Der Spiritanerprovinzial Pater Emeka unter Blauhelmsoldaten während seines Aufenthaltes in der Zentralafrikanischen Republik. Foto: Nzeadibe |
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Interview
"Nichts ist hier normal!"
Interview mit dem Spiritanerprovinzial Pater Emeka Nzeadibe
zur Lage in Zentralafrika.
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Die Republik Zentralafrika kommt nicht zur Ruhe. Als nach wie vor dramatisch bezeichnet der Provinzial der Spiritanerprovinz Europa, Pater Emeka Nzeadibe, nach seiner Reise die Lage im Land, das zu einem Großteil weiterhin unter der Kontrolle bewaffneter Rebellengruppen steht. Die Zentralafrikanische Republik ist eines der ärmsten Länder der Welt. Lange Zeit lebten Muslime und Christen friedlich miteinander. Als 2013 die muslimischen Seleka-Rebellen die Macht übernahmen, stürzten sie das Land in ein Chaos. Die christlichen Anti-Balaka-Milizen kämpfen dagegen an. Seither starben Tausende Menschen, Hunderttausende wurden vertrieben. Pater Emeka schildert für kontinente seine Eindrücke aus dem Süden Zentralafrikas.
Pater Emeka, Sie haben Ihre Spiritaner-Mitbrüdern in Zentralafrika besucht. Was haben Sie erlebt? Wie ist die Lage im Land?
Ich war die meiste Zeit in Mobaye, dem Hauptort der Präfektur Basse-Kotto. In Mobaye arbeitet unser deutscher Mitbruder Olaf Derenthal. Er lebt in Gemeinschaft mit einem jungen Spiritanerdiakon. Mobaye liegt am rechten Ufer des Ubangi-Flusses, gegenüber liegt Mobayi-Mbongo, das zur demokratischen Republik Kongo gehört. Es ist beeindruckend, wie beide Mitbrüder den Menschen, die alles verloren haben, beistehen. Es gibt kaum eine Familie, die nicht Mitglieder, Häuser oder Hab und Gut verloren hat. Die Leute mussten zeitweise in den Kongo fliehen. Aufgrund sehr starker Drohungen gegen die katholische Kirche waren zeitweise auch die Mitbrüder der Spiritaner-Kommunität von Mobaye gezwungen, zu fliehen.
Seit Anfang Dezember 2017 hat sich eine militärpolitische Veränderung in der Präfektur von Basse-Kotto ergeben. Die zwei entgegengesetzten bewaffneten Gruppen, die Seleka und die Anti-Balaka haben ein „Ende der Feindseligkeiten“ ausgerufen in Mobaye. Die Feuerpause hält in Mobaye und Umgebung. Diese Entwicklung hat die Spiritaner bewogen, im Januar nach Mobaye zurückzukehren. Trotzdem bleibt die Situation fragil, denn der kleinste Vorfall zwischen den beiden Rebellengruppen beschwört die Gefahr herauf, dass das Land wieder unter Feuer gerät. Heute noch leben 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung weiterhin im Kongo. Die Zurückgekehrten finden ihre Häuser total ausgeraubt und zerstört vor. Was die Rebellen nicht mitgenommen haben, ist schließlich von Termiten zerstört worden.
Es klingt ja sehr dramatisch. Können Sie mehr zur dortigen Situation erzählen? Was ist dort dann passiert?
Es ist in der Tat dramatisch. In der Präfektur Basse-Kotto und besonders in Mobaye ist der militär-politische Kontext sehr komplex. Die Seleka-Rebellen kämpfen hier seit seit Anfang des Jahres 2013. Mobaye wurde zum Schauplatz mörderischer Auseinandersetzungen. Viele Leute haben ihr Leben verloren, die Häuser wurden niedergebrannt, die Bewohner mussten in den benachbarten Kongo fliehen, und überquerten in Massen den Fluss. Die Rebellen wüteten, der Terror herrschte in dieser Stadt, die in die Hände der Rebellen gefallen war.
Nach vier Jahren täglicher Schikanen, die die Bevölkerung über sich ergehen lassen musste, aber einer relativen Ruhe auf der politisch-militärischen Ebene, erfuhr Basse-Kotto ein neues Aufflammen der Gewalt ab Mai 2017. Alles begann mit sehr gewaltsamen Ausschreitungen, die gegenüber der Zivilbevölkerung von Alindao drei Tage lang begangen wurden.
Die Neuigkeiten haben Panik gestreut in ganz Basse-Kotto. In Mobaye wurden die Rebellen immer aggressiver. Neue Gruppen der „Anti-Balaka“, das heißt von „Kontra-Rebellen“, Gruppen der Selbstverteidigung, die „Christen“ wären, haben sich in den Dörfern der Umgebung gebildet, und es gab gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen. Opfer waren zu beklagen unter der Zivilbevölkerung. So begannen die Leute, in die demokratische Republik Kongo zu fliehen, auch die Mitbrüder der Spiritaner-Kommunität. Sie wurden von Bischof Dominik Blamatari, dem Bischof von Molegbe, der kongolesischen Diözese gegenüber, aufgenommen. Er hat sein Haus geöffnet, um sie zu beherbergen. Von seiner Residenz in Gbadolite aus haben unsere Mitbrüder begonnen und ihr pastorales und humanitäres Engagement bei den zentralafrikanischen Flüchtlingen weiterverfolgt.
Die Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen sind doch präsent in der RZA zur Sicherung des Friedens, oder?
In der Tat prägt eine massive Präsenz der Blauhelmsoldaten die Landschaft. Man sieht sie überall. Sie haben den Auftrag, den Frieden aufrechtzuerhalten. Sie dürfen aber nur einschreiten zur Selbstverteidigung. Zu ihrer Aufgabe gehört nicht Friedenherstellung. Wie soll das gehen? Offensichtlich ist ihre Gegenwart nicht abschreckend genug. Wie kann man den Frieden aufrechterhalten, wenn es keinen Frieden gibt?
Was genau tun die Spiritaner in diesem Gebiet? Mit welchen Mitteln?
Die Spiritaner-Kommunität und die katholische Mission Mobaye sind umgeben von Seleka-Rebellen. Unsere Mitbrüder begegnen täglich diesen bewaffneten Rebellen, die sich in ihrer Nachbarschaft eingerichtet haben. Viele Bewohner von Mobaye leben noch im Kongo und überqueren täglich den Ubangi-Fluss, um in die Schule zu gehen oder Handel zu treiben. In dieser hoffnungslosen Situation sind die Spiritaner ein Zeichen der Hoffnung geworden. Sie sind alles: Pastor, Seelsorger, Helfer, Erzieher, Krankenpfleger und Gesundheitshilfskraft. Sie besuchen die zerstreuten Christen entlang des Flusses auf kongolesischem Boden. Sie hören ihnen zu. Besonders arbeiten sie im Bereich Gesundheit, um sich der Flüchtlinge anzunehmen, der Vertriebenen, der Opfer von Angriffen und Krieg.
Während Ihres Besuchs sind Sie auch den Rebellen begegnet?
Ja, Pater Olaf und ich haben uns in Mobaye umgesehen. Wir haben die Menschen besucht. Wieder und wieder haben wir die „Seleka und die Anti-Balaka“ getroffen. Wir sind auf die „Chefs“ des Krieges zugegangen. Sie hatten ihre Kalaschnikows im Anschlag, wir haben mit ihnen geredet. Mir liefen kalte Schauer über den Rücken, als ich daran dachte, dass ich gerade mit Leuten rede, die getötet, geraubt und vergewaltigt haben. Selbst der Chef der Anti-Balaka, Lubangi, wollte mich überzeugen, dass sie ihr Land verteidigen und bat mich, ihn zu unterstützen! In der Einfachheit der waffenlosen Begegnung halten unsere Mitbrüder den Kontakt und die Verbindung mit ihnen aufrecht. Wenn diese Verbindung abreißt oder aufhört, droht das Schlimmste zu passieren.
Ein prägendes Erlebnis mag verdeutlichen, wie fragil und zerbrechlich die Lage ist. Als wir unterwegs zur Präfektur waren, kam uns ein 18-jähriger Junge entgegen. Er hat uns seine Wunden gezeigt und um unsere Hilfe gebeten. Er war aus dem Kongo zurückgekehrt mit der Piroge und von einer Gruppe Seleka-Rebellen angehalten worden, die seine Piroge und sein Gepäck beschlagnahmten. Sie haben von ihm 500 Francs (etwa 75 Cent in Euro) verlangt, um seine Sachen zurückzuerhalten. Der Junge hatte kein Geld. Man hat ihn in die Stadt geschickt, dort Geld zu suchen. Er hat sich uns genähert und uns seine Situation geschildert. Wir haben ihn begleitet bis zum Posten der Rebellen und mehr als eine halbe Stunde mit ihnen verhandelt. Die Rebellen kannten Olaf, aber mich kannten sie nicht. Sie haben mich gefragt, woher ich käme. Ich erklärte es ihnen. Einer von ihnen fragte mich, was ich ihnen als Geschenk mitgebracht hätte, und ich sollte sie doch materiell unterstützen. Ich habe gesagt, dass ich nichts habe. Er entgegnete, dass ich ihnen doch wenigstens mein Hemd geben könnte! Eine echt surrealistische Geschichte!
Was tut der Staat zur Wiederherstellung des Friedens?
Die staatliche Zentralregierung ist ausgesprochen schwach. Ihre Autorität wird dauernd in Frage gestellt. Sie hängt sehr von der auswärtigen Hilfe durch Nichtregierungsorganisationen ab, von Geldgebern und besonders von den Vereinten Nationen, um eine Art Staat zu garantieren. Noch mehr, das Land bildet ein Spielfeld für einige ausländische Mächte, die sich Zentralafrika als ihr Jagd-Revier erhalten wollen.
Seit Januar aber stellt man dank der Ankunft eines neuen Präfekten in Basse-Kotto, begleitet von sechs Unterpräfekten der Präfektur, eine fortschreitende Rückkehr eines Teils der Bevölkerung nach Mobaye und auch in die umliegenden Dörfer fest. Man muss unterstreichen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Unterpräfekten von Mobaye, Cyrille Lebangue, und den spiritanischen Mitbrüdern ausgezeichnet ist. Ich hatte mehrmals die Möglichkeit, den Unterpräfekten zu treffen und lange mit ihm zu sprechen. Er besitzt keine Mittel, aber er hat keine Kälte in den Augen. Er setzt sich grundsätzlich für die Suche nach Frieden ein. Die katholische Mission stellt ihm das Fahrzeug der Mobilen Klinik für seine wichtigen Fahrten zur Verfügung.
Gibt es Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität?
Was heißt schon Normalität? Nichts ist normal hier. Die Arbeit, die unsere Mitbrüder tun, ist eine Arbeit der Neugründung und des Wiederaufbaus in jedem Sinn des Wortes. In Mobaye fehlt es an allem. Alles muss wieder aufgebaut werden. Es bedarf dringender Hilfe für die Ausbildung der Katechisten, für den Wiederaufbau der Häuser, für die Wiedereröffnung der Schule und für den Wiederaufbau der sanitären Infrastruktur der Mobilen Klinik und der Krankentransporte. Man braucht Medikamente, Nahrungsmittel und Heilmittel. Ein Projekt für den Unterhalt der Flüchtlinge ist nötig, ebenso eine Unterstützung materieller und geistiger Art für die Opfer der Rebellion in Mobaye.
Auf einer anderen Ebene darf man sich fragen: Wie kann man die Wunden derer verbinden, die durch Gewalt und Tod geschlagen wurden. Wie kann man einen Schein von Normalität wiedererstehen lassen, wo der der König ist, der eine AK47 hat? Er kann machen, was er will: töten, vergewaltigen, stehlen.
Die Spiritaner in Mobaye engagieren sich beim Wiederaufbau der Herzen, des Lebens, der Wohnverhältnisse. Trotz des Wenigen an Ressourcen und Mitteln setzen sie sich ein, das Leben der ihnen anvertrauten Leute wieder aufzubauen, auf geistlicher, erzieherischer, materieller, sanitärer Ebene, kurz: auf jede Art. Sie bieten Kurse und Begleitung für die Jüngsten. Sie wirken in der Ausbildung von Scouts, organisieren Camps, um mehr Begegnung zu ermöglichen, mehr Austausch, Erziehung zum Frieden und zum Zusammenleben.
Das ist eine missionarische Arbeit ersten Ranges, die es verdient, dass man sie von Grund auf unterstützt. Persönlich bin ich dankbar und voller Bewunderung für diese spiritanische Präsenz für das Wohl der Bevölkerung eines Landes, das auf bessere Tage hofft und die Hoffnung auf einen Frieden nicht aufgibt.
Interview: Pater Samuel Mgbecheta/Franz Jussen
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