bewohner von Sissénin in der größeren, mit Stroh abgedeckten Hütte im Zentrum des Dorfes, der Schule. Auf der rechten Seite die Männer, links die Frauen, dazwischen die Kinder. Alle werden zusammen unterrichtet, denn die Analphabetenrate ist quer durch die Altersgruppen und Geschlechter groß. Wissbegierig wiederholen sie die Vokale a-e-i-o, die Maurice Oudet an die Tafel schreibt. Die Aufmerksamkeit ist groß, die Schüler fragen viel nach und haben großen Spaß am Unterricht. Den übernimmt heute ausnahmsweise der Afrikamissionar, da der Lehrer verhindert ist und er die wartenden Dorfbewohner nicht nach Hause schicken möchte.
Politisches Engagement ist wichtig
Das Unterrichtsmaterial ist auf die Lebenswelt der Peul abgestimmt. Kühe, Ziegen und Hühner sowie die dazugehörigen Vokabeln und Fachausdrücke sind in kleinen Heften abgebildet. „Wir möchten die Menschen im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichten, damit sie selbst so bald wie möglich mitbestimmen können“, sagt Maurice Oudet. Auf seiner Homepage im Internet sammelt er Informationen über landwirtschaftliche Entwicklungen in Burkina Faso, im Büro seiner 1997 gegründeten Organisation Sedelan lässt er wichtige Texte in die Lokalsprachen übersetzen. Er ist überzeugt: „Nicht nur praktisches Tun, sondern vor allem auch politisches Engagement wird langfristig an der Situation der Kleinbauern etwas ändern.“ Die Förderung und Unterstützung der lokalen Bevölkerung, höhere Schutzzölle gegen vergleichbar billige Importprodukte und nationale Programme, die der lokalen Milchwirtschaft in Burkina Faso Zeit geben, sich zu entwickeln, sind nur einige der Forderungen, die Maurice Oudet an die Politik stellt.
Immer besser funktioniert der regionale Milch-Wirtschaftskreislauf rund um die 130.000 Einwohner zählende Stadt Koudougou. Trotzdem ist es eine Entwicklung in kleinen Schritten, die der Afrikamissionar gemeinsam mit den Bauern vorantreibt. Die Weiterentwicklung der traditionellen nomadischen Tierhaltung bei den Peul erfordert ein Umdenken ganzer Dorfgesellschaften. Aber Maurice Oudet und die Frauen von Sissénin sind überzeugt, dass sie auf dem richtigen Weg in eine bessere Zukunft sind, im „Land der ehrenwerten Menschen“, wie Burkina Faso übersetzt heißt.
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