Legt die Messer weg!Sie ist gesetzlich verboten, trotzdem findet in vielen Regionen Kenias die Beschneidung
von Mädchen weiterhin statt. Schwester Ephigenia Gachiri und ihr Team kämpfen dagegen. |
Text: Eva-Maria Werner; Fotos: Fritz Stark
Warum sollte ich aufhören, Mädchen zu beschneiden?“, fragt Elisabeth Rono (Foto) und liefert ihre Argumente gleich hinterher: „Es gehört zu unserer Kultur, ich verdiene gut damit und bin eine angesehene Frau in unserem Dorf.“ Aus glasigen Augen schaut sie ihren Schwiegersohn an, der genervt den Kopf schüttelt. Simion Kipicoech Sitonik ist Grundschullehrer und seit wenigen Wochen entschiedener Gegner der weiblichen Genitalverstümmelung FGM. In einem Aufklärungsseminar hat er einen Film aus Kamerun gesehen, der ihm nicht mehr aus dem Kopf geht. Das Blut, die Schreie, die Verletzungen: „Einfach entsetzlich“, sagt er. „Ich bin 35 Jahre alt und habe bisher nicht gewusst, was der Eingriff für die Mädchen und Frauen bedeutet. Für manche den Tod durch Verbluten, für andere lebenslange körperliche und seelische Qualen.“
Sitonik verlässt das Seminar mit Vorsätzen: Er wird seine Tochter vor FGM bewahren, mit seiner Frau erstmals über deren Beschneidung sprechen, in der Schule Eltern und Schüler über die Gefahren aufklären und – der ehrgeizigste Vorsatz – seine Schwiegermutter dazu bringen, die Messer wegzulegen. Er wird noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Denn die 65-Jährige zeigt sich uneinsichtig. Die beiden sitzen nebeneinander und verkörpern schon allein durch ihre Kleidung die Gegensätze von Tradition und Moderne, die in der kenianischen Bevölkerung aufeinanderprallen. Er in Jeans und Hemd, sie gekleidet in ein Affenfell und mit Kopfschmuck aus Kauri-Muscheln. „Früher, als die Beschneidung noch nicht verboten war, gab es am Vorabend ein großes Fest mit Gesang und Tanz“, sagt Rono. Alle im Dorf freuten sich darüber, dass die Zeit gekommen war, die jungen Mädchen in die Welt der Frauen einzuführen. Die Beschneiderinnen trugen grünes Blattwerk auf dem Kopf, ein Tierfell am Körper und schlugen mit den Händen abwechselnd auf die Oberschenkel. Das Signal für den Beginn der Zeremonie.
Kritik oder Widerstand? Habe es nicht gegeben. „Nur eine beschnittene Frau wird einen Ehemann finden und gut für ihre Familie sorgen“, sagt die 65-Jährige. Eine Unbeschnittene sei unwürdig, werde ihren Mann ins Unglück stürzen, der Hebamme bei der Geburt des ersten Kindes das Augenlicht rauben und das Essen anbrennen lassen. Die Beschneiderin erwähnt nur einige der Vorstellungen, die noch in den Köpfen vieler Menschen herumgeistern. Seit 2011 ist weibliche Genitalverstümmelung in Kenia gesetzlich verboten. Trotzdem greifen Frauen noch in 49 der 64 Distrikte des Landes zu Rasierklingen, Messern und Glasscherben, damit die Tradition weiterlebt. Heute praktizieren sie eher im Verborgenen.
Uraltes Initiationsritual
In einer Nacht beschneidet Rono 200 Mädchen. Stolz und detailliert erzählt sie davon, als ginge es darum, zu schildern, wie man Pflanzen zurechtstutzt. Jedes „ihrer“ Mädchen bringt eine eigene Rasierklinge mit, um Infektionen vorzubeugen. Rono, halbnackt und nach dem Genuss von Alkohol leicht benebelt, weist die Mädchen an, sich in eine lange Reihe nebeneinander mit dem Rücken auf den Boden zu legen. Um unangenehme Situationen zu vermeiden, weist sie die Ängstlichen zurecht: Wer schreit oder sich wehrt, werde niemals heiraten und Erfolg im Leben haben. Wer Probleme macht, dem werde sie zusätzlich in den Oberschenkel ritzen. Sie entfernt den äußeren Teil der Klitoris, anschließend steigen die Mädchen in den Fluss, um die Wunde im Wasser zu kühlen, und um „allen Dreck, alle Sünden“ abzuwaschen. „Das ist das eigentliche Initiationsritual“ sagt Rono.
Damit ist ihr Part erledigt. Pro Mädchen erhält sie 500 Schilling, umgerechnet 4,50 Euro. Das ist viel Geld in einem Land, wo für einen Tag Arbeit im Steinbruch nur 400 Schilling gezahlt werden, für Feldarbeit noch weniger. Für die Mädchen beginnt nach der Beschneidung der zweite Teil der Initiation. Für die Zeit der Heilung liegen sie zu fünft in einer Hütte auf Fellen um ein Feuer und werden unterrichtet: Wie sie sich als Ehefrau zu verhalten haben, welche Aufgaben sie als Mutter erwarten, wie man Kinderkrankheiten behandelt. Auch für den Unterricht zahlen die Eltern der Mädchen. Sie sehen es als Investition in die Zukunft. Denn nach der Beschneidung können sie ihre Töchter verheiraten.
„Es ist ein Verbrechen im Namen von Tradition und Kultur“, sagt Schwester Ephigenia Gachiri energisch. 80 Augenpaare schauen sie an, manche entsetzt, manche interessiert, wieder andere kritisch. Die couragierte Ordensfrau hat keine Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen. Im Dorf Kapkoi findet eines der Aufklärungsseminare statt, in dem sich auf Einladung des Dorfältesten Männer, Frauen, jüngere und ältere Menschen erstmals anhand großer Zeichnungen erklären lassen, wie der Körper einer Frau funktioniert und welche Probleme durch die Beschneidung enstehen.
Schwester Ephigenia weiß, dass auch in Kapkoi Frauen im Raum sind, die mit Beschneidungen ihr Geld verdienen. Was in deren Köpfen vorgeht, bleibt verborgen. Doch wenn Betroffene reden, ist das am wirkungsvollsten.
Deshalb lässt die Ordensfrau im Plenum viele zu Wort kommen. Junge Frauen, die von Geburtskomplikationen berichten. Ruth Chebet Koech, Mutter von elf Kindern und ehemalige Beschneiderin, die mit der Praxis aufgehört hat und nun als Hebamme ihr Geld verdient. Und den Lehrer Stephen Muruguri, der betont, dass es für Männer keinen Grund gebe, eine beschnittene Frau einer unbeschnittenen vorzuziehen. „Weder im Koran noch in der Bibel wird die Beschneidung von Mädchen gefordert“, stellt Schwester Ephigenia klar. Die Praxis habe sich wahrscheinlich ausgehend von Ägypten über Nomadenvölker auf dem Kontinent verbreitet. Mit der Verstümmelung des weiblichen Körpers hätten Männer von Beginn an Macht über Frauen ausgeübt. Und noch heute sei dieser Aspekt wesentlich. Männer glaubten, sich durch die Beschneidung die Jungfräulichkeit und Treue ihrer Frauen sichern zu können.
1995, bei der Weltfrauenkonferenz in Peking, ist der Loreto- Schwester beim Austausch mit anderen das weltweite Ausmaß von FGM bewusst geworden. Zurück in Kenia begann sie mit Zuhören. „Ich reiste durch die Dörfer und habe verstanden, wie tief weibliche Genitalverstümmelung seit Jahrhunderten in unserer Kultur verankert ist.“ Und dass ein Gesetz allein die Praxis nicht verhindern kann. Sie habe angefangen, Bücher zu schreiben, Aufklärungsseminare anzubieten, ein Netzwerk von Helfern aufzubauen. 27000 Menschen erreichen sie und ihre Mitstreiter jährlich. Zukünftig sollen es noch mehr werden. Im „Abundant Life Center“, einem Bildungszentrum, das von missio unterstützt wird, sollen Seminare für Eltern, Lehrer und Dorfälteste stattfinden. Für Entscheider, von denen es abhängt, ob FGM besiegt werden kann oder nicht.
„Ich bin nicht generell gegen Tradition und Kultur“, erklärt Schwester Ephigenia. „Nur gegen menschenverachtende Praktiken.“ So wie den Beschneiderinnen eine andere berufliche Perspektive eröffnet werden müsse, damit sie aufhören, müsse den Menschen eine Alternative zum blutigen Ritual geboten werden, ohne die Gemeinschaft zu schwächen. Schwester Ephigenia entwickelte CROP, den „Christian Rite of Passage“, einen christlichen Initiationsritus. In den Ferien – dem Zeitpunkt für die Beschneidung – laden sie und ihre Mitstreiter Mädchen zu einem Wochenseminar ein. Die Eltern müssen sich vorab gegen FGM ausgesprochen haben. Die Stimmung im Seminar ist gelöst. Unter schattenspendenden Bäumen neben der Markuskirche sitzen 14-jährige Mädchen, tuscheln, kichern. Teenager, die es lustig finden, zu singen: Das sind meine intimen Stellen. Niemand darf sie berühren, zerstören und verletzen. Sie kennen alle CROP-Lieder und Tänze auswendig. Texte und Gesten stiften Gemeinschaft und tragen die Botschaft: Gott sah alles, was er geschaffen hatte: Es war sehr gut (Gen 1,31). Warum sollten wir es ändern?
Gute Gemeinschaft stiften
Ann Biego wirkt schüchtern, als sie vor die Mädchen tritt. Sie ist nicht gewohnt, vor Menschen zu sprechen. Trotzdem – findet sie – ist das nun notwendig. Mit jedem Satz wird ihre Stimme fester: „Haltet zusammen! Lasst euch nicht einschüchtern.“ Die 16-Jährige weiß, wovon sie redet. Ihre Mutter bewahrte sie vor der Genitalverstümmelung, doch ihre Schulkameradinnen machten ihr das Leben schwer. Es braucht Mut, eine andere Meinung zu haben, sich anders zu entscheiden als die Mehrheit. Wer in manchen Regionen und Dörfern FGM ablehnt, läuft noch immer Gefahr, verachtet zu werden. „Ich möchte nach der Schule Kosmetikerin werden und eigenes Geld verdienen“, sagt Ann. „Vielleicht heirate ich auch, wenn ich einen netten Mann finde.“ Wieder Gekicher unter den Mädchen. Wie ihre Schulkameradinnen, die beschnitten werden, werden auch die CROP-Mädchen unterrichtet. Es geht um das Erwachsenwerden, um Fragen der Sexualität, Partnerschaft und Familie, um die Beziehung zu Gott. Am Ende gibt es einen feierlichen Gottesdienst. Die Mädchen erhalten ein Zertifikat, ein buntes T-Shirt und feiern mit ihren Gästen. 2016 haben 948 Mädchen an CROP-Seminaren teilgenommen, 45 neue Netzwerker hat Schwester Ephigenia ausgebildet. „Ich bin mir sicher, wir können FGM innerhalb einer Generation besiegen, wenn wir weiter Unterstützung bekommen.
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Was kann die Medizin tun? Interview mit Priv.-Doz. Dr. med. Dan mon O'Dey