Gottes Mann im NiemandslandEs gibt viele Dörfer wie Kasongo im Südosten der Demokratischen Republik Kongo:
abgelegene Siedlungen, wo nie ein Bus hält, ohne Schule und ohne Krankenstation. Die Menschen
sind bitterarm und der Regierung gleichgültig. Pfarrer Gustave sind sie es nicht. |
Text: Beatrix Gramlich; Fotos: Hartmut Schwarzbach
Als der Fotograf die Kamera auf das Mädchen richtet, wird ihm seine Armut schlagartig bewusst: das schmutzige, zerrissene Kleid, in dem der magere Körper steckt, die bloßen Füße, über die es so gerne ein Paar Plastiksandalen streifen würde. Es schämt sich. „Schuhe bekommen die Kinder erst, wenn sie in die höhere Schule gehen“, erklärt Pfarrer Gustave Kileya Mukobe. „Weil die Schule es verlangt.“ Die Eltern müssen sich das Geld dafür vom Mund absparen.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht von Père Gustaves Ankunft im Dorf. Die Kinder haben den Priester zuerst bemerkt und strömen aus allen Himmelsrichtungen zusammen. Es scheint, als würde die 1200-Seelen-Gemeinde nur aus Kindern bestehen. Im Nu haben sie den 44-Jährigen umringt und weichen ihm nicht von der Seite. Sie lieben Père Gustave. Wenn er einmal im Monat kommt, in der kleinen Lehmziegelkapelle Gottesdienst feiert und ihnen Religionsunterricht gibt, spielt er danach oft noch mit ihnen. Heute ist er einfach so gekommen. Aber wie immer geht er von Hütte zu Hütte, besucht die Kranken, fragt, wer Hilfe braucht. Die Kinder heften sich wie ein Bienenschwarm an ihn.
„Es ist gefährlich, hier Gottesdienst zu feiern“
Vor der Kapelle bleibt Père Gustave stehen. Nur das Kreuz über der Eingangstür unterscheidet sie von den Hütten im Dorf. Der Innenraum ist dunkel und nur wenige Quadratmeter groß. Aussparungen in der Mauer ersetzen die Fenster und lassen kaum Licht eindringen. Es gibt vier Reihen Bänke mit einer Handvoll krummer Äste als Sitze und den Altar: ein Lehmblock, auf den sie ein paar grobe Bretter gelegt haben. Die Kapelle ist alt und baufällig, ihr Grasdach an mehreren Stellen eingefallen. „Es ist gefährlich, hier Gottesdienst zu feiern“, sagt Pfarrer Gustave. Deshalb haben die Männer weniger Meter weiter begonnen, ein neues Gotteshaus zu errichten. Sie bauen mit dem, was sie haben: Spitzhacke und Schaufel, selbst gebrannten Lehmziegeln und ihrer Hände Arbeit. Stolz berichten sie dem Pfarrer, wie sie vorankommen. Sein Interesse und seine anerkennenden Worte tun ihnen sichtlich gut.
Die Kinder sind oft sich selbst überlassen
Dann bewegt sich die Traube von Kindern weiter durchs Dorf – in ihrer Mitte der Priester, der alle um Längen überragt. Die Kleinen laufen an der Hand ihrer Geschwister mit, die Größeren schwatzen aufgeregt, die Selbstbewussten arbeiten sich zielstrebig an Père Gustave heran, damit ihnen nur ja kein Wort entgeht. Endlich ist etwas los in ihrem Dorf, diesem öden Flecken Erde, wohin sich nie ein Fremder verirrt und wo die Tage sich in unendlichem Einerlei verlieren. Tagsüber, wenn ihre Eltern auf dem Acker arbeiten, sind die Kinder oft sich allein überlassen. Auch jetzt sind die Männer noch auf den Feldern, wo sie Mais, Maniok und Erdnüsse anbauen. In guten Jahren reicht die Ernte gerade zum Leben. Aber es gibt mehr schlechte als gute Jahre. Bei vielen Kindern wölbt sich ein aufgeblähter Bauch unter ihrer zerrissenen Kleidung: ein Anzeichen für Darmparasiten und Mangelernährung. Das Wasser, das die Frauen aus dem Fluss holen, ist schmutzig und eine Brutstätte für Krankheitserreger. „Viele Kinder sterben, bevor sie das erste Lebensjahr erreicht haben“, erklärt Père Gustave. Cholera, Malaria und Wurmerkrankungen sind hier allgegenwärtig. Katanga, wie der Südosten des Landes heißt, ist die Region mit der größten Mangelernährung im Kongo.
Der Staat ist weit weg
Plötzlich taucht eine Frau auf und bahnt sich eilig den Weg zum Pfarrer. Kishimba Kamengwa hat sie geschickt, um Père Gustave zu sich zu bitten. Der Priester kennt das. Die Leute lassen ihm oft durch Dritte ausrichten, wenn sie ihn brauchen. Er ahnt, dass es dringend ist, und macht sich sofort auf den Weg – vorbei an zwei riesigen Mangobäumen, unter denen sich die Dorfbewohner zum Palaver treffen, an Frauen, die im Abendlicht vor ihren Hütten sitzen, an Kindern, die sich gegenseitig die Läuse vom Kopf pulen. Die trockene Erde staubt unter jedem Schritt und überzieht Père Gustaves Schuhe mit einer feinen, pulvrigen Schicht. Der große Tross der Kleinen folgt ihm beharrlich. Kishimba Kamengwa wartet schon vor ihrer Hütte. Auf dem Arm hält sie ihren Enkel Simon. Der Junge ist zwei Jahre alt. Seine Beinchen ragen wie dürre Äste aus der Hose, sein Kopf kippt zur Seite, als wäre die Last zu schwer für den schmächtigen Körper. Simons Mutter starb, als er noch ein Baby war. Damals hatte Großmutter Kishimba noch Milch für ihn, weil sie gerade das letzte ihrer eigenen sieben Kinder stillte. Jetzt ist ihr Enkel akut mangelernährt. Pfarrer Gustave verspricht, einen Arzt und die Krankenstation der Diözese zu verständigen, damit der Junge Hilfe bekommt. Der Regierung in Kinshasa sind die Menschen in Kasongo nicht mehr als ein Achselzucken wert. Doch noch schockierender als die Armut, die einem in jedem Winkel dieses trostlosen Fleckens begegnet, ist die Tatsache, dass niemand Notiz davon nimmt. „Der Staat ist weit weg“, sagt Père Gustave.
Kabila, der Luxusherrscher
So ganz aber stimmt das nicht. Präsident Joseph Kabila ist oft in der Gegend. Unweit von Kasongo beginnt der Kudelungu-Nationalpark. Dort auf dem Bergplateau hat sich der 46-Jährige eine 450000 Hektar große Luxusfarm bauen lassen, wo er sich an den Wochenenden von den Staatsgeschäften erholt. Kabila gehört zu den reichsten Männern Afrikas, sein Privatvermögen wird auf 15 Milliarden US-Dollar geschätzt. Laut Nachrichtenagentur Bloomberg kontrolliert seine Familie mehr als 120 Schürflizenzen für Gold, Diamanten, Kupfer, Kobalt und andere wertvolle Mineralien in dem rohstoffreichen Land. Darüber hinaus hat sie ein weit verzweigtes, undurchsichtiges Firmennetz aufgebaut, das sich auf nahezu alle Wirtschaftsbereiche des Kongo erstreckt. Selbst Zahlungen für eine UN-Polizeistation landeten bei Kabilas Familie. Milliarden Dollar hat der Clan auf Auslandskonten oder in Steueroasen geschleust. Vermutlich ist sein gewaltiges Vermögen ein Grund, warum der Präsident nicht abtreten will, Neuwahlen verhindert und mit Gewalt um eine dritte Amtszeit kämpft, die ihm laut Verfassung nicht zusteht. Kabila sieht das anders: „Wir arbeiten 24 Stunden am Tag, damit diese Wahlen stattfinden“, sagte er vor einem halben Jahr in einem „Spiegel“-Interview.
Der Menschenfreund
Auch Père Gustave könnte ein angenehmes Leben führen. Er hat in Italien studiert und dort in Pfarreien gearbeitet. Aber er wollte zurück in die Heimat und sein Leben mit den Menschen teilen, um die sich sonst niemand kümmert. Deshalb ist er Priester geworden. Sein Vorbild sind die Missionare aus dem Dorf seiner Kindheit. „Ich habe gesehen, wie sie in einer Hütte lebten und sich für die Menschen aufopferten. Das waren wahre Priester. Ich wollte es machen wie sie und so Jesu Spuren folgen.“ Père Gustave arbeitet seit vier Jahren in Kasongo. Es ist eins von sechs Dörfern im Umkreis von 50 Kilometern, die er betreut. Sobald er irgendwo auf seinem Motorrad auftaucht, suchen die Menschen seine Nähe. Materiell kann er ihnen nicht viel geben; die Kirche im Kongo ist arm. Auf den Pfarrer können sie sich verlassen, er ist für sie da, versteht sie. Er lässt sie ihre Würde spüren.
Im Dorf Muntembela hat das Bistum eine Schule gebaut. Genau genommen ist sie kaum mehr als eine bessere Hütte und hat trotzdem viel verändert. Die Kinder müssen nicht mehr stundenlang zum Unterricht laufen, und die Dorfbewohner haben einen Raum, in dem sie sich treffen können. Hier kommen Frauengruppen zusammen, hier bietet die Kirche Kurse über Gesundheit und Landwirtschaft an, hier gibt Père Gustave Katechese und spricht mit den Jugendlichen – auch über Themen, die andere lieber meiden. „Sexualität ist ein Tabu in unserer Gesellschaft“, sagt er. „Die Mädchen wissen nicht, wie sie schwanger werden.“
Drei Dollar für 50 Kilo Holzkohle
Manche werden es und sind selbst noch ein Kind. Ange Mumba ist 18 Jahre alt; vor vier Jahren hat sie ihr erstes Baby bekommen, drei Jahre später das zweite. Sie lebt allein, der Kindsvater hat sich aus der Verantwortung gestohlen. Um Geld zu verdienen, stellt sie Holzkohle her – wie viele Bauern, die vom Ertrag ihrer Felder nicht leben können. Ange sammelt Holz und verkohlt es langsam in einem Ofen, den sie unter einem Erdhügel angelegt hat. Für 50 Kilo Holzkohle bekommt sie drei Dollar. Drei Dollar für zwei Wochen harte, schmutzige Arbeit. Die junge Frau hat Père Gustave nur widerstrebend zu ihrem Ofen geführt. Seine Fragen halten sie auf. Sie muss weitermachen. Während Ange antwortet, schaufelt sie mit bloßen Händen Holzkohle in einen Plastiksack. Was sie sich wünscht? Die Antwort ist knapp und eindeutig. „Geld, ein Bett, genug zu essen.“ Dann wuchtet sie sich den 15 Kilo-Sack auf den Kopf. Sie will ihn an die Straße tragen und dort einen Käufer finden, bevor es dunkel wird. Das wird sie über die nächsten Tage retten. Wenn kein Wunder passiert, wird es vermutlich so weitergehen. Als ledige Mutter hat Ange kaum Chancen, einen Mann zu finden. Ein Leben in Armut ist für sie vorgezeichnet.
Ratgeber, Seelsorger, Hoffnungsbote
Der Pfarrer kann nicht viel mehr tun als zuhören, Mut machen, beten. Die Menschen rufen ihn, wenn es Streitigkeiten oder Probleme in der Familie gibt. Père Gustave ist ihr Fenster zur Welt, ist Ratgeber, Seelsorger, Hoffnungsbote. „Ich sehe, dass viele leiden – materiell und spirituell“, sagt er.
„Besonders nachts, wenn ich Zeit habe nachzudenken, leide ich mit ihnen. Aber als Priester teile ich das Leid mit Christus. Er gibt uns immer wieder Kraft weiterzumachen.“ Als er den Heimweg antritt, winkt ihn eine Frau zu sich. In der Hand hält sie einen Bund Maniokblätter, den sie dem Pfarrer geben will. „Das wenige, das sie haben, verschenken sie“, sagt Père Gustave und schüttelt ungläubig den Kopf. Es sind Momente wie dieser, die sich ins Gedächtnis graben.
Afrikatag 2018
„Damit sie das Leben haben”, lautet das Leitwort zum Afrikatag 2018, den die katholische Kirche im Januar begeht. Die Kollekte an diesem Tag ist die älteste gesamtkirchliche Sammlung der Welt: 1891 rief sie Papst Leo XIII. ins Leben. Er bat um Spenden für den Kampf gegen die
grausamen Menschenjagden der Sklavenhändler auf dem Schwarzen Kontinent. Heute bitten die deutschen Bischöfe und missio um Hilfe für afrikanische Priester und Ordensfrauen. Sie sind in vielen Ländern die einzigen Hoffnungsträger für die Menschen, die unter Armut, Hunger und Unterdrückung leiden. Die Kollekte ermöglicht es, Priester und
Ordensfrauen in den bedürftigsten Ländern des Kontinents für Seelsorge und Sozialarbeit auszubilden. Im Blickpunkt der diesjährigen Aktion steht die Arbeit der Kirche in der Demokratischen Republik Kongo.
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