Corona-Schutz im RegenwaldZu Beginn der Pandemie traf Corona Brasiliens Ureinwohner noch härter als den
Rest der Bevölkerung. Einige blieben von dem Virus verschont. Der Kapuziner
Paolo Braghini lebt mit ihnen und glaubt zu wissen, was hilft. |
Text: Philipp Lichterbeck | Fotos: Florian Kopp
Es ist sieben Uhr früh, als sich der Kapuzinermönch Paulo Braghini in ein kleines Aluminiumboot setzt, den Außenborder anlässt und den Igarapé de Belém hinauffährt, einen breiten Fluss, der sich durch das Indigenen-Reservat Évare I im Nordwesten von Brasilien windet. Der Regenwald um den Fluss herum ist so dicht, dass das Ufer kaum erkennbar ist. Äste ragen über das Wasser. Einige Bäume stehen wie Pfähle im Fluss. Kaum ist Bruder Paolo losgefahren, öffnet der Himmel seine Schleusen, und der Fahrtwind schlägt dem 45-Jährigen dicke Tropfen ins Gesicht. Es ist Regenzeit im Amazonasbecken.
Nach zwei Stunden Fahrt nähert sich Bruder Paolo dem Dorf Nova Jutaí. Rund 100 Indigene vom Stamm der Tikuna leben hier. Einige von ihnen stehen am Ufer und winken dem Missionar zu, während er das Boot auf den Ort zusteuert. Der Kapuziner Paolo ist Italiener und seit 16 Jahren Missionar in den Reservaten Évare I und II, die zusammen dreimal so groß sind wie das Saarland. Durch ihre Mitte fließt der mächtige Rio Solimões, der 1000 Kilometer flussabwärts mit dem Rio Negro zum Amazonas verschmilzt. Bruder Paolo ist in den Dörfern der Region längst eine Attraktion. Es mag damit zu tun haben, dass er seine Arbeit mit so viel Elan, Leidenschaft und Begeisterung macht, dass es ansteckend wirkt.
Antônio hat überlebt
Kaum hat Bruder Paolo angelegt, führt ein Schwarm jubelnder Kinder den großgewachsenen Mönch wie eine Trophäe ins Dorf und zerreißt dabei einen Ärmel seiner Kutte. Jeder möchte etwas von dem 45-Jährigen abhaben, selbst sein roter Bart ist nicht vor den Kinderhänden sicher. Im Gesicht trägt der gebürtige Lombarde noch die Bemalung, die ihm die Ureinwohner eines anderen Dorfs verpasst haben; um seinen Hals baumelt eine Kette aus Pflanzensamen.
|
|
Von Kindern umringt, betritt der Kapuziner Nova Jutaí. Das Dorf besteht aus einem Dutzend Holzhäusern. Sie wurden auf Stelzen errichtet, damit sie in der Regenzeit nicht im Schlamm versinken. Dahinter beginnt schon der Dschungel, aus dem ab und zu das Kreischen von Vögeln zu hören ist. Bruder Paolo ist nach Nova Jutaí gekommen, um in der Dorfkirche das Patronatsfest zu Mariä Verkündigung zu feiern. Zuvor stattet der Missionar dem ältesten Mann des Dorfes einen Besuch ab. Der 71-jährige Hortênsio Antônio hat das Dorf vor 45 Jahren gegründet – und war nur einer von vier Menschen, die im Ort an Covid-19 erkrankten. |
Er hat seine eigene Erklärung, wie es dazu kam. „Das Virus befiel mich beim Fischen“, sagt er auf Tikuna. Während er berichtet, sitzt er in einer Hängematte inmitten eines Holzhauses, in dem es fast keine Möbel gibt. Ein paar Schemel stehen herum, aber Betten, Tische und Schränke sucht man vergeblich. Die Tikuna sitzen meistens auf dem Boden, sie schlafen in Hänge- oder auf Bastmatten.
„Als ich mit meinem Kanu zurück ins Dorf paddelte, spürte ich, wie das Fieber in mir aufstieg“, erzählt Antônio weiter. „Es war Corona.“ In der Vorstellung der Tikuna haben alle Krankheiten einen Herrn. Antônio ist davon überzeugt, dass der Herr des Virus ihn auf dem Fluss heimsuchte. Wahrscheinlicher ist, dass Antônio sich bei einem anderen Dorfbewohner angesteckt hat, der zuvor im nächstgrößeren Ort gewesen war. Trotz seines Alters ist Antônio ein agiler Mann, er hat volles schwarzes Haar und wache Augen. Einzig seine fehlenden Vorderzähne deuten auf sein fortgeschrittenes Alter hin.
Starke Traditionen
Es liegt nun schon Monate zurück, dass er sich mit Covid-19 infizierte. Einige Tage habe er sich schlecht gefühlt, dann sei es ihm besser gegangen, sagt Antônio. Angst habe er nicht verspürt. Schließlich hätten die Tikuna ein Heilmittel: brennende Bienenwaben und Baumharz. Den Rauch habe er eingeatmet. „Er hat uns geschützt“, sagt Antônio...
Sie möchten die gesamte Bildreportage sehen? Dann bestellen Sie hier ein kostenloses Probeheft
Zurück zur Nachrichtenübersicht Juli/August 2021