Sie sind hier: Aktuelles 
Teepflücker in Bangladesch. Foto: Hartmut Schwarzbach

Lohns­kla­ven im Tee­pa­ra­dies

Sie woh­nen in ab­ge­schie­de­nen Dör­fern oh­ne Strom, oh­ne flie­ßen­des Was­ser,
oh­ne Ver­kehrs­an­bin­dung. Le­bens- und Ar­beits­be­din­gun­gen der Teepflü­cker in Ban­g­la­desch
ha­ben sich seit der Ko­lo­nial­zeit kaum ve­r­än­dert. Ih­re ein­zi­ge Zu­kunft­s­chan­ce ist Bil­dung.

Text: Bea­trix Gram­lich; Fo­tos: Hart­mut Schwarz­bach

So­lan­ge er noch ei­ne Pa­ckung im Schrank hat, lässt es sich aus­hal­ten: dass er, der lei­den­schaft­li­che Kaf­fee­trin­ker, übe­rall Tee trin­ken muss. Dass kein Be­such, kein Ge­spräch, kei­ne Ge­schäfts­ver­hand­lung oh­ne das Auf­guss­ge­tränk denk­bar ist und selbst bes­se­re Ho­tels Kaf­fee al­len­falls als In­stant­pul­ver ser­vie­ren. Man mag es Iro­nie des Schick­sals nen­nen, dass es Cé­sar Hen­ri­qu­ez aus­ge­rech­net nach Ban­g­la­desch ver­schla­gen hat. In die­ses Land, in dem Tee die Tü­ren öff­net und zum Le­ben ge­hört wie Reis und Rick­schas. Ihn, in des­sen Hei­mat El Sal­va­dor die Kin­der mit Kaf­fee groß wer­den und die Gro­ßen stolz sind, dass sie seit Jahr­hun­der­ten feins­ten Ara­bi­ca an­bau­en.

Als Hen­ri­qu­ez im Vor­be­rei­tungs­se­mi­nar er­zähl­te, er wer­de nach Ban­g­la­desch ge­hen, frag­te der Kurs­lei­ter ent­setzt, was er an­ge­s­tellt ha­be. Nach Ban­g­la­desch geht nie­mand frei­wil­lig. In die­ses klei­ne Land mit zu vie­len Men­schen und sei­nem schier aus­sichts­lo­sen Kampf ge­gen Ar­mut, Über­be­völ­ke­rung und die im­mer hef­ti­ger wer­den­den Über­schwem­mun­gen. Hier­hin, wo der All­tag rau ge­wor­den ist, weil auf Dau­er nur über­le­ben kann, wer sich bei der Ver­tei­lung von Land und Ar­beit durch­setzt. Hen­ri­qu­ez nimmt es mit der Leich­tig­keit des Latei­na­me­ri­ka­ners und fin­det vie­les ein­fach „ama­zing“, er­staun­lich: das täg­li­che Ver­kehrs­cha­os in der 15-Mil­lio­nen-Stadt Dha­ka. Die Tat­sa­che, dass wäh­rend des Mon­s­uns gan­ze Land­s­tri­che im Was­ser ver­sin­ken und man selbst im letz­ten Dorf mor­gens um fünf aus dem Bett fällt, wenn der Ge­bets­ruf des Mu­ez­zins mit gna­den­lo­ser Pe­ne­tranz aus den Laut­sp­re­chern quäkt.

Spra­che als Schlüs­sel

Hen­ri­qu­ez lebt seit fünf Mo­na­ten in der Haupt­stadt und büf­felt Ban­g­la. Die Spra­che der Ben­ga­len ge­nießt bis heu­te ei­nen enor­men Stel­len­wert. Als Pa­kis­tan sei­nem Lan­des­teil Ost­ben­ga­len 1948 Ur­du auf­zwin­gen woll­te, führ­te das zu hef­ti­gen Pro­tes­ten, die 1971 sch­ließ­lich in die Un­ab­hän­gig­keit Ban­g­la­deschs mün­de­ten. Je­des Jahr am 21. Fe­bruar fei­ert das Land den Tag der Spra­che. Ban­g­la stif­tet na­tio­na­le Ein­heit und ist der Schlüs­sel zur Teil­ha­be an der Ge­sell­schaft. Wer sie nicht be­herrscht, bleibt aus­ge­g­renzt, wirt­schaft­lich und so­zial be­nach­tei­ligt. Das be­kom­men vor al­lem die „Tri­bals“ zu spü­ren, die in den Ber­g­re­gio­nen an der Gren­ze zu Myan­mar und im Tee­an­bau­ge­biet Syl­het im Nor­d­os­ten le­ben. Hier will Hen­ri­qu­ez 2015 ge­mein­sam mit ei­nem Kol­le­gen ei­ne wei­ter­füh­r­en­de Schu­le samt In­ter­nat star­ten. Der Bi­schof hat die Ma­ris­ten-Schul­brü­der ge­be­ten, die Ar­beit der Diöze­se in den rie­si­gen Flächenp­far­rei­en zu un­ter­stüt­zen. Chris­ten stel­len in Ban­g­la­desch nur 0,3 Pro­zent der Be­völ­ke­rung. Die Kir­che ist arm, sie muss sich gut über­le­gen, wie sie ih­re be­schei­de­nen fi­nan­zi­el­len und per­so­nel­len Res­sour­cen ein­setzt. Die Grund­schu­len, die sie in den Dör­fern der Teepflü­cker auf­ge­baut hat, rei­chen bei Wei­tem nicht.
Ful­cho­ra ist ei­ne gott­ver­las­se­ne 600-See­len-Ge­mein­de in­mit­ten der Tee­plan­ta­gen: Lehm­hüt­ten, in de­nen es bei Son­nen­schein brü­tend heiß wird und nass, wenn der Re­gen durch die ros­ti­gen Well­b­lech­dächer tropft. Es gibt kei­ne rich­ti­ge Stra­ße, kei­nen Strom, kein flie­ßen­des Was­ser. Statt­des­sen ei­nen Brun­nen, der im Win­ter au­s­trock­net, ei­nen Tüm­pel mit sch­lie­ri­gem Was­ser und den „Blu­men-Bach“, ein Rinn­sal, in dem die Be­woh­ner sich sel­ber, ihr Ge­schirr und ih­re Wä­sche wa­schen. Die Toi­let­ten­häu­schen hat die Pfar­rei er­rich­tet, eben­so die Dorf­schu­le für die Fünf- bis Zehn­jäh­ri­gen. Ein schwar­zes Haus­schwein mit bors­ti­gem Fell trollt sich in den Schat­ten. Hüh­ner pi­cken sich auf der Su­che nach ein paar Reiss­pel­zen durch den stau­bi­gen Bo­den. Vier Män­ner sch­lep­pen im Lauf­schritt ei­nen Baum­stamm ins Dorf, den sie zer­sä­gen und als Feu­er­holz ver­kau­fen wol­len.

Bru­der Cé­sar steht in­mit­ten ei­ner Grup­pe von Frau­en und Kin­dern und tes­tet sein Ban­g­la. Es reicht für ein bis­schen Kon­ver­sa­ti­on, für ein paar Scher­ze, um zu er­klä­ren, dass er, den sie mit sei­nem schwar­zen Haar und dem dun­k­len Teint al­le für ei­nen Ben­ga­len hal­ten, aus Latei­na­me­ri­ka stammt und dem­nächst hier ar­bei­ten wird. Nach­dem er die Ve­r­ein­ten Na­tio­nen in Genf drei Jah­re lang in Kin­der­rechts-Fra­gen be­ra­ten hat, ist der Ma­rist glück­lich, wie­der in die Mis­si­ons­ar­beit zu­rück­zu­keh­ren.„Ich will für die Men­schen da sein und die Lie­be Got­tes mit ih­nen tei­len“, sagt er.
Hier in Ful­cho­ra hat er schon jetzt ein Er­folg­s­er­leb­nis: Sein Ban­g­la reicht mühe­los, um sich zu ver­stän­di­gen. Denn auch die Teepflü­cker be­herr­schen die Amts­spra­che nur in Grund­zü­gen. Un­te­r­ein­an­der sp­re­chen sie Ga­ro, Ur­wan, Tri­pu­ra oder ei­ne an­de­re Spra­che der ins­ge­s­amt neun Volks­grup­pen, die in den Tee­plan­ta­gen ar­bei­ten. Sie le­ben seit Ge­ne­ra­tio­nen in Ban­g­la­desch, aber Frem­de sind sie bis heu­te: aus­ge­g­renzt, un­be­rühr­bar – so wie in In­di­en. Dort ha­ben die bri­ti­schen Ko­lo­nial­her­ren sie an­ge­wor­ben, als sie 1857 mit dem kom­mer­zi­el­len Tee­an­bau in der Re­gi­on Syl­het be­gan­nen. Da­mals, als Mum­bai noch Bom­bay hieß und das heu­ti­ge Ban­g­la­desch noch zur Pro­vinz As­sam ge­hör­te. Das ist lan­ge her, doch in den Dör­fern scheint es, als sei die Zeit ste­hen­ge­b­lie­ben.

55 Cent Ta­ges­lohn

„Der Lohn ist nie­d­rig. Es reicht nicht zum Le­ben“, sagt Ru­ch­i­na Du­fo teil­nahms­los. Wahr­schein­lich hat sie das schon oft ge­sagt, und nie hat sich ir­gend et­was ve­r­än­dert. Mit dem Hun­ger­lohn, den die 43-Jäh­ri­ge als Teepflü­cke­rin ver­di­ent, muss sie vier Kin­der und ih­re kran­ke Mut­ter durch­brin­gen. Ih­re ein­tö­n­i­gen Ta­ge ver­war­tet die al­te, von der Hüf­te an ge­lähm­te Frau auf ei­ner grob ge­zim­mer­ten Holz­prit­sche. Es ist das ein­zi­ge Möb­el­stück im Haus. Ein paar Blech­töp­fe, ei­ne Pe­tro­le­um­lam­pe, De­cken, die sie nachts zum Schla­fen auf dem Lehm­bo­den aus­b­rei­ten – mehr ha­ben sie nicht. Vor ein paar Mo­na­ten, da hat­te Ru­ch­i­na noch Hoff­nung. Die Prei­se in Ban­g­la­desch wa­ren der­art ge­s­tie­gen, dass die Ar­bei­ter sich ein Herz fass­ten und mehr Geld for­der­ten. Dun­can Bro­thers, ei­ner der Gro­ßen im Tee­ge­schäft, der in Ban­g­la­desch mit 30 Mil­lio­nen Ki­lo­gramm ein Drit­tel der Jah­res­ern­te im Land ein­fährt, er­höh­te den Ta­ges­lohn von 48 auf 55 Cent. Sch­ließ­lich dür­fen die Ar­bei­ter ja auch kos­ten­los in den Hüt­ten woh­nen und be­kom­men au­ßer­dem ei­ne Le­bens­mit­tel­ra­ti­on von drei Ki­lo Reis pro Wo­che. Da­für müs­sen sie wäh­rend der Ern­te­zeit, die mit dem ers­ten Re­gen En­de März be­ginnt und bis De­zem­ber dau­ert, 20 Ki­lo Tee am Tag pflü­cken. In den üb­ri­gen Mo­na­ten pf­le­gen sie die Plan­ta­gen, jä­ten Un­kraut, rei­ni­gen die Gas­sen zwi­schen den Rei­hen. „Die Ar­beit ist an­st­ren­gend, be­son­ders im Win­ter, wenn wir die Sträu­cher be­schnei­den“, er­klärt Ru­ch­i­na. Teepflan­zen sind hart, knor­rig und wer­den alt. Bis zu 100 Jah­re lang kön­nen die Blät­ter ei­nes Strauchs ge­ern­tet wer­den.
„Wir nut­zen sie 60 Jah­re“, er­läu­tert Dun­can-Ma­na­ger Sha­min. Er emp­fängt auf der von Säu­len ge­säum­ten Ve­ran­da sei­nes Hau­ses mit Blick auf die grü­ne Hü­gel­land­schaft. Wäh­rend ein un­ter­wür­fi­ger Haus­die­ner Tee ser­viert, spult Sha­min die Er­folgs­bi­lanz sei­ner Fir­ma ab: 127 Hektar Fläche, 1,2 Mil­lio­nen Ki­lo Jah­res­ern­te, Ex­por­te nach En­g­land, Russ­land, Afg­ha­nis­tan und Pa­kis­tan. Syl­het bie­te idea­le Wachs­tums­be­din­gun­gen für Tee, der ein kon­stant feucht-war­mes Kli­ma und viel Re­gen, aber kei­ne Staun­äs­se lie­be. Des­halb wer­de er haupt­säch­lich in ber­gi­gen Re­gio­nen mit durch­läs­si­gen Bö­den an­ge­baut.

Ein Emp­feh­lungs­sch­rei­ben von Do­mi­nic Sar­car, dem Pfar­rer von Sri­man­gal, zu des­sen weit­läu­fi­ger Ge­mein­de auch Ful­cho­ra ge­hört, hat die Tü­ren bei Dun­can ge­öff­net. Die Tee­plan­ta­gen oh­ne Er­laub­nis zu be­t­re­ten, wä­re ris­kant. Denn die Fir­men ver­su­chen tun­lichst, ih­re skla­ve­n­ähn­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen vor der Öf­f­ent­lich­keit zu ver­ber­gen. Die Zu­gän­ge zu den An­bau­flächen wer­den st­reng be­wacht. „Fo­to­gra­fie­ren ver­bo­ten“, warnt ein Schrift­zug in di­cken Let­tern vor dem Kon­troll­pos­ten. Ein weiß­bär­ti­ger Wär­ter prüft ge­wis­sen­haft je­den Wa­gen. Mit sei­ner schwar­zen Uni­form und dem ro­ten Ba­rett sieht er aus, als hät­ten ihn die Bri­ten beim Ab­zug ver­ges­sen.

Pla­cke­rei in eng­li­scher Par­k­land­schaft

Hin­ter der Schran­ke öff­net sich ei­ne na­he­zu eng­li­sche Par­k­land­schaft: Dun­kel­grü­ne, dick­blät­t­ri­ge Tee­sträu­cher, so weit das Au­ge reicht. Nur hin und wie­der spen­den schlan­ke, hoch­ge­wach­se­ne Bäu­me Schat­ten. Es ist 11 Uhr mor­gens, die Son­ne brennt von ei­nem wol­ken­lo­sen Him­mel. Ru­ch­i­na Du­fo und ih­re Freun­din Sur­ma sind mit ei­ner Grup­pe von Frau­en ein­ge­teilt, die Tee­sträu­cher zu be­schnei­den. Zwei Auf­se­her über­wa­chen die Ar­beit. Ihr Werk­zeug müs­sen die Ar­bei­ter sel­ber mit­brin­gen. 155 Ta­ka, den Lohn von drei Ta­gen, kos­ten die Mes­ser, mit de­nen sie dem Har­t­holz zu Lei­be rü­cken. Die stun­den­lan­ge Ar­beit in ge­bück­ter Hal­tung geht in die Kno­chen. Oft reicht die Nacht nicht, da­mit sich der Kör­per er­holt. Doch nie­mand traut sich, des­we­gen ei­nen Tag aus­zu­set­zen. „Das ist mo­der­ne Skla­ve­r­ei“, schimpft Bru­der Cé­sar. Ru­ch­i­na ge­steht, dass sie manch­mal am En­de ih­rer Kräf­te sei. „Aber ich muss wei­ter­ma­chen“, sagt sie. Ihr Ge­sicht ver­rät kei­ne Re­gung.

Wel­che Al­ter­na­ti­ve hät­te sie auch? Schon ih­re El­tern ha­ben als Teepflü­cker ge­ar­bei­tet. „Das größ­te Pro­b­lem ist das Haus“, er­klärt Ru­ch­i­na nüch­t­ern. „Wenn ich mir ei­ne an­de­re Ar­beit su­chen wür­de, hät­te ich kein Dach über dem Kopf.“ Wie sie den­ken die meis­ten. Und den Tee­fir­men kann das nur recht sein. Das miet­f­reie Woh­nen, die Ab­ge­schie­den­heit der Dör­fer, die jah­re­lan­ge Wei­ge­rung der Re­gie­rung, hier Schu­len zu er­lau­ben: All das schafft Ab­hän­gig­keit. Für sich sel­ber, meint Ru­ch­i­na, ha­be sie kei­ne Hoff­nung mehr. Aber vi­el­leicht wür­den ih­re Kin­der ja ein­mal bes­se­re Zei­ten er­le­ben. Sie weiß, dass Bil­dung ihr ein­zi­ger Weg aus der Ar­mut ist.

Ih­re bei­den Jüngs­ten be­su­chen die Grund­schu­le, die die Pfar­rei in Ful­cho­ra ein­ge­rich­tet hat. Vor der Tür la­gern in bun­tem Durch­ein­an­der zwei Dut­zend Ba­de­schlap­pen. Wer in Ban­g­la­desch ein Haus be­tritt, st­reift als Zei­chen des Re­spekts die Schu­he ab. Vie­le Kin­der sind je­doch of­fen­bar gleich bar­fuß ge­kom­men. Drin­nen im ein­zi­gen Klas­sen­raum sit­zen dop­pelt so vie­le wie drau­ßen San­da­len ste­hen. Ru­ch­i­nas Toch­ter Ha­si malt ge­ra­de hin­ge­bungs­voll ei­nen hal­ben Zoo in ihr Heft. Ka­mel, Kat­ze, Pferd, Af­fe hat sie in kra­ke­li­ger Kin­der­schrift dar­un­ter ge­schrie­ben. Dann ruft der Leh­rer die Dritt­kläss­ler vor die Ta­fel. Sie sol­len Ge­gen­sät­ze fin­den: Le­ben – Tod, Alt – Jung. Ha­sis Bru­der Elio sch­reibt stolz: Va­ter – Sohn.

Wäh­rend Cé­sar Hen­ri­qu­ez mit den bei­den Leh­rern plau­dert, stellt er über­rascht fest, dass sie kei­ner­lei Qua­li­fi­ka­ti­on für ih­re Tä­tig­keit ha­ben. Fe­li­si­tha Pat­hang hat die Schu­le nur bis zur zehn­ten Klas­se be­sucht. Ihr Sohn, der die Klei­nen un­ter­rich­tet, be­rei­tet sich ge­ra­de auf das Ab­i­tur vor. Für Cé­sar ein Punkt, in dem er Ver­bes­se­rungs­be­darf sieht: Wenn die Ma­ris­ten ih­re Schu­le star­ten, wol­len sie dort auch ein Trai­nings­zen­trum für Leh­rer ein­rich­ten.

Das In­ter­nat der Pfar­rei St. Jo­seph in Sri­man­gal platzt aus al­len Näh­ten. Im Schlaf­saal kle­ben 40 Stock­bet­ten an­ein­an­der. Die Luft riecht ver­braucht. An der Wand sta­peln sich Bücher und Hef­te, ein Jun­ge hat sich ei­nen Tel­ler Reis ge­ret­tet. Ru­ch­i­nas Sohn Ku­wel steht ein we­nig ab­seits, die Hän­de an den Näh­ten sei­ner zwei Num­mern zu gro­ßen Stoff­ho­se. Die Si­tua­ti­on ist ihm sicht­lich un­an­ge­nehm. Sei­ne Ka­me­ra­den ha­ben sich zwei Arm­län­gen hin­ter ihm pos­tiert – ge­nug, um nicht auf­dring­lich zu wir­ken und den­noch je­des Wort mit­zu­krie­gen. „Ja, ich bin ger­ne hier“ ant­wor­tet der 14-Jäh­ri­ge pf­licht­schul­dig. Ganz über­zeu­gend klingt das nicht. Aber nur hier hat er ei­ne Chan­ce, die wei­ter­füh­r­en­de Schu­le zu be­su­chen. Vie­le Jun­gen und Mäd­chen aus den Tee­plan­ta­gen hät­ten den An­schluss in der staat­li­chen Schu­le zu­nächst nicht ge­schafft, er­zählt Pfar­rer Sar­car. Erst all­mäh­lich sei­en die Be­t­reu­er da­hin­ter ge­kom­men, warum: Die Kin­der konn­ten nicht rich­tig Ban­g­la und hat­ten Mühe, ih­re Leh­rer über­haupt zu ver­ste­hen.

Schu­le prägt Ge­sell­schaft

Jetzt för­dern sie die Kin­der in der Amts­spra­che be­son­ders – mit dem Er­folg, dass die meis­ten das Klas­sen­ziel er­rei­chen. Die Ma­ris­ten wol­len künf­tig noch ei­nen Schritt wei­ter­ge­hen: Wäh­rend das In­ter­nat, das sie zu ih­rer Schu­le pla­nen, al­lein den Jun­gen und Mäd­chen aus den Tee­dör­fern of­fen­ste­hen soll, möch­ten sie in die Schu­le auch Spröss­lin­ge wohl­ha­ben­der Ben­ga­len auf­neh­men. Das ge­mein­sa­me Ler­nen, so ih­re Idee, för­dert nicht nur das Ver­ständ­nis fü­r­e­in­an­der, son­dern lang­fris­tig auch die so­zia­le In­te­g­ra­ti­on der Teepflü­cker. Da­mit es ih­nen nicht geht wie dem Künst­ler, der ih­nen an der Stra­ße nach Syl­het ein Denk­mal ge­setzt hat: „Will­kom­men im Land des Tees“, grüßt ein Schrift­zug un­ter der mo­nu­men­ta­len Dar­stel­lung ei­ner Teepflü­cke­rin. Ei­ne Ta­fel er­klärt um­ständ­lich, im Bei­sein wel­cher Amts­trä­ger sie auf­ge­s­tellt wur­de. Der Künst­ler wird nicht er­wähnt.

Zur Bil­der­ga­le­rie "Lohns­kla­ven im Tee­pa­ra­dies"
Se­hen Sie das Vi­deo "In der Rush­hour durch Dha­ka


Sie möch­ten mehr kon­ti­nen­te le­sen? Be­s­tel­len Sie hier Ihr kos­ten­lo­ses Pro­be­a­bo.


Zu­rück zur Nach­rich­ten­über­sicht Mai/Ju­ni 2013




Dorfleben: Die Teefirma lässt die Arbeiter mietfrei in den Hütten wohnen. Strom, Straßen, fließendes Wasser und faire Löhne verwehrt sie ihnen. Fotos: Hartmut Schwarzbach

Produktion: Durch Fermentierung wird aus grünen Blättern Schwarzer Tee.

Handel: Läden in Srimangal verkaufen den Tee für 8 Euro pro Pfund.

Anbau: Ruchina Dufo (li.) beschneidet mit ihrem Messer die Teesträucher.

Pläne: Der Platz in der Pfarrei reicht nicht. Die Maristen planen eine neue Schule samt Wohnheim.

Perspektive: Kuwel lebt im Internat der Pfarrei. Nur so kann er die weiterführende Schule besuchen.

Grundlage: Hasi (Mi.) besucht die Dorfschule. Die gibt es nur, weil die Pfarrei sie finanziert.

Broterwerb: Männer haben einen Baum gefällt, den sie als Feuerholz verkaufen wollen.

Interesse: Bruder César Henriquez will den Kindern der Teepflücker eine Zukunft eröffnen.

Armut: Ruchina Dufos Mutter verwartet den Tag in der schäbigen Hütte, die die Familie bewohnt.

Facebook  YouTubeKontakt  |  FAQ  |  Sitemap  |  Datenschutz  |  Impressum