„Unser Reichtum hat uns arm gemacht“Zentralafrika steht vor einer humanitären Krise. Bischof Cyr-Nestor Yapaupa von der Diözese Alindao
findet klare Worte zu prekären Lebensverhältnissen, dem Versuch der religiösen Spaltung
des Landes und den globalen Hintergründen des Konflikts. |
Seit einem Jahr und fünf Monaten sind die Menschen in der Diözese Alindao im Süden der Zentralafrikanischen Republik auf der Flucht. Viele Tausende sind außer Landes geflohen, etwa 23 000 leben als intern Vertriebene in einem Flüchtlingscamp in Alindao. Die grausamen Kämpfe der Rebellengruppen der Séléka und der Antibalaka-Milizen haben mittlerweile große Teile der Infrastruktur zerstört. In Deutschland sprach er mit dem Länderreferenten Burchard Schlömer von missio Aachen über die Lage in seiner Heimat.
Wie ist die aktuelle Situation in Zentralafrika und in Ihrer Diözese im Süden des Landes?
Ein Großteil des Landes ist von Rebellengruppen kontrolliert, in diesen Gebieten existiert die Regierung nicht. In 16 Präfekturen diktieren die Rebellen das Gesetz, der Staat kontrolliert nur noch fünf Präfekturen.
Viele Menschen sind auf der Flucht vor der Gewalt der Rebellen, die ganze Dörfer niederbrennen, Lebensgrundlagen zerstören, Menschen töten. Manche fliehen in die Nachbarstaaten wie Kamerun oder dem Kongo, andere bleiben im Umkreis von etwa 20 oder 30 Kilometern ihrer Heimat, weil sie hoffen, eines Tages ihr Zuhause neu aufbauen zu können. Diese Menschen nennen wir „intern Vertriebene“, in meiner Diözese sind es etwa 23 000 Menschen, die in einem Camp leben.
Was wollen die Rebellen Ihrer Meinung nach?
Seit Jahren versuchen die Rebellengruppen, den Konflikt als einen Religionskonflikt zu inszenieren. Sie wollen zeigen, dass die muslimische Gemeinschaft zusammenhält und die Christen dagegen sind. Aber ich sage bis heute: Das ist nicht der Kern der Sache. Es ist kein religiöser Konflikt, sondern ein politisch und wirtschaftlich motivierter. Wenn ich politisch sage, dann meine ich die nationale Politik, aber auch die internationalen Handelsmächte.
Jeder weiß, dass man in Zentralafrika Gold und Diamanten findet, es sehr viel Öl und Uran gibt. Ich sage den Menschen immer: Es ist unser Reichtum, der uns arm gemacht hat. Denn alle wollen unseren Reichtum haben. Momentan weiß ich nicht, wie viele große Firmen bei uns im Land agieren, aber alle Firmen stehen hinter ihrem Land. Es gibt französische Firmen, amerikanische und chinesische, die unsere Rohstoffe abbauen.
Welche Rolle spielt Frankreich als ehemalige Kolonialmacht?
Alle wissen, dass Frankreich die Kolonialmacht in Zentralafrika gewesen ist, es hat bis heute Verantwortung in unserem Land. Frankreich ist eine der ersten Mächte gewesen, die interveniert haben mit einem Spezialeinsatz der Sangaris (Operation Sangaris in Zentralafrika seit 2014, Anm. d. Red.).
Sie haben die Rebellengruppen zwar aus der Hauptstadt Bangui vertrieben, aber sie haben sie nicht entwaffnet. Sie haben sie in die Provinzen ziehen lassen.
Die Kirche ist nicht dazu da, das eine oder das andere Land als den Schuldigen zu benennen, aber wir wollen, dass Frankreich ein ehrliches Spiel mit den zentralafrikanischen Behörden spielt. Frankreich sollte seine Rolle als Unterstützer für Zentralafrika wahrnehmen, um den Frieden zu bringen für das ganze Land, auch militärisch. Bisher haben wir das so nicht gesehen.
Wie bewerten Sie den Einsatz der Vereinten Nationen in Zentralafrika?
Die sogenannten Minsuca-Truppen sind mit dem Ziel der Friedenserhaltung ins Land gekommen. Sie machen ihre Arbeit, aber es nicht zufriedenstellend. Die Rebellen hören nicht auf zu töten, hören nicht auf, die Dörfer abzubrennen. Die Einsatzkräfte der Vereinten Nationen wissen es, sie wissen auch, wo die Rebellentruppen sich befinden, aber sie halten sie nicht auf. Wir, die Kirche, fordern von Minsuca, wirklich zu intervenieren: Sie brauchen mehr Personal, mehr finanzielle Mittel, aber auch mehr Professionalität. Die Einsatzkräfte vor Ort agieren nicht auf der Höhe ihrer Möglichkeiten.
Welche Rolle spielt die zentralafrikanische Kirche in dieser schwierigen Situation?
Die Kirche ist für uns wie eine Mutter, die für alle offen ist und alle willkommen heißt. Wir haben „Nein“ zur Gewalt der bewaffneten Rebellengruppen gesagt, für alle diejenigen, deren Stimmen nicht gehört werden. Aufgrund der politischen Position der Kirche sind in der letzten Zeit fünf Priester getötet worden.
Trotzdem sind wir Christen eine Gemeinschaft, die zusammenhält. Gleichzeitig sind wir offen für alle. Wir bei uns in Alindao haben viele Christen aufgenommen, aber die Diözese Bangassou hat in ihrem Seminar sehr viele Menschen der muslimischen Gemeinschaft aufgenommen. Den Stimmen, die sagen, dass der Konflikt in Zentralafrika ein religiöser Konflikt sei, setzen wir ein klares „Nein“ entgegen. Es gibt keinen Krieg zwischen Christen und Muslimen, sie haben immer miteinander gelebt in der Zentralafrikanischen Republik. Der Grund, warum der Konflikt im Land derart eskaliert, ist nicht die Religion. Das eigentliche Problem ist die Präsenz der Rebellengruppen, die die muslimische Gemeinschaft infiltrieren und die Spannungen verursachen.
Wie wichtig ist der interreligiöse Dialog in dieser Krisensituation?
Wir haben eine interreligiöse Plattform ins Leben gerufen. Protestanten, Katholiken und Muslime setzen sich gemeinsam für den Frieden und für sozialen Zusammenhalt ein. Damit wollen wir zu verstehen geben, dass der Konflikt hier kein Konflikt zwischen Christen und Muslimen ist. Auf diözesaner Ebene diskutieren beispielweise der Imam, der Pastor und ich als katholischer Bischof gemeinsam alles, was das gesellschaftliche Zusammenleben betrifft. Die Fragen sind: Was müssen wir tun, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, und was vermeidet eine Spaltung? Was sind die Ursachen der Probleme, die uns alle angehen?
Was sind Ihre alltäglichen Aufgaben als Bischof?
Als Bischof besteht meine Arbeit hauptsächlich daraus, die Menschen meiner Diözese zu treffen, ihnen zuzuhören und sie zu begleiten, Katechese anzubieten. Die meisten, die zu mir kommen sind Christen, aber auch Muslime wissen, dass sie zu mir kommen können. Die Mehrheit der Menschen in Zentralafrika sind Christen, mit insgesamt rund 1,4 Millionen Katholiken, das sind etwa 25 Prozent der Bevölkerung. Dazu kommen die Protestanten, die auch etwa 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen. In meiner Diözese Alindao ist mit etwa 105 000 Menschen von insgesamt rund 270 000 etwa die Hälfte der Bevölkerung katholisch.
Leben Christen und Muslime gemeinsam in den Camps?
Das ist momentan schwierig: Die Mehrheit der vertriebenen Christen sind jetzt bei uns im Camp. Die Mehrheit der muslimischen Gemeinschaft ist in der Stadt Alindao geblieben, wo sie auch vorher gelebt hat und mischt sich ein wenig mit der Rebellengruppe der Séléka, die die Stadt kontrolliert. Die Rebellengruppe ist mehrheitlich auch muslimisch, aus dem ganzen Land kommend. Das heißt aber nicht, dass alle Muslime, die dort geblieben sind, jetzt die Séléka unterstützen. Ich glaube, dass sie teilweise als Geiseln gehalten werden und gezwungen sind, die Séléka zu unterstützen.
Wovon leben die Geflüchteten in diesem Camp?
Das ist die schwierigste Frage von allen. Als sie anfangs zu uns kamen, konnte die Caritas uns unterstützen. Mit den wenigen Mitteln, die wir damals hatten, haben wir versucht, sie mit den nötigsten Lebensmitteln zu versorgen, aber die Zahl der Menschen ist jeden Tag größer geworden. Irgendwann konnte die Caritas uns nicht mehr unterstützen, deshalb waren wir gezwungen, andere Organisationen um Hilfe zu bitten. Beispielsweise ist die Welthungerhilfe gekommen, sie leistet einen wichtigen Beitrag, auch wenn das alleine nicht reicht. Die Menschen versuchen natürlich, immer wieder ihre alten Felder aufzusuchen und noch etwas Essbares zu finden, aber das Überleben ist sehr schwierig.
Wie kann die deutsche Kirche in Zentralafrika helfen?
Unsere deutsche Schwesterkirche hat uns in unseren schlechtesten Zeiten unterstützt, wir hoffen und vertrauen darauf, dass sie uns auch in dieser Krise unterstützt. Das sind finanzielle Mittel, aber die deutsche Kirche wird auch wissen, an welcher Stelle sie auf politischer Ebene helfen kann. Die Herausforderungen für die zentralafrikanische Gesellschaft liegen in der integralen Entwicklung, wir brauchen Schulen, Krankenhäuser, Lebensperspektiven für Menschen... nach dieser Krise gibt es viel zu tun.
Was ist Ihre Botschaft an die deutsche Öffentlichkeit?
Seid ein Volk, das weiterhin weltoffen bleibt. Auch in Deutschland gibt es viele Migranten, und auch wenn es Menschen gibt, die das nicht gut finden, gibt es eine gute Mehrheit, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzt. Das ist eine Öffnung zur Welt. Das zeigt auch, dass das deutsche Volk nicht nur auf sich selbst fixiert ist. Es ist ein Volk, das mit anderen Völkern teilen möchte, was es hat. Als Priester finde ich das sehr interessant, denn einer allein reicht nicht aus. Nur mit den anderen kann man weiterkommen und etwas erreichen
Interview und Foto: Lena Monshausen
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