Kongos starke FrauenDie Demokratische Republik Kongo ist seit 1996 Schauplatz eines der blutigsten Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg.Ganze Familien leiden unter der unglaublichen Brutalität. Doch engagierte Frauen und die Kirche geben ihnen neue Hoffnung. |
Text: Jörg Nowak; Fotos: Bettina Flitner
Es ist ein schöner sonniger Morgen. Thérèse Mema genießt den Blick von der Stadt Bukavu auf den Kivu-See. Nicht ohne Grund heißt diese Region die „Riviera am Kongo“. Am Ufer sieht man einzelne Häuser an grünen Hängen. Im Jahre 1901 wurde die Stadt gegründet und zuerst nach dem belgischen Kolonialherren Costermans benannt. Während der bis 1960 dauernden Kolonialzeit war Bukavu ein bei europäischen Diplomaten beliebter Ort. „Dort hinten in den Bergen leben Gorillas“, erzählt Thérèse Mema. Doch dahin wagt sich niemand. Nicht wegen der wilden Tiere, sondern wegen der Rebellen. In Bukavu selber kann sich die Bevölkerung zurzeit relativ sicher fühlen. Die 30-jährige Thérèse lebt hier mit ihrem Mann und ihren drei Kindern. „Wenn ich zur Arbeit gehe, kümmert sich die Großmutter um unsere Kinder“, sagt die engagierte Mutter. Im katholischen Büro für Gerechtigkeit und Frieden arbeitet Thérèse Mema für Familien in Not. Sie leben außerhalb der Stadt, in den Dörfern am Rande der Berge. Hier sind die Menschen ihres Lebens nicht mehr sicher. Denn hier gibt es ruandische Rebellen, Mai- Mai-Kämpfer – regionale Milizen unter der Führung der sogenannten Warlords, der Kriegsherren – und kongolesische Regierungssoldaten. Sie kämpfen gegeneinander und gleichzeitig haben sie einen gemeinsamen Feind: die Zivilbevölkerung. „Sie alle plündern und vergewaltigen“, berichtet Thérèse Mema. Die Opfer sind Familien. Mütter, Kinder und Väter. Die Vereinten Nationen bezeichnen den Kongo als das Zentrum der Vergewaltigungen. Für Frauen gilt das Land als der gefährlichste Ort der Welt. Stunde für Stunde werden 48 Frauen vergewaltigt. „Im August 2009 haben wir begonnen, in den Pfarreien Traumazentren aufzubauen“, erzählt Thérèse Mema. Hier finden viele Menschen Zuflucht und Hilfe. Zum Beispiel Vumilia Immaculee.
Eine Klinik mit trauriger Bekanntheit
„Ich hatte mich gerade zum Schlafen hingelegt, als Soldaten auf unser Grundstück stürmten“, erzählt die traumatisierte junge Frau. „Mein Mann floh aus unserem Haus.“ Die Bewaffneten verschleppten die wehrlose Frau in ihr Lager mitten im Busch. „Sie nahmen das Radio, das sie meiner Familie gestohlen hatten, und schalteten die Musik an. Ich musste für sie tanzen. Dann vergewaltigten sie mich“, stammelt sie unter Tränen. Thérèse hört schockiert zu. Vom Traumazentrum aus begleitet Thérèse Mema betroffene Frauen wie Vumilia Immaculee in das Panzi-Krankenhaus in Bukavu. Das 1999 errichtete Hospital hat traurige Bekanntheit erreicht, weil es sich auf die Behandlung der zahllosen Vergewaltigungsopfer spezialisiert hat. „Bei einem Mädchen waren die Verletzungen so schwer, dass das Kind trotz mehrerer Operationen nie wieder richtig zur Toilette gehen kann. Sie wird ihr Leben lang Windeln tragen müssen“, erinnert sich Thérèse Mema. Stündlich werden schwer verletzte Vergewaltigungsopfer in die Klinik gebracht. Tag für Tag müssen zehn neue Frauen behandelt werden. Auch Vumilia Immaculee, deren Name sich mit „die Unbefleckte“ übersetzen lässt, erhielt hier die notwendige medizinische Hilfe. Nach ihrer Entlassung konnte sie wieder nach Hause. „Mein Mann hieß mich willkommen. Obwohl ich schwanger war. Ob von ihm oder einem der Rebellen, ich weiß es nicht“, sagt sie. „Mein Mann spricht nie mit mir darüber.“
Es sind die seelischen Verletzungen, unter denen die Opfer besonders leiden. „Als mein Sohn geboren wurde, beschimpfte mein Mann das Kind und mich“, erzählt Vumilia. Thérèse Mema versucht zu vermitteln, will die Familie wieder zusammenbringen. „Aber er will einfach nicht zuhören“, erkennt die Katholikin enttäuscht. Doch sie weiß, sie muss Vumilia Immaculee weiter helfen. Weil diese sonst niemanden hat.
Hunderte Menschen erhalten Hilfe
„Bei Thérèse kann ich mir alles von der Seele reden, sie hilft mir, diese schrecklichen Zeiten irgendwie zu überstehen“, sagt Vumilia. „Ich bin sehr arm. Ich habe nicht einmal Geld, um Kleidung für meinen Sohn zu kaufen. Oder Seife. Die Sachen bekommen wir aber glücklicherweise im Traumazentrum.“ Ohne die materielle Hilfe und die seelsorgerische Unterstützung wäre sie verloren. Manchmal hofft Vumilia doch noch, dass ihr Mann das Kind annimmt. „Ich träume davon, dass wir wieder wie eine normale Familie zusammenleben“, sagt sie.
Bislang konnten 16 Traumazentren in der gefährdeten Region um Bukavu durch das katholische Büro für Gerechtigkeit und Frieden errichtet werden. Der Priester Justin Nkunzi koordiniert die Arbeit. Meist sind die Zentren in Gemeinden angesiedelt, wo der jeweilige Priester Räume zur Verfügung stellt. „In den vier von missio unterstützen Traumazentren konnten wir bislang rund 500 Menschen direkt helfen“, berichtet Pfarrer Justin.
Thérèse erinnert sich noch, wie eine junge Frau und ein Mann in das Traumazentrum kamen und ihre Geschichte erzählten. Sie hatten sich gerade verlobt, planten voller Hoffnung ihre Hochzeit. Dann überfielen Rebellen ihr Dorf. Das Paar verlor alles, die junge Frau wurde vergewaltigt. Doch die Verlobten kamen mit dem nackten Leben davon. Aber die Hochzeit wurde abgesagt, weil – so erklärten die Eltern des Bräutigams – ihr Sohn Chini Mushiji keine Vergewaltigte heiraten könne. Das sei eine Schande. Seine Verlobte Ni Mushengeji Namoni war verzweifelt. Gerade als das junge Paar die Unterstützung seiner Familien benötigt hätte, erntete es nur Verachtung. „Ihr müsst zusammenhalten“, ermutigte Thérèse Mema die beiden. Es war ein langer Prozess, die seelischen Wunden zu heilen und sich dem Willen der Familie zu widersetzen. Inzwischen leben die beiden gemeinsam in einer bescheidenen Hütte. Sie haben Kinder. „Irgendwann wird es vielleicht noch das große Hochzeitsfest mit unseren Familien geben“, hoffen sie. Wenn die junge Familie fröhlich mit ihren Kindern spielt, dann verschwindet das Trauma des Krieges aus ihren Gedanken. Dann wächst der Glaube an eine friedliche Zukunft für Familien im Kongo.
Wer Frieden predigt, lebt gefährlich
Die Traumazentren sind nur eine von zahlreichen Aktivitäten für Frieden und Versöhnung der katholischen Kirche. Besonders Erzbischof François Xavier Maroy gehört zu den mutigen Stimmen in der von Gewalt beherrschten Region im Osten Kongos. Er sitzt an seinem Schreibtisch und zeigt auf das Fenster hinter sich. „Seht ihr da oben das Loch? Da schoss die Kugel durch und dann flog sie über meinen Kopf. Sie ist auf der anderen Seite in der Wand stecken geblieben. Ich habe den Schrank davor geschoben, damit ich nicht immer den Einschuss in der Wand sehe.“ Rebellen hatten den Erzbischof im Visier, weil sie seine Friedensmission stoppen wollten. Seinen Vorgänger hatten die Bewaffneten bereits auf offener Straße erschossen. Doch Erzbischof Maroy lässt sich nicht einschüchtern. Mit viel Gottvertrauen und einer Portion Humor geht er mit der Situation um. „Ich bin nur froh, dass ich nicht so hochgewachsen bin. Sonst würde die Kugel in meinem Kopf stecken.“
Erzbischof Maroy spricht offen über die Ursachen des Krieges und die Verstrickungen der westlichen Welt. Das bitterarme Land Kongo gehört zu den rohstoffreichsten Staaten der Welt. Diamanten und Gold kommen von hier. Eine wahre Schatzgrube sind die Coltan-Minen im Osten. Dieses seltene Mineral wird für die Herstellung von Mobiltelefonen benötigt. Ohne Coltan gäbe es Funkstille auf dem Handymarkt. Erzbischof Maroy klagt an, dass die Rebellen gezielt jene Gebiete erobern, wo das wertvolle Coltan zu finden sei. Vergewaltigungen würden als Waffe eingesetzt, um die Familien aus den Abbaugebieten zu vertreiben. „So fliehen die Menschen aus ihren Dörfern. Dann können die Bodenschätze ausgebeutet und illegal exportiert werden.“ Über geheime Kanäle wird das Coltan unter Weltmarktpreisen angeboten. Mit den Gewinnen werden Waffen gekauft und der Krieg finanziert. „Wenn man weiß, dass man Coltan verwendet oder kauft, für das eine ganze Dorfgemeinschaft niedergemetzelt worden ist, dann muss uns das zum Umdenken bringen und dieser illegale Handel muss eingestellt werden“, fordert Erzbischof Maroy. Erst wenn die Handy-Unternehmen kein illegales Coltan mehr verwenden, werden keine Menschen mehr für dieses Mineral vergewaltigt und vertrieben.
Mit Gebeten gegen das Trauma ankämpfen
Beim heutigen Treffen mit dem Team von Pfarrer Justin und Thérèse Mema bespricht er die aktuelle Situation. Sie hoffen, die Arbeit auch künftig fortführen zu können, auch mit Hilfe von Spenden aus dem Ausland, zum Beispiel aus Deutschland. Täglich kommen neue Hilfesuchende in die Traumazentren. Inzwischen gibt es dort eine neue Herausforderung. „Wir haben erkannt, dass oft Familien zu uns kommen und die Frauen um Hilfe bitten“, erläutert Thérèse Mema. „Aber die Männer verschweigen aus Scham, dass sie ebenfalls Opfer von Vergewaltigungen geworden sind.“ Gemeinsam mit der katholischen Ordensschwester Antoinette Elza Mirali kümmert sich Thérèse Mema zum Beispiel um den 35-jährigen Familienvater Deognatiace Muzuka. Sie zeigen ihm ein Aufklärungsplakat. Zu sehen ist ein Mann. Gefesselt an einem Baum. Mit einem Knüppel schlagen die Soldaten ihm zwischen die Beine. „Ja, sie haben mich auch vergewaltigt. Mit einem Holzstock“, bricht es aus ihm heraus. „Ich werde nie mehr Kinder zeugen können“, stammelt der junge Mann. Für Schwester Antoinette und Thérèse Mema ist es eine neue Aufgabe, auch traumatisierten Männern zu helfen.
Die brutalen Soldaten schrecken weder vor Frauen und Männern noch vor Kindern zurück. Mafille war acht Jahre alt, als sie und ihre Mutter von Rebellen überfallen wurden. Die Bewaffneten vergewaltigten Mutter und Tochter gleichzeitig. Thérèse Mema kümmerte sich um das Kind. Einige Zeit später erzählt die völlig verstörte Mafille: „Es ist wieder passiert. Unser Nachbar hat mich vergewaltigt“. Thérèse umarmt das weinende Mädchen, tröstet es und trocknet ihm die Tränen. Nach einigen Minuten sagt sie. „Warte mal eine Minute, Mafille. Ich muss ganz schnell telefonieren.“ Thérèse Mema geht für einen Moment aus dem Raum. Dann lässt sie ihren Tränen freien Lauf. „Ich kann dem Kind nicht zeigen, wie nahe mir sein Schicksal geht. Ich muss stark sein für sie“, flüstert sie zu sich selber. Dann spricht sie ein Gebet und geht wieder in den Raum zurück. „Mafille, wir schaffen das schon.“ Inzwischen ist Mafille 14 Jahre alt. „Ich bin dankbar für die Hilfe, die ich im Traumazentrum bekommen habe. Und ich bin froh, dass ich von den Vergewaltigungen nicht schwanger geworden bin“, sagt sie. Ablenkung findet Mafille auch in ihrer neuen Leidenschaft. Sie singt im Kirchenchor. Beim Klang der Musik fühlt sie sich ganz entspannt und geborgen. Über ihre Zukunft hat sie sich auch schon Gedanken gemacht. „Ich habe hier in der Kirche und dem Traumazentrum so viele Menschen getroffen, die Gutes tun, wie Thérèse und Schwester Antoinette. Vielleicht werde ich ja auch Ordensschwester oder habe einmal wie Thérèse eine eigene Familie und helfe Menschen in Not...“
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Traumazentrum Mulo: Leocadie Kabujaja Masika spricht mit ihrem traumatisierten Mann.
Kongos starke Frauen: Die Sozialarbeiterin Thérèse Mapenzi Mema (2. v. li.) mit einer Klientin und deren Kindern.
Bedrängt: Ganze Familien werden im Ostkongo Opfer von Gewalt - ausgehend von Rebellen, aber auch von der regulären Armee.
Zuwendung: Thérèse Mapenzi Mema (li.) hilft der verzweilfelten Vumilia Immaculee.
Medizinische Versorgung: Rendeza Kavira, Krankenschwester im Traumazentrum Mulo, überprüft den Gesundheitszustand einer Patientin.
Chaos: Ein Unfallwagen bleibt auf der Straße liegen.
Traumatisierte Opfer: Emerida M\'Karungu und ihr Ehemann Centurali Bigamra.
Überlebt: Erzbischof Maroy entging einer Kugel.
Aufklärung: Thérèse informiert über Gewalt.
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