Ausflug ins LebenDas Friedhofsmobil in Köln ermöglicht Hochbetagten und Gehbehinderten eine Fahrt
zum Friedhof und ist dabei viel mehr als nur ein Taxi. kontinente hat zwei
Fahrer und ihre Gäste begleitet - mit dem Auto direkt bis ans Grab. |
„Meinen Sie, ich bin warm genug an?“ Katharina Reiprich schaut prüfend an sich hinunter. Zwar hat sie vorhin schon kurz nach ihren Petunien und Edellieschen auf dem Balkongeschaut und ein paar verwelkte Blüten abgezupft, aber so richtig vor der Tür war sie heute noch nicht. „Ich denke schon“, sagt Godehard Bettels und schiebt pragmatisch nach: „Ansonsten bekommen Sie meine Jacke.“ Er begleitet die 91-Jährige durch den Hausflur und über die Treppe nach draußen. Seit 50 Jahren lebt Katharina Reiprich in einem Mehrfamilienhaus in Köln-Nippes. Lange war sie für die Verwaltung zuständig. „Aber irgendwann ist auch mal Schluss“, sagt sie. Irgendwann müsse man anerkennen, dass das Leben einem Grenzen setzt. Sehr schmerzhaft hat die zierliche Dame auch andere Grenzen des Lebens erfahren müssen. Als 2017 erst ihr Mann Franz und im Jahr darauf ihre Tochter Inge starben, „da bin ich richtig zusammengeschrumpft“, sagt sie. Ein Kuraufenthalten Bad Kissingen habe ihr zwar wieder etwas Kraft gegeben, aber die Trauer sei natürlich noch da und die Herausforderung, die letzte Wegstrecke ohne die geliebten Familienmitglieder gehen zu müssen.
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Ein Mittel gegen Einsamkeit
An normalen Tagen ist Katharina Reiprich Franz und Inge in Gedanken nahe, wenn sie die Fotos anschaut, die auf dem Sims des Wohnzimmerschranks stehen. Aber heute wird sie ihnen noch ein bisschen näherkommen können – dank Godehard Bettels. Der 55-Jährige ist seit der ersten Stunde Fahrer des Kölner Friedhofsmobils. Er hilft ihr in den Wagen. Auf dem Weg zum Nordfriedhof erzählt Katharina Reiprich ihm von ihrem E-Scooter, den sie sich zugelegt hat, nachdem sie seit zwei Jahren auf das Autofahren verzichtet. |
Sie zögere aber, damit längere Strecken zurückzulegen. „Was ist, wenn ich liegen bleibe? Kommst du dann und schleppst mich ab?“ Beide lachen. Katharina Reiprich genießt die Fahrt offensichtlich. Am Autofenster zieht das Leben vorbei: Mütter mit Kinderwagen, Rentner, die ihren Hund ausführen, Verkäufer, die Schaufenster dekorieren, eilige Geschäftsleute mit Coffee-to-go-Becher in der Hand.„Ach, ich mag alte Häuser“, sagt die elegante Seniorin und legt den Kopf zur Seite, um das gelb gestrichene Gebäude mit dem schmiedeeisernen Balkon, indem sie gerade vorbei fährt, noch besser sehen zu können, „vor allem, wenn sie schön ordentlich sind.“
So viele Eindrücke! So viel Leben! Katharina Reiprich saugt alles in sich auf. „Wie gut, dass es das Friedhofsmobil gibt“, sagt sie. Einmal im Monat habe sie so Gelegenheit, etwas weiter herauszukommen und ihre Angehörigen zu besuchen. 2002 ist das Friedhofsmobil auf Initiative von Josef Terfrüchte, 69, gegründet worden. Terfrüchte, mittlerweile im Ruhestand, aber damals Geschäftsführer der Genossenschaft Kölner Friedhofsgärtner eG, erzählt über die Anfänge: „Immer wieder berichteten mir ältere Damen, sie würden das Grab ihres Mannes aufgeben, da sie nicht mehr alleine dorthin gehen könnten. Ich fragte mich: Wie oft mag es solche Fälle geben in Köln?“ 2019 lebten in der Domstadtknapp 60 000 Einwohner, die 80 Jahre oder älter waren. Deutschlandweit sind es gut 2,8 Millionen Hochbetagte (über 85 Jahre). Ihre Zahl hat sich seit 1991 fast verdoppelt. Viele dieser Menschen leben alleine oder in einem Heim. Mit zunehmender Gebrechlichkeit wird ihr Bewegungsradius kleiner, sie verlassen aus Unsicherheit die Wohnung nur noch für Einkäufe oder Arztbesuche. „Um etwas gegen die Einsamkeit älterer Menschen zu tun und ihnen heilsame Abschiede zu ermöglichen, haben wir das Friedhofsmobil geschaffen“, sagt Terfrüchte. Denn Trauer, das weiß er aus eigener Erfahrung, „hört nicht einfach nach sechs Monaten auf“.
Text: Eva-Maria Werner; Fotos: Gudrun Petersen
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