Kopfgeld: Seine Gegner haben 400.000 Euro auf ihn ausgesetzt und bedrohen ihn mit dem Tod. Deshalb lebt Bischof Erwin Kräutler mit Polizeischutz. Foto: Adveniat |
|
Bischof Erwin Kräutler
Mutiger Einsatz am Amazonas
In der brasilianischen Diözese von Bischof Erwin Kräutler entsteht eines der größten Wasserkraftwerke der Welt. Der Bischof kämpft für den Erhalt der Lebensgrundlagen der Indios und gegen die Abholzung des Regenwaldes. Deshalb braucht Kräutler Leibwächter.
1986 sorgt ein junger Missionsbischof aus Brasilien mächtig für Unruhe im katholischen Bayern. Der damals 47-jährige Erwin Kräutler ist eingeladen, bei einer Demonstration gegen den Bau der atomaren Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf Gottesdienst zu feiern. Und er sagt zu. Drei Jahre vorher war Kräutler auf einer anderen Demonstration – allerdings weit weg von Europa. Im Nordosten Brasiliens blockierte er mit Zuckerrohrbauern, denen der Lohn vorenthalten wurde, die Transamazônica. Militärpolizisten knüppelten den Bischof von Xingu nieder und nahmen ihn in Arrest.
Widersprüchlich: Deutsche Politiker und Kirchenmänner, die sich daraufhin empört für den mutigen Bischof eingesetzt haben, sprechen ihm später in Wackersdorf das Recht ab, mit Demonstranten am Bauzaun zu beten. Bei jener Inhaftierung durch die Militärs war Erwin Kräutler zwei Jahre Bischof der Xingu-Prälatur. Rückblickend meint er: „Dieses Ereignis war für mich eine Art zweite Bischofsweihe. Denn damals haben die Menschen gesagt: ,Das ist unser Bischof. Lasst ihn frei!‘“
„Der sieht nicht aus wie ein Bischof.“
Wenn Bischof Kräutler heute in Europa auftritt, quellen die Säle über. Magisch zieht der drahtige Mittsiebziger im schwarzen Rollkragenpulli und seinem gewinnenden Lächeln Christen an, die sich nach einer anderen Art von Kirche sehnen. Sie sagen: „Der sieht nicht aus wie ein Bischof.“ Aber wie hat ein Bischof auszusehen? Die Menschen seiner Diözese jedenfalls erkennen Kräutler auch in T-Shirt und Jeans. Und sie treffen ihn auf der Straße. „Manche Dinge sind eben in Brasilien leichter“, erklärt er: „Hier sehen die Leute im Bischof ihren Bruder, der eine Funktion hat, eine Sendung, der einen Dienst an der Gemeinde ausführt. Man kann die Leute umarmen, man wird geküsst.“ Oft spricht er vom „pilgernden Volk Gottes“ und meint damit die 400.000 Kleinbauern, Fischer, Plantagenarbeiter und Indios in einer Diözese, die so groß wie Deutschland ist.
Kräutler passt nicht ins Klischee eines römisch-katholischen Bischofs. Das aber liegt weniger an seiner Kleidung, nicht einmal am ungezwungenen Umgang mit den Menschen. Es liegt vor allem am Auftrag, den er der Kirche in der Welt zumisst. Offen bekennt er sich als Befreiungstheologe. Und gefragt, ob ihn das in Rom nicht verdächtig mache, reagiert er gelassen: „Der Papst“, betont er, „hat zu mir gesagt: ,Erwin, mach weiter!‘“ Und auch wenn diese, von der Hoffnung auf eine gerechte Welt und Gesellschaft geprägte Lesart der Bibel in der römischen Glaubenskongregation immer wieder unter Häresieverdacht gerät, ist sich Kräutler sicher: „Befreiungstheologie wird es solange geben, solange es Arme unter uns gibt.“
Diese Armen trifft der Bischof von Xingu tagtäglich: Es sind Eltern, deren Kinder verstümmelt und ermordet wurden. Es sind Indios, die wegen des Staudammprojekts ihren Lebensraum und ihre Existenz verlieren. Es sind Kleinbauern, die von Großgrundbesitzern mit Privatarmeen von ihrer Landparzelle vertrieben werden. Ganz in der Tradition der Propheten Israels tritt er für sie ein bei den Mächtigen im Land, bei Präsidenten, Gouverneuren oder Verfassungsrichtern. Er beherrscht die Klaviatur der Rhetorik im Portugiesischen genauso wie in seiner Muttersprache, die unverkennbar seine Vorarlberger Wurzeln preisgibt.
Doch tief im Innern ist der heute 74-Jährige ein schlichter Priester: Das Breviergebet ist ihm wichtig und der Rosenkranz, auch die tägliche Eucharistiefeier. Als einfacher Leute Kind erlernt er im österreichischen Koblach einen bodenständigen Glauben und entdeckt die Spiritualität Joseph Cardijns, des Gründers der Katholischen Arbeiterjugend. Dessen Ideen vom Apostolat der Laien, dessen Sicht einer Wirklichkeit, in die hinein das Evangelium zu Veränderung ruft, prägen sein Denken und Handeln bis heute.
Alternativer Nobelpreis
Mit 18 tritt er in die Gemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut ein. Die noch vorkonziliar geprägte Ausbildung nimmt er in Kauf, weil er – wie damals so viele – auf einen Neuaufbruch der Kirche durch das II. Vatikanische Konzil hofft. Und dieses Konzil fand just seinen Abschluss, als der Neupriester 1965 das Schiff nach Brasilien bestieg.
Doch Brasilien hat sich in diesen fast 50 Jahren verändert. Die Zeiten der Militärdiktatur, in der die Urheber von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen klar zu benennen waren, sind Vergangenheit. Brasilien ist eine aufstrebende Wirtschaftsmacht. Multinationale Konzerne und mafiöse Interessensgruppen mit besten Kontakten zu Medien, Regierungen und Gerichten wetteifern um die Vorherrschaft nach Rohstoffen und Energie. Der Bischof bleibt für sie der streitbare Angstgegner Nummer 1, wenn er unermüdlich den apokalyptischen Kahlschlag des Regenwaldes anprangert: „Wir können nicht gleichgültig und teilnahmslos bleiben angesichts der verheerenden Auswirkungen der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, die Land und Reichtum konzentriert, Menschen ausgrenzt, Arme benachteiligt, unterdrückt und dazu noch die Umwelt zerstört.“ Kräutler wird denunziert und – Ironie des Schicksals – in den Medien als „Fortschrittsverhinderer“ kritisiert und als „ewig Gestriger“ verschrien. Andere zeigen ihre Angst vor dem Kirchenmann ganz unverhohlen und setzen 400.000 Euro auf seinen Kopf. Doch einen Märtyrer mit Alternativem Nobelpreis und weiteren mehr als 25, teils international renommierten Menschenrechtspreisen will und kann sich die brasilianische Regierung nicht leisten. Deshalb setzt sie dem Bischof seit fünf Jahren auf Schritt und Tritt Leibwächter zur Seite.
Im kommenden Jahr wird Erwin Kräutler 75, und er wird dem Papst seinen Rücktritt anbieten. Dann bleibt die Hoffnung, dass andere Bischöfe aufstehen – überall in der Welt – und anecken bei den Mächtigen und einer Kirche an der Seite der Armen ein Gesicht geben.
Von Pater Thomas Wunram cpps
|