Belo Monte mitten im Amazonasdschungel, wo das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt entstehen soll. Die Luftaufnahme zeigt den Bau des Kanals zur Umleitung des Rio Xingu nahe dem Fischerdorf Santo Antonio. (C) KNA |
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Kampf gegen Staudammprojekt in Brasilien
Großprojekt bedroht das Leben von 60.000 Menschen
05.02.2013 - Ein Staudammprojekt in Brasilien bedroht das Leben von 60.000 Menschen, darunter viele Indigene. Denn das Projekt „Belo Monte“ zerstört ein ökologisch hochsensibles Regenwaldgebiet Amazoniens. Die riesige Baustelle droht zudem zum sozialen Pulverfass zu werden. Pater Antonio Claret Fernandez und Agraringenieur Leonardo Bauer Maggi, beide von der brasilienweiten Bewegung der Staudamm-Betroffenen (MAB), kämpfen dagegen an. Denn von dem Projekt profitieren aus ihrer Sicht nur einige wenige internationale Großunternehmen.
„Die Arbeiter werden ausgebeutet. Sie erhalten umgerechnet etwa 400 Euro pro Monat, arbeiten bis zu 16 Stunden täglich in unerträglich schwüler Hitze“, kritisiert Pater Claret. Derzeit befinden sich 15.000 Arbeiter auf der Baustelle, die Errichtung des ersten Kanals ist in Arbeit, ein provisorischer Damm wurde bereits errichtet. Nach einer Reihe von Streiks und Arbeitsniederlegungen - fünf Mal musste allein in jüngster Zeit die im Juni 2011 aufgenommene Bauphase unterbrochen werden - wird derzeit wieder weitergebaut.
„Belo Monte“ an der „Großen Schlinge“ (Volta Grande) des Xingu-Flusses, einem Seitenarm des Amazonas, sieht die Errichtung zweier Staudämme und zweier Stauseen vor. Für das Kraftwerk mit einer Leistung von elf Gigawatt muss eine Fläche von 668 Quadratkilometern überflutet werden. Nach den Planungen entsteht dort das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt. Die brasilianische Regierung spricht von knapp 20.000 Menschen, die umgesiedelt werden müssen; Pater Claret, Agraringenieur Maggi und mit ihnen Amazonasbischof Erwin Kräutler von den Missionaren vom Kostbaren Blut, einer der prominentesten Gegner des Bauprojektes, viele Wissenschaftler und Umweltschützer gehen von 30.000 aus. Weitere 30.000 Betroffene würden ebenfalls ihre Lebengrundlage verlieren, auch wenn sie nicht umziehen müssten.
„Die Menschen wissen immer noch nicht, wohin sie überhaupt umgesiedelt werden. Mittlerweile wird der Bevölkerung zunehmend bewusst, dass Belo Monte auf einer Propagandablase beruht“, so die Aktivisten. Denn es sei von der Regierung falsch zu behaupten, Brasilien brauche mehr Energie zur Abdeckung steigenden Bedarfs. „Brasilien hat derzeit einen Energieüberschuss von 20 Prozent, Tendenz steigend. 83 Prozent davon kommen aus Wasserkraft, weil es die hierzulande billigste Produktionsweise ist. Während jedoch die Industrie sehr geringe Strompreise bezahlt, ist die Stromrechnung für Privatkunden massiv überteuert“, analysiert Maggi.
So seien bereits 70 Prozent der Energie, die von „Belo Monte“ produziert werden wird, für die nächsten 30 Jahre verkauft - und zwar mit einem Gewinn von 40 Milliarden Euro. Doch davon würden nur wenige - vor allem internationale - Großunternehmen profitieren, nicht die Bevölkerung. „Die durch das Kraftwerk Vertriebenen werden nie eine adäquate Wiedergutmachung erhalten. Der Xingu ist die Herzschlagader der Region. Durch Belo Monte wird die amazonische Biodiversität entlang des Flusses zerstört mit Auswirkungen auf die gesamte Biosphäre“, befürchtet der Ordensmann. Zu den wenigen Profiteuren des ursprünglich auf drei und mittlerweile bereits auf 10,5 Milliarden Euro teuren geschätzten Projektes zählen neben der Aluminium-, Stahl- und Zelluloseindustrie auch Zulieferer aus Europa.
Die Kleinfischer am Xingu registrierten bereits jetzt einen Rückgang des Fischbestandes; mit der Trockenlegung der „Großen Schlinge“ des Flusses aufgrund der Ableitung von 80 Prozent der Wassermassen würden örtliche Fischer und Landwirte gänzlich ihre Lebensgrundlage verlieren. Weitere Folgen: Die Wasserwege zur 140.000-Einwohner-Stadt Altamira würden unterbrochen, steigender Grundwasserspiegel die Wasserversorgung gefährden und die erwartete Ausbreitung von Moskitos durch die vielen kleinen Wasserbecken die Malaria-Gefahr drastisch erhöhen. „Belo Monte steht für ein koloniales Machtstreben ohne Rücksicht auf Betroffene“, kritisiert Claret. Er lebt in Altamria, seiner Gemeinde Rio Xingu gehören mehr als 83.000 Menschen an.
Staatspräsidentin Dilma Rousseff und die brasilianische Regierung halten trotz ökologischer, sozialer, aber auch technischer Bedenken - wegen der unbeständigen Wasserführung des Xingu und der damit erbundenen Leistungsschwankungen - am Kraftwerksbau fest. Rousseff habe zudem die indigenen Völker nicht angehört und damit gegen die brasilianische Verfassung und die Menschenrechte verstoßen, kritisiert Pater Claret. Große Hoffnungen setzt der Ordensmann nun auf den Weltjugendtag im Juli 2013 in Brasilien mit Benedikt XVI. „Wir werden auch den Papst-Besuch im kommenden Jahr nutzen, um auf unser Anliegen aufmerksam zu machen. Ganz im Sinne von Bischof Kräutler muss es um einen Prozess der Emanzipation und des Wachsens von Menschen im Einklang mit dem Lebensraum gehen.“
Von Jürgen Nemec
(C) KNA
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