Kenias Ministerpräsident Raila Odinga bewirbt sich um das Präsidentenamt. Foto: World Economic Forum |
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Nicht mit Steinen und Macheten
Bei der Wahl in Kenia steht die Zukunft des Landes auf dem Spiel
04.03.2013 - Nairobi. Fünf Jahre nach einem bis dahin ungekannten Ausmaß an Blutvergießen in dem ostafrikanischen Land gehen die Kenianer am Montag, 4. März 2013, erneut zu den Wahlurnen. Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 starben etwa 1.300 Menschen bei Gewaltausbrüchen; eine halbe Million mussten aus ihren Häusern fliehen. Nun stehen die komplexesten Wahlen in der 50-jährigen Geschichte der stärksten regionalen Wirtschaftsmacht an: Die Wähler stimmen erstmals über sechs Positionen ab, vom Präsidenten und Parlamentarier über die neu geschaffenen Ämter des Gouverneurs, Senators, Bezirksvertreters und der Frauenbeauftragten.
Letztere sind die Folge einer 2010 nach jahrzehntelangem Ringen verabschiedeten neuen Verfassung, die einige der Hauptursachen für die Gewalt vermeiden helfen soll. Die Allmacht des Präsidenten ist beschnitten; die bisher zentralistische Autorität wird nach den Wahlen am 4. März zu einem erheblichen Teil auf 47 Bezirke (Counties) verteilt, die aus einem kleinen Parlament mit Fiskalgewalt bestehen und von einem Gouverneur geführt werden. Eine transparente Umgestaltung der Justiz hat begonnen; ihr oberster Richter ist weithin für seine Integrität geachtet. Die massive illegale Aneignung von Land nach der Unabhängigkeit des Landes - ein zentrales, aber äußerst sensibles Thema in Kenia - wartet allerdings noch auf eine Revision.
Sieben Bewerber und eine Bewerberin um das Präsidentenamt stehen zur Wahl. Einer davon ist der Sohn des ersten Präsidenten Jomo Kenyatta, Uhuru Kenyatta (51), der im Zusammenhang mit der Gewalt von 2007/08 vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt ist und dessen Prozess einen Monat nach der Wahl beginnen soll. Er gilt als chancenreich - obwohl in Umfragen stets mindestens die Hälfte der Bevölkerung eine Anklage vor dem Strafgerichtshof befürwortet. Kenyatta betont stets, er wolle mit dem Haager Tribunal zusammenarbeiten. Doch sollte er gewinnen, könnten Kenia diplomatische und wirtschaftliche Konsequenzen drohen. Ein Präsident Kenyatta könnte zudem Kenias Ratifizierung des Römischen Statuts von 1998 zurückziehen wollen - der Rechtsgrundlage des Tribunals -, um einer internationalen Strafverfolgung zu entgehen.
Der zweite Favorit ist Ministerpräsident Raila Odinga (68), den viele für den Gewinner der Wahl 2007 halten. Sollte im ersten Wahlgang kein Kandidat eine Mehrheit erzielen, würde eine Stichwahl am 10. April oder, bei Wahlanfechtung, am 1. Mai stattfinden. Bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 40 Millionen haben sich mit 14,2 Millionen kaum zwei Drittel der Wählerschaft für diese Wahlen registriert. Zahlreiche Friedensinitiativen und -botschaften von Zivilgesellschaft, Medien, Künstlern, Regierung und der Kandidaten selbst appellieren immer wieder an die Bevölkerung, das Ergebnis der Wahl zu akzeptieren und Einsprüche über Gerichte und nicht mit Steinen und Macheten abzuwickeln. Das Risiko erneuter Gewalt ist dennoch real - auch wenn mit einem weniger gewaltsamen Ausgang als 2007 zu rechnen ist. Noch immer mobilisieren Politiker ihre Anhänger entlang ethnischer Grenzen. Im Vorfeld der Abstimmung berichtete die kenianische Menschenrechtskommission von Fällen von Wählereinschüchterung und dem Kauf von Personalausweisen, um Wähler von der Abgabe ihrer Stimme abzuhalten.
Die neue Wahlkommission hat sich beim Verfassungsreferendum 2010 zwar bewährt, doch halten Beobachter sie für diese komplexe und logistisch enorm aufwendige Wahl für überfordert. Zudem steht durch die Dezentralisierung der Staatsverwaltung regional mehr Macht auf dem Spiel - was das Risiko von lokaler Gewalt verschärft. Die größte Gefahr besteht darin, dass Zweifel an der Transparenz der Wahlkommission aufkommen könnten. Bei dem zu erwartenden knappen Ergebnis der Präsidentschaftswahl könnte dies zur Eskalation führen.
Von Anja Bengelstorff
(C) KNA
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