Im Bann des reichen BergesSie schuften in dunklen und schlecht gesicherten Stollen auf der Suche nach einer guten Mine,die alle reich machen wird. Doch was die Bergleute im Silberberg von Potosí in Bolivien finden, reicht kaum zum Leben. Ohne Hilfe der Josefsschwestern müssten viele hungern. |
Text: Sandra Weiss; Fotos: Florian Kopp
Wenn die ersten Sonnenstrahlen den Cerro Rico, den reichen Berg von Potosí, in ein fahles Licht tauchen und die Stadt noch klamm und still ist, in eisiger Morgenstarre verharrend, dann steht Percy Fuertes auf und ruft Gott an. So macht er das jeden Morgen, bevor er sich in die Obhut des Teufels begibt. Deshalb, glaubt er, ist ihm noch nichts passiert in den 25 Jahren, die er schon in die Minen Boliviens geht. Jedem der beiden Herrscher über Leben und Tod zollt er täglich Tribut: Gott bekommt sein Gebet und der „Tío“ Schnaps und Koka-Blätter. Es ist ein Ritual der Bergleute in der Silberstadt Potosí und zwar schon seit unzähligen Generationen.
Viel Fantasie braucht man nicht, um im „Tío“ den Teufel zu erkennen: eine rote Fratze, umgarnt mit bunten Papierfetzen und mit markantem Geschlechtsorgan. Versteckt in einem Stollen im Innern des Berges, befruchtet der Tío Mutter Erde, damit sie Zink und Silber, Blei und Zinn, Kupfer und Wolfram freigibt, glauben die Bergleute.
Doch seine Schätze, die dem spanischen Kolonialreich 300 Jahre lang die Weltherrschaft sicherten und dessen Überreste heute eine bolivianische Bourgeoisie bereichern, gibt es nicht umsonst.
Tödlicher Staub
In Potosí dreht sich seit 500 Jahren alles um den Bergbau. Die Geschäfte verkaufen Dynamitstangen, Schläuche und Kompressoren, das imposanteste Gebäude der Stadt ist die alte Münzprägeanstalt aus der Kolonialzeit. Lkw und ver- dreckte Geländewagen rattern durch die engen Gassen. Permanent liegt feiner Staub über der Minenstadt. Er kriecht durch jede Ritze, legt sich auf jedes Möbelstück, bepudert die Straßen und findet seinen Weg in jede Lunge, die auf 4000 Metern Höhe ohnehin schon um Sauerstoff ringt.
Viele hat der Berg mit einer Staublunge todkrank wieder ausgespuckt, andere verschluckt in seinen trügerischen, glitschigen Stollen oder mit Ammoniak und anderen Gasen vergiftet. Mit billigem Ethylalkohol, umgerechnet ein Euro für einen Viertelliter, haben sich Tausende um Geld, Verstand und Familie gesoffen. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Bergarbeiters liegt bei 40 Jahren. Fuertes hat sie schon überschritten. Er ist 43 und noch immer sehnig und kräftig genug für die Knochenarbeit im Berg.
„Jeden Morgen gibt es Haferflocken mit Milch, das macht stark und schützt die Lunge“, sagt er, und sein Goldzahn blitzt aus dem lächelnden Mund. Doch sein Humor wirkt aufgesetzt. Schweigend umarmt er seine Frau Virginia Condori. Sie ist klein und zartgliedrig. Die unerbittliche Höhensonne, der eisige Wind und die vielen Sorgen haben das Gesicht der 47-Jährigen dunkel gegerbt und mit einem kleinen Netz aus Falten überzogen. Mit belegter Stimme wünscht sie ihrem Mann „Glück auf!“ – und weiß nicht, ob und in welchem Zustand er am Abend zurückkehren wird. Schrammen und Quetschungen sind an der Tagesordnung.
„Es gibt keine Arbeitsverträge, keine soziale Absicherung, die Ausrüstung müssen die Männer selber kaufen, ja sogar selbst die An- und Abfahrt zur Mine organisieren, der Lohn wird wöchentlich ausgezahlt, und wenn der Vorarbeiter will, zieht er willkürlich etwas ab oder entlässt jemanden fristlos“, sagt sie. Die Frauen, die rund um die Uhr die Stolleneingänge bewachen, damit sich niemand Unbefugtes daran zu schaffen macht, werden mit ein paar hundert Pesos und mit Geröllabfall bezahlt. Viele sind Witwen verunglückter Bergarbeiter. Den Job als Wachfrau bekommen sie oft nur im Gegenzug für sexuelle Gefälligkeiten. Es mutet an wie das England der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert. Auch 13 Jahre Sozialismus unter Präsident Evo Morales haben daran nichts geändert.
Tonnenschwere Loren
Fuertes ist Sprengmeister. Tief im Stollen bohrt er mit einem Presslufthammer die Löcher, in die die Dynamitstangen gesteckt werden. Die Lunte von etwa eineinhalb Metern Länge gibt ihm drei bis vier Minuten Zeit, sich von der Sprengstelle zu entfernen. Doch Rennen ist in dem engen, höchstens 1,60 Meter hohen Stollen unmöglich. Der Boden zwischen den Gleisen ist matschig, das Licht der Kopflampe wird von Tausenden Staubpartikeln reflektiert. Die Druckwellen der dumpfen Explosionen lassen fast das Trommelfell platzen und erschweren das Atmen zusätzlich.
Sobald sich der Staub gelegt hat, gehen die Männer zurück in die Mine und beladen die schmiedeeisernen Kipploren mit Gestein. Bis zu einer Tonne wiegt eine beladene Lore, selbst zu zweit kaum fortzubewegen. Dicke Schweißperlen bilden sich auf der Stirn der beiden jungen Kollegen von Fuertes, als sie die Lore ans Tageslicht schieben. Acht bis zehn solcher Karren fördert die Vierergruppe an einem Arbeitstag, der zwischen vier und fünf Uhr nachmittags endet. Ohne Essenspause, nur mit gekauten Koka-Blättern in der Backentasche, um Hunger und Ermüdung zu bekämpfen. Knapp 250 Euro bringt jeder von ihnen am Monatsende heim.
„Ich habe ihm schon oft gesagt, er solle sich einen anderen Job suchen“, seufzt Condori und hängt Wäsche in ihrem trostlosen Innenhof auf. Zwei Hundewelpen balgen sich auf dem nackten Betonboden, die blaue Farbe blättert von den Wänden. Ein paar Mal hat Fuertes auch schon angeheuert als Tagelöhner auf dem Bau. Doch er sei ein Mann der Finsternis, seit seinem 16. Lebensjahr arbeite er in der Mine, das Schuften in der Hitze im Sonnenlicht bekomme ihm nicht, winkt er ab. In der Mine verdiene er doppelt so viel wie auf dem Bau, aber selbst das reiche noch nicht, um die Familie gut durchzubringen. „Früher habe ich bei einer Bergbau-Firma gearbeitet und bin sogar sozialversichert gewesen“, erzählt er stolz. Doch dann kamen die Wirtschaftskrise und Corona.
„Die Mädchen leiden besonders in der Macho-Welt der Bergleute“, erzählt die 46-Jährige. Frauen haben dort nur einen untergeordneten Platz. Sie heiraten jung, werden rasch schwanger, leiden unter trinkenden und prügelnden Ehemännern und verwitwen früh.
Lebensmittel für die Ärmsten
Als in der Corona-Pandemie viele der 1200 Familien der Copacabana-Schule arbeitslos wurden, halfen die Schwestern den besonders Bedürftigen mit Lebensmittelpaketen. In einem Klassenzimmer stapeln sich noch immer ein paar bunte Taschen voller Reis, Nudeln, Bohnen, Speiseöl und Seife. Bohnen und Kartoffeln bauen Condori und Fuertes selbst an, auf einem kleinen Ackerstückchen außerhalb der Stadt, das ihm seine Eltern überlassen haben.
„So sind wir wenigstens nicht verhungert“, sagt Condori, „aber manchmal gab es nur eine Mahlzeit am Tag.“ Von dem, was sie aus ihrer Arbeit im Hostel gespart hatte, kaufte sie ein Handy, damit die drei Töchter und der 12-jährige Fabricio wenigstens am Fernunterricht teilnehmen konnten. „Manchmal überschneiden sich die Kurse, manchmal habe ich kein Geld, um das Datenkontingent am Handy neu aufzuladen“, berichtet sie.
Doch das kleine Häuschen, in dem sie zusammen mit den Schwiegereltern leben, liegt nicht weit entfernt von der Schule. So können die Eltern Arbeitsblätter oder Bücher persönlich abholen. „Der Staat hat im März von einem Tag auf den anderen die Schule dicht gemacht und uns allein gelassen. Wir mussten Fern-Unterricht improvisieren“, erzählt Schwester Damiana, die Ethik und Religion unterrichtet.
Keine Brille, keine Schuhe
Daheim bei Familie Fuertes laviert sich die Familie durch die Krise. Die Kinder schauen fern oder spielen mit den zwei Hundewelpen Poli und Canela. Früher waren sie oft mit Freunden draußen. Fabricio besuchte einen Fußballverein, Almendra war in der kirchlichen Jugendgruppe aktiv. Die Pandemie hat all das auf ein Minimum reduziert.
Die Schulbücher, die Vater Fuertes in der Schule abgeholt hat, sind eine willkommene Abwechslung. Dass Schwester Damiana mitgekommen ist, spornt die beiden Zwillinge zusätzlich an, ihre im Vorjahr erworbenen und in der Pandemie mühsam erhaltenen Lesekünste vorzuführen. Catherine liest schon recht flüssig, Rocío stockt. Sie sieht nicht gut und bräuchte eigentlich eine Brille. Aber dafür ist kein Geld da. Auch nicht für richtige Schuhe. Aus den alten sind die Zwillinge während der Pandemie rausgewachsen, Badeschlappen müssen es nun vorerst tun, trotz der Kälte.
Fuertes wirft einen Blick aus dem Augenwinkel auf seine beiden Mädchen. „Vielleicht finden wir ja noch die veta“, murmelt er, die reiche Ader, von der alle Bergleute träumen. „Dann würde ich ganz sicher aufhören und könnte meiner Familie ein besseres Leben bieten.“
Lesen Sie hier das Interview mit Erzbischof Ricardo Centellas Guzmán zum Thema
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