Auf der HutChristen in Pakistan leben gefährlich. Sie bleiben unter sich, mucken nicht auf. Und halten zusammen.
Das Klima zwischen Muslimen und anderen Religionen hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend verschlechtert.
Religiöse Intoleranz und Übergriffe sind alltäglich. |
Text: Andreas Unger; Fotos: Florian Kopp
Sharifah* kann sich mit Muslimen über den Regen unterhalten, über das Essen und über Cricket, über den Zustand der Straßen, den Gestank der Textilfabriken und sogar über Politik. Aber nicht über Religion. Denn es gibt da diesen Punkt. Sharifah kennt ihn genau, aber sie kann ihn nicht beschreiben und nicht vorhersehen. Es ist der Punkt, an dem ein Gespräch plötzlich abbricht und ein Streit anfängt. Sharifahs Freundin Naima zum Beispiel ist Muslima und interessierte sich für das Christentum. Sharifah erzählte ihr von den christlichen Feiertagen, lud sie an Weihnachten ins Haus ihrer Familie ein. Eines Tages fragte Naima, was Sharifah da um das Handgelenk gewickelt habe. „Einen Rosenkranz“, sagte Sharifah, und Naima fragte, ob sie ihn auch einmal überstreifen dürfe. In dem Augenblick ging ein Bekannter der beiden dazwischen, schrie „Berühre das nicht!“, sprach aufgeregt vom „Beschmutzen der Würde“ und von „Ungläubigen“. Seitdem ist weitgehend Funkstille zwischen Naima und Sharifah. Sharifahs Vater Amin kennt diesen Punkt ebenso. Er hat als Chauffeur eines Pakistanis gearbeitet. Es war für alle Mitarbeiter selbstverständlich, zusammen zu essen. Bis seine muslimischen Kollegen eines Tages fanden, es mache sie unrein, mit einem „Kufr“, einem „Ungläubigen“, ihr Essen zu teilen. Fortan aß er aus separaten Töpfen und Tellern, trank aus separaten Gläsern, und zwar in einem separaten
Zimmer. Bis er kündigte.
„Da kommt der Ungläubige“
Auch der Lehrer Yasin Masih stößt ab und an auf diesen Punkt. Als er noch Student war, neckten ihn eines Tages muslimische Kameraden: „Da kommt der Ungläubige!“ Der Christ Yasin, so sagten sie, glaube an drei Götter, nämlich Vater, Sohn und den Heiligen Geist. Zum Spaß antwortete Masih: „Ihr seid viel schlimmer als ich, ihr glaubt an 99 Götter!“, eine Anspielung auf die 99 Namen, die die Moslems laut einem Hadith für Allah kennen. Die Neckerei mag über 20 Jahre her sein, aber Masih hat sie sich gemerkt. Er ist vorsichtig geworden: „Man kann solche Witze schon machen, aber man muss sehr genau wissen, wen man dabei vor sich hat.“ Solche Geschichten kennt jeder Christ in Pakistan. Sie stehen nicht in den Zeitungen, obwohl sie mehr aussagen über das tägliche Zusammenleben als die Schlagzeilen, von denen später noch die Rede sein wird. Das schwierige Verhältnis zwischen Christen und Moslems mag mit der schmerzhaften Entstehung Pakistans zusammenhängen: Als es sich 1947 von Indien abspaltete, wurden auf beiden Seiten Millionen Menschen vertrieben, Muslime nach Pakistan, Hindus nach Indien. Hunderttausende starben. Das Land verstand sich von Anfang an als „Islamische Republik Pakistan“. So steht es auch heute in jedem Pass, übrigens zusammen mit dem Satz: „Gültig für alle Länder außer Israel.“ Abgrenzung ist ein Hauptmerkmal pakistanischer Identität.
* Alle Namen im Text geändert
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