Jesus sucht ein ZuhauseWohin mit Andachtsgegenständen und Kunstschätzen aus der Kapelle, wenn Klöster schließen müssen?
Manches landet auf Flohmärkten oder wird online verkauft. Die meisten Ordensleute wünschen sich andere Lösungen.
Und finden sie. |
Text: Christina Brunner
Foto: Karin Hendriks
Jesus kostet 5500 Euro. Jahrelang stand er in einem Kloster in Belgien, das aufgegeben werden musste. Nun wartet er zusammen mit Hunderten anderer Heiligenfiguren, Bilder, Kelche, Tabernakel und Kirchenbänken auf einen Liebhaber neugotischer Kirchenkunst. Es könnte eine japanische Kirchengemeinde kommen oder der Betreiber einer wedding church aus den USA. Oder eine Filmfirma.
51 Klöster, 26 Kirchen und 81 Kapellen hat Joannes Peters mit seiner Firma Fluminalis seit 1972 komplett leergeräumt, aus über 200 Gotteshäusern kaufte er Einzelstücke. „Weltweit sind wir der größte Händler für Kunst, Möbel und Reliquien aus Kirchen und Klöstern, wir haben das Monopol auf diesem Sektor“, berichtet der Niederländer. Seine beiden Ausstellungshallen in Horssen in der der Nähe von Nimwegen sind voll, und auf der Webseite tauchen immer noch neue Kostbarkeiten auf, vor allem aus Klöstern in Belgien, Frankreich und England. „Wir sorgen dafür, dass die Sachen eine Bestimmung bekommen innerhalb der katholischen Welt. Das ist wichtig, denn dann sind sie für viele Jahre sinnvoll aufbewahrt.“
Für Schwester Margret wäre das nie in Frage gekommen. „Wir haben nichts verkauft, weder bei eBay noch sonst wo! Lieber habe ich hier im Keller was aufbewahrt, als es irgendwo schnell zu verscherbeln.“ Die Dominikanerinnen von Schlehdorf zogen vor zwei Jahren aus ihrem barocken Kloster in ein zweckmäßiges kleines Gebäude. Sie nahmen mit, was für die Gemeinschaft wichtig war und zu ihrer Ordensspiritualität gehört: Eine Statue von Dominikus, eine Katharina von Siena, eine Marienfigur aus der Kapelle. „Ein Kreuz vor der Kapelle, an dem die Schwestern jeden Tag vorbeigegangen sind, musste natürlich auch mit.“
Manches Liebgewordene musste aus Denkmalschutzgründen im Klostergebäude bleiben. Die historische Weihnachtskrippe und die kostbaren Paramentenstickereien der Schwestern übernahm das Kloster Beuerberg, das längst auch kein sakraler Ort mehr, sondern eine Außenstelle des Diözesanmuseums Freising ist. Für den Rest war kein Platz.
„Gott sei Dank begleitete uns ein Benediktiner aus Münsterschwarzach bei diesem Neuanfang. Er hat uns gesagt: Ihr könnt nicht aus dem großen Kloster alles mitnehmen. Ihr müsst auswählen!“ Für die Schwestern war das nicht leicht. Aber sie hatten Glück: In die leeren Räume zog „CoHaus“ ein, eine Genossenschaft für soziales, ökologisches und selbstverwaltetes Wohnen.
Künstler gestalten neu
Die neuen Bewohner müssen nun umgehen mit dem, was ihnen die Schwestern hinterlassen haben. „Das ist ja nicht nur ein materielles, sondern auch ein spirituelles Erbe, das stark aufgeladen ist“, weiß Anna Schölß, die als Künstlerin in den ehemaligen Klosterzellen arbeitet. „Wir versuchen Transformationen mit Hilfe der Kunst.“ CoHaus lädt Künstlerinnen ein, mit den Relikten Neues zu schaffen und Diskussionen anzuregen. Die allgegenwärtigen Kreuze haben die Künstlerinnen in der aktuellen Ausstellung in einem Raum zusammengehängt: Es ist ein Symbol, mit dem sich manche neuen Bewohner schwer tun, was wiederum die Dominikanerinnen herausfordert ... „Wir verfolgen das mit großem Interesse“, sagt Schwester Margret. „Von uns kommt jede Unterstützung, die sie möchten.“
Gemeinsam die Erinnerung an die Geschichte der Schwestern zu bewahren und anders zu erzählen – in Schlehdorf sind neue und alte Bewohner gemeinsam auf der Suche und freuen sich darüber. „Das hier ist ein Ort, der offen ist und vieles zulässt“, sagt Anna Schölß, die Künstlerin. „Ein Zusammenstoß der Kulturen, der viele Menschen anzieht. So entsteht Neues auf allen Ebenen.“
Auch für die Ursulinen war beim Auszug aus ihrem riesiges Kloster Calvarienberg hoch über der Ahr klar: Wir können nicht alles mitnehmen. Deshalb boten sie ihre Schätze an vier Wochenenden auf einem Kloster-Basar an. „Wir hatten ja Platz genug, alles Mögliche auszustellen und haben auf diese Art und Weise vieles weitergegeben: Möbel, Kunst- und Gebrauchsgegenstände. Es kamen viele Interessierte, auch ehemalige Schülerinnen vom Calvarienberg, die gern ein Andenken mitnahmen“, berichtet Schwester Maria Monheim, die Oberin.
„Die Möbel waren zum Teil sehr wertvoll und vielleicht haben wir manches unter Wert verkauft, aber wir sind ja Laien, die das nicht immer richtig einschätzen konnten. Wir waren einfach froh über alles, was sinnvoll den Besitzer wechselte.“
Wohin mit den Schätzen, die im neuen Zuhause keinen Platz mehr haben? Vor dieser Frage stehen immer mehr Orden. Für die Kirchengemeinden ist der Umgang mit den Schätzen gut geregelt, die Klöster fühlen sich oft alleingelassen. Einen Markt wie Fluminalis wollen sie nicht beliefern. Der Kirchenhistoriker Klaus-Bernward Springer weiß warum: „Üblicherweise soll ein geweihter und gesegneter Gegenstand der Frömmigkeit nicht auf einem Flohmarkt auftauchen. Dahinter steckt die alte Vorstellung: Was einmal Gott oder für den Gottesdienst gewidmet war, kann man Gott oder dem Gottesdienst nicht einfach entziehen.“
Die Depots quellen über
Springer sitzt für die Deutsche Ordensoberenkonferenz im „Arbeitskreis für Inventarisierung und Pflege des kirchlichen Kunstgutes“. Das Thema drängt, und ein umfassendes Konzept für die leer gewordenen Klostergebäude sieht der Kunsthistoriker, der im Provinzarchiv der Dominikaner arbeitet, nicht. „Bei den Orden bleibt man meist, so lange es geht. Aber dann? Wenn die letzten überaltert in Pflege gehen, wollen sie ja auch nicht das Zimmer mit den Überbleibseln vollgestellt bekommen.“ Von kunstvollen Treppenaufgängen und Glasfenstern der 1960er-Jahre ganz zu schweigen.
Die Bistümer sammeln die Schätze der säkularisierten Kirchen meist in Depots, die inzwischen auch überquellen. Rein kommt viel, raus fast nichts. Denn Neugründungen von Kirchengemeinden gibt es fast nur noch in den Ländern des Südens; das eine oder andere Kostbare findet hier einen neuen Ort. Der Salvatorianer Jean Schreurs, der im Kongo arbeitet, hat sich im Heimaturlaub bei missio Aachen einige Kelche ausgesucht, die dem Hilfswerk von verstorbenen Pfarrern vermacht wurden. „Wir haben Kelche aus Holz, aber das ist nicht so schön, nicht so würdevoll. Meine Mitbrüder sind sehr froh, wenn sie einen richtigen Kelch bekommen. Was ich mitbringe, ist nie für jemanden persönlich, sondern immer für die Pfarrei. Dort bleibt es, auch wenn die Priester wechseln.“
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