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An der Gren­ze

Als Tes­faye Pe­tros aus­ge­rech­net um den Ein­satz in Äthio­pi­ens Kri­sen­re­gi­on Gam­bel­la bit­tet,
hal­ten ihn vie­le für ver­rückt. Doch bis heu­te hat er sei­ne Mis­si­on im Grenz­ge­biet zum Süd­s­u­dan nicht be­reut.

Text: Bet­ti­na Ti­bur­zy
Fo­tos: Hart­mut Schwarz­bach

Noch am Flug­ha­fen in Äthio­pi­ens Haupt­stadt Ad­dis Abe­ba hat­ten Freun­de und Fa­mi­lie ver­sucht, Tes­faye Pe­tros auf­zu­hal­ten: „Warum willst du da­hin? Steig nicht ins Flug­zeug. Du wirst ster­ben.“ Ver­ge­bens. In Gam­bel­la mach­te ge­ra­de ein blu­ti­ger Kon­f­likt zwi­schen ver­schie­de­nen Volks­grup­pen lan­des­weit Schlag­zei­len. Die Re­gi­on, die an den Süd­s­u­dan grenzt, gilt als un­si­cher und un­ru­hig. Auch das Kli­ma in Gam­bel­la stellt ei­ne Her­aus­for­de­rung dar. Wäh­rend der Tro­cken­zeit herrscht oft ex­t­re­me Hit­ze. In der Re­gen­zeit ist Gam­bel­la ei­nes der ge­fähr­lichs­ten Mala­ria­ge­bie­te Äthio­pi­ens. Aber Tes­faye, der kurz zu­vor zum Pries­ter ge­weiht wor­den war, hielt all das nicht ab. „Ich woll­te für die­je­ni­gen da sein, die sonst nie­man­den ha­ben: die Ar­men, die Aus­ge­g­renz­ten, die­je­ni­gen, die oh­ne Hoff­nung sin­d“, er­klärt er. Das ist jetzt 14 Jah­re her. Tes­faye lenkt den Ge­län­de­wa­gen über die un­e­be­ne Bu­ckel­pis­te ent­lang ei­nes brei­ten Flus­ses. Nur in der Tro­cken­zeit ist der Weg am Ba­ro be­fahr­bar. Wäh­rend der Re­gen­zeit nutzt der Pfar­rer ein Boot, um die acht Ge­mein­den zu er­rei­chen, für die er zu­stän­dig ist.

Der Strom schlän­gelt sich durch die tro­cke­ne und aus­ge­dörr­te Sa­van­nen­land­schaft. Nur die Ufer sind grün. Übe­rall sie­deln Dorf­ge­mein­schaf­ten. Ein Mann im Ein­baum pad­delt strom­auf­wärts. Drei Jun­gen pl­an­schen vergnügt im Was­ser. Frau­en am Ufer
neh­men Fi­sche aus. In ei­ner Schu­le, ein paar 100 Me­ter wei­ter, lie­gen ver­st­reut Sch­reib­blät­ter auf dem Bo­den, Schul­bän­ke sind zer­stört. Im Fens­ter­rah­men ei­ner Kir­che hängt zer­bro­che­nes Glas. Zeug­nis­se ei­nes An­griffs auf das Dorf. Im­mer wie­der kommt es in der Re­gi­on im Süd­wes­ten Äthio­pi­ens zu ge­walt­sa­men Au­s­ein­an­der­set­zun­gen. Oft sind es die bei­den größ­ten Völ­ker, die Anuak und die Nu­er, die mit­ein­an­der in St­reit ge­ra­ten. Die Anuak le­ben als Fi­scher und Bau­ern an den Fluss­u­fern, die Nu­er sind tra­di­tio­nell Vieh­hir­ten. Es geht um Land, um Vieh und wie sooft in Afri­ka auch um Po­li­tik. „Für vie­le hat das men­sch­li­che Le­ben kei­nen Wert, es ist we­ni­ger wert als das ei­nes Tie­res“, meint Pfar­rer Tes­faye.

Die Kin­der des Dor­fes ha­ben ihn mitt­ler­wei­le ent­deckt. Ei­ne Trau­be von meh­re­ren Dut­zend hüpft auf­ge­regt um den 40-Jäh­ri­gen her­um, bar­fuß, die meis­ten mit frei­em Ober­kör­per und
ei­ni­ge mit auf­ge­bläh­ten Bäu­chen.
Ein deut­li­ches Zei­chen für Man­ge­l­er­näh­rung und Wurm­be­fall. In den Dör­fern sind die Men­schen oft auf sich al­lein ge­s­tellt, es fehlt an al­lem: Es gibt kein sau­be­res Trink­was­ser, kei­ne me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung, kaum Schu­len. Frau­en ha­ben in den Ge­mein­schaf­ten kein Mit­spra­che­recht, oft wer­den sie schon im Kin­desal­ter zwangs­ver­hei­ra­tet. Die Kir­che hilft, wo sie kann. Sie baut Brun­nen, be­t­reibt Ge­sund­heits­sta­tio­nen, ei­ne Kli­nik, Kin­der­gär­ten und Schu­len. „Wir hel­fen den Men­schen, die krank sind, fah­ren sie in ein Kran­ken­haus, wir sor­gen für sau­be­res
Was­ser. Auch das ist für mich Evan­ge­li­sie­rung“, er­klärt Pfar­rer Tes­faye, der seit ei­ni­gen Jah­ren der Ge­ne­ral­vi­kar in Gam­bel­la ist. Seit 2015 ver­tritt er auch den er­krank­ten Bi­schof.

Die ka­tho­li­sche Kir­che in Gam­bel­la ist jung. Im Jahr 2000 ent­stand hier ei­ne Apo­s­to­li­sche Prä­fek­tur, 2009 ein Apo­s­to­li­sches Vi­ka­riat. Bei­des sind Vor­stu­fen zu ei­ner Diöze­se. Mitt­ler­wei­le zählt die ka­tho­li­sche Ge­mein­schaft 27000 Gläu­bi­ge, in ei­nem Ge­biet mit ei­ner Fläche fast so groß wie das Bun­des­land Ba­den-Würt­tem­berg.
Ein Her­zens­an­lie­gen von Pfar­rer Tes­faye ist es, sich für ein fried­li­ches Zu­sam­men­le­ben al­ler Volks­grup­pen ein­zu­set­zen. An­ders als an­de­re Kir­chen vor Ort ge­hö­ren der ka­tho­li­schen Kir­che in Gam­bel­la Men­schen un­ter­schied­li­cher Eth­ni­en an: Anuak, Nu­er und auch die klei­ne­ren Völ­ker Ma­jang, Ko­mo und Opo. „Wir be­ten mit­ein­an­der, wir es­sen und ler­nen ge­mein­sam. Wir brin­gen die Men­schen zu­sam­men“, er­klärt er. „Das ist die Ein­heit der ka­tho­li­schen Kir­che.“

Skla­ven­han­del am Ba­ro
Zwei Jun­gen wa­ten durch den Fluss, ein Netz zwi­schen sich auf­ge­spannt. Ein an­de­rer treibt ei­ne Her­de Zie­gen und Rin­der vom stau­bi­gen Ufer die Bö­schung hin­ab ins Was­ser. Der Ba­ro ist die Le­ben­sa­der der Re­gi­on. Der Strom fließt vom äthio­pi­schen Hoch­land durch die Re­gi­on Gam­bel­la in den Süd­s­u­dan und von dort wei­ter in den Wei­ßen Nil und nach Khar­tum. Die Stadt Gam­bel­la, Haupt­stadt der gleich­na­mi­gen Re­gi­on, war einst ein be­deu­ten­der Han­dels­pos­ten. Zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts ver­schiff­ten die Bri­ten von hier aus El­fen­bein, Baum­wol­le und Kaf­fee ins su­da­ne­si­sche Khar­tum.
Jahr­hun­der­te­lang wa­ren es aber vor al­lem Skla­ven, die über den Ba­ro in den Su­dan trans­por­tiert wur­den. Die Re­gi­on ge­hör­te zu den Jagd­ge­bie­ten von Skla­ven­händ­lern aus dem äthio­pi­schen Hoch­land und aus dem Su­dan. Sie mach­ten Jagd auf schwarz­afri­ka­ni­sche Völ­ker. Noch heu­te lei­den die Men­schen in Gam­bel­la un­ter der Ver­gan­gen­heit. Auf­grund ih­rer dun­k­len Haut­far­be wer­den sie dis­kri­mi­niert und ab­fäl­lig als „schwar­ze Skla­ven“ be­zeich­net. „Vie­le füh­len sich min­der­wer­ti­g“, er­zählt Pfar­rer Tes­faye. „Manch­mal trau­en sie sich nicht, auf an­de­re zu­zu­ge­hen. Sie schä­m­en sich, ih­re ei­ge­nen Stam­mes­spra­chen zu sp­re­chen. Aber wir er­mu­ti­gen sie.“
Die Kir­che lädt sie zu ih­ren Ver­an­stal­tun­gen und Work­shops ein. „Wir müs­sen ein Be­wusst­sein schaf­fen und den Men­schen hier zei­gen, dass sie ge­n­au­so fähig sind wie al­le an­de­ren“, sagt Pfar­rer Tes­faye.

Kon­f­lik­te an der Gren­ze
Ob­wohl die Skla­ve­rei of­fi­zi­ell schon lan­ge ab­ge­schafft ist, kommt es auch heu­te in der Re­gi­on Gam­bel­la im­mer wie­der zu Raub­zü­gen, bei de­nen Men­schen ver­sch­leppt wer­den. Im
Jahr 2015 dran­gen Be­waff­ne­te aus dem Süd­s­u­dan in ein Anuak-Dorf ein und ent­führ­ten die bei­den Söh­ne ei­ner Ka­tho­li­kin aus der Ge­mein­de von Pfar­rer Tes­faye. „Die Mut­ter der Kin­der, Apayi, be­rich­te­te mir, dass be­waff­ne­te Män­ner ihr Dorf über­fie­len und Omo­de und Obang, drei und vier Jah­re alt, mit­nah­men.“ Sol­che Über­fäl­le fin­den in der Grenz­re­gi­on im­mer wie­der statt. Die Mur­le, ein Volk von Vieh­hal­tern aus dem Süd­s­u­dan, sind be­kannt da­für, bei Raub­zü­gen Kühe und Kin­der zu er­beu­ten. 2016 über­fie­len die Mur­le Dör­fer der Nu­er, ent­führ­ten 140 Kin­der und tö­te­ten rund 180 Men­schen.

Rin­der­raub ist un­ter den Völ­kern im Süd­s­u­dan ei­ne gän­gi­ge Pra­xis, mit der sich jun­ge Män­ner den Re­spekt in ih­rer Ge­mein­schaft er­wer­ben. „Die ent­führ­ten Kin­der tau­schen sie ge­gen Küh­e“, er­zählt Pfar­rer Tes­faye. „Män­ner, die hei­ra­ten wol­len, müs­sen den Braut­preis in Rin­dern zah­len.“
Erst das Ein­g­rei­fen der äthio­pi­schen Ar­mee, die die Ent­füh­rer bis in den Süd­s­u­dan ver­folg­te, und Ver­hand­lun­gen durch die äthio­pi­sche Re­gie­rung führ­ten da­zu, dass 80 Kin­der nach Hau­se zu­rück­keh­ren konn­ten. Apay­is Söh­ne sind bis heu­te ver­schwun­den. „Es sind die­se Mo­men­te, in de­nen es mir schwer­fällt, Wor­te des Tros­tes zu fin­den“, sagt Pfar­rer Tes­faye. „Ei­nes Ta­ges wer­den die Kin­der wie­der bei dir sein“, sag­te ich zu Apayi. „Man darf die Hoff­nung nie auf­ge­ben.“

Doch manch­mal fal­len selbst dem Mut­ma­cher Tes­faye kaum noch trös­t­en­de Wor­te ein. In der Os­ter­nacht, un­mit­tel­bar nach der Mes­se, war der 13-jäh­ri­ge Ale­mo in den Fluss ge­s­tie­gen. Ale­mo hat­te als Mess­die­ner in der Mes­se ge­di­ent. Es war ei­ne tro­pisch-hei­ße Nacht. „Ale­mo woll­te sich im Fluss ab­küh­l­en“, er­zählt der Pries­ter. „Kurz ha­ben wir ge­hört, dass ein Kro­ko­dil ihn an­ge­grif­fen hat. Wir sind zum Fluss ge­rannt, aber konn­ten den Jun­gen im Dun­keln nir­gend­wo ent­de­cken.Wir ha­ben die gan­ze Nacht ge­sucht. Erst zwei Ta­ge spä­ter konn­te sei­ne Lei­che ge­bor­gen wer­den. Ich ha­be das Dorf zu­sam­men­ge­ru­fen, und wir ha­ben für Ale­mo ge­be­tet.“ Im­mer wie­der ster­ben in Gam­bel­la Kin­der, weil sie von Kro­ko­di­len an­ge­grif­fen wer­den oder im Fluss er­trin­ken.

Acht Ki­lo­me­ter nörd­lich des Ba­ro liegt das Ku­le Flücht­lings­la­ger. Es ist ei­nes von meh­re­ren Camps, in dem Ge­flüch­te­te aus dem Süd­s­u­dan Zu­flucht ge­fun­den ha­ben. Hüt­ten aus Lehm und Stroh rei­hen sich ki­lo­me­ter­lang an­ein­an­der. Pfar­rer Tes­faye lenkt sei­nen Ge­län­de­wa­gen durch das La­ger zu ei­ner Ka­pel­le, wo ei­ne Grup­pe Frau­en, Män­ner und Kin­der freu­di­ge Ge­sän­ge an­stim­men. Die Luft flirrt. Es sind 40 Grad im Schat­ten. Doch die Hit­ze bremst hier nie­man­den. Im­mer mehr Men­schen strö­men her­bei. Sch­ließ­lich zie­hen die Süd­s­u­da­ne­sen sin­gend, tan­zend und trom­melnd mit ih­rem Pfar­rer in die Ka­pel­le ein. Der Pries­ter küm­mert sich auch um süd­s­u­da­ne­si­sche Flücht­lin­ge in den Camps. Seit 2013 tobt im Süd­s­u­dan ein blu­ti­ger Bür­ger­krieg. Mehr als zwei Mil­lio­nen Men­schen sind in die Nach­bar­staa­ten ge­f­lo­hen, mehr als 400000 da­von nach Äthio­pi­en in die süd­west­li­che Pro­vinz Gam­bel­la. Dar­un­ter die 17-jäh­ri­ge Eli­sa­beth und ih­re klei­ne Schwes­ter Nya, die mit ih­rer Fa­mi­lie zu Fuß nach Äthio­pi­en flüch­te­ten.

Trotz al­lem glau­bens­stark
Eli­sa­beth trägt das grü­ne Ge­wand des Kir­chen­chors, steht wäh­rend der Mes­se in der ers­ten Rei­he, Nya im wei­ßen Sonn­tags­k­leid­chen da­ne­ben. Das Mäd­chen, ge­ra­de mal fünf Jah­re alt, singt in­brüns­tig und text­si­cher al­le Lie­der mit. Nach der Mes­se su­chen die Got­tes­di­enst­be­su­cher das Ge­spräch mit dem Pries­ter. Er kennt ih­re Sor­gen: „Man­che ha­ben ih­re gan­ze Fa­mi­lie
ver­lo­ren. Sol­che Er­fah­run­gen kön­nen die Grund­fes­te dei­nes Glau­bens er­schüt­tern.“ Um­so mehr be­ein­druckt ihn der tie­fe Glau­be der Flücht­lin­ge: „Trotz ih­res gro­ßen Lei­des ha­ben sie ih­ren Glau­ben nicht ver­lo­ren. Dies ist ei­ne gu­te Er­fah­rung, auch für die ein­hei­mi­schen Ka­tho­li­ken in Gam­bel­la“, meint Pfar­rer Tes­faye.

Die Her­aus­for­de­run­gen in Gam­bel­la sind ge­wal­tig. Aber Pfar­rer Tes­faye sieht, dass sich die Din­ge lang­sam wan­deln. „Die Men­schen in­ter­es­sie­ren sich für den Glau­ben. Sie ha­ben Fra­gen. Sie su­chen nach ei­nem tie­fe­ren Sin­n“, er­zählt er. „Nach und nach be­gin­nen sie, das Le­ben mehr zu schät­zen.“ Im­mer öf­ter kom­men Dorf­ge­mein­schaf­ten auf Pfar­rer Tes­faye zu und bit­ten ihn, die Kir­che sol­le auch in ihr Dorf kom­men. Doch die Kir­che hat zu we­ni­ge Pries­ter. Auch dar­um legt er gro­ßen Wert auf die Aus­bil­dung von Ka­te­chis­ten. Stolz ist Pfar­rer Tes­faye dar­auf, Kin­dern und Ju­gend­li­chen, be­son­ders Mäd­chen, zu ei­ner gu­ten Aus­bil­dung zu ver­hel­fen. „Ich se­he wie sie die Uni­ver­si­tät oder das Col­le­ge ab­sch­lie­ßen und zum Vor­bild für an­de­re wer­den. Oga­to, ei­ne jun­ge Frau, ha­be so­gar dem Druck der Fa­mi­lie, die sie ver­hei­ra­ten woll­te, wi­der­stan­den und zu­erst ih­re Aus­bil­dung zur Kran­ken­schwes­ter be­en­det. „Oga­to ist ei­ne vor­bild­li­che Schü­le­rin. Es gibt vie­le wie sie, und wir müs­sen sie för­dern.“

Nach 14 Jah­ren in Gam­bel­la ist Pfar­rer Tes­faye noch so hoff­nungs­froh wie am Tag sei­ner An­kunft. „Das Evan­ge­li­um ist vol­ler Ant­wor­ten und Hoff­nung. Die­je­ni­gen zu er­rei­chen, die in Not sind, und ih­nen zu hel­fen, macht mich in mei­nem pries­ter­li­chen Le­ben glück­li­ch“, sagt er und er­gänzt mit ei­nem Au­gen­zwin­kern: „Gam­bel­la ist der sc­höns­te Ort der Welt.“


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