Reise ins VertrauenDrei Jahre und 110 Tage waren Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier auf Weltreise. Sie haben 38 Länder durchquert und unterwegs Fantasie gegen Erfahrung getauscht. Mit Sohn Bruno, der in Mexiko geboren wurde, sind sie nach
96 707 Kilometern wieder nach Hause gekommen. Ihr Fazit: Es lohnt sich, zu vertrauen. |
Interview: Eva-Maria Werner, Foto: Allgaier/Weisser
Was waren die wichtigsten Begleiter auf der langen Reise, die Sie so weit in den Osten geführt hat, dass Sie aus dem Westen wieder zurückgekehrt sind?
Weisser: Spontanität und Neugierde.
Warum sind Sie aufgebrochen?
Allgaier: Wir wollten lernen, was für andere Menschen Heimat bedeutet. Ihnen in ihrem Alltag begegnen, ganz nah und mit viel Zeit. Wir wollten die Erde spüren, in andere Kulturen eintauchen, viel draußen sein.
Sie sind über Land und Wasser gereist, ohne zu fliegen – zu Fuß, per Anhalter, mit dem Schiff. Wieso?
Weisser: Wir haben uns gefragt, wie groß die Welt ist, wenn man nicht fliegt, wenn man Stück für Stück reist. Wir konnten Übergänge beobachten, erkennen, wie sich das Klima, Landschaften, das Essen und Gesichter langsam verändern. Es fühlt sich natürlich und gesund an. Wir hatten nie einen Jetlag oder einen richtigen Kulturschock, weil wir uns an alles in Ruhe herangetastet haben. In zehn Monaten ist ganz langsam aus Deutschland Indien geworden.
Inwiefern hat sich Ihr Blick auf die Welt durch die Reise verändert?
Allgaier: Die Welt ist so vielfältig. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Lebensformen. Das sieht man nicht, wenn man zu Hause unter seiner Glocke sitzt. Aber trotz aller Vielfalt ähneln sich die Lebensmodelle im Kern: Jeder Mensch hat ähnliche Bedürfnisse nach Familie, Freunden, einem Zuhause, nach Harmonie und Frieden.
Weisser: Was „fremd“ bedeutet, ändert sich. Wenn man einen Schritt darauf zu macht, ist es gar nicht mehr so fremd und man sieht die Dinge plötzlich anders .„Fremd“ ist eine Perspektive.
Was bedeutet Heimat für Sie?
Weisser: Der Ort, an dem hinter jeder Ecke eine Erinnerung wartet.
Allgaier: Die Jahreszeiten. Wenn bei uns im Schwarzwald der erste Schnee fällt, ist das etwas wahnsinnig Schönes.
Sie haben wild in Pakistan gezeltet, sind im Sommer vom Schnee im Pamir-Gebirge (Zentralasien) überrascht worden, haben bei fremden Menschen auf der Couch übernachtet. Woher kommt das Vertrauen?
Weisser: Ich bin behütet aufgewachsen und hatte eine schöne Kindheit, in der ich Vertrauen in die Welt schöpfen konnte. Das trägt. Und unterwegs ha-ben wir viele gute Erfahrungen gemacht. Wenn man Vertrauen ausstrahlt, bekommt man auch viel davon zurück. Wir sind selten enttäuscht worden.
Wer von Ihnen ist mutiger?
Allgaier: Gwen. Sie ist die Spontanere.
Weisser: Wir waren ein gutes Team. Patrick ist dafür besser organisiert. Ohne ihn hätte ich wohl manchmal ohne Geld oder Visum dagestanden.
Stichwort Gepäck: Was war unverzichtbar?
Weisser: Das Zelt, Rucksäcke, gute Schuhe und Schlafsäcke. Wir brauchten nach Tagen, in denen wir viel kommuniziert und erlebt haben, ein stilles Plätzchen, wo wir den Zelt-Reißverschluss einfach mal hochziehen und unter uns sein konnten. Wir saßen beim Trampen in 700 unterschiedlichen Autos – da sind Ruhepausen wichtig.
Das Kurioseste, das Sie unterwegs gegessen haben?
Weisser: Das gab es in Westchina, wo sehr, sehr viel Fleisch gegessen wird. Für uns als Vegetarier war es nicht einfach, etwas Passendes zu finden. Endlich hatten wir auf dem Markt frittierte und gezuckerte Pfannkuchen entdeckt. Wir freuten uns riesig, bissen hinein und waren erschrocken: Sie waren mit Innereien gefüllt!
Wie haben Sie die Reise finanziert?
Allgaier: Wir haben einfach gelebt, im Zelt und mit Campingkocher. Pro Person und Tag wollten wir nicht mehr als fünf Euro ausgeben. Wir haben auch für Kost und Logis gearbeitet. Den Film und das Magazin konnten wir mit einer Crowdfunding-Kampagne (Gruppenfinanzierung) umsetzen.
Wieviel Filmmaterial haben Sie mitgebracht?
Allgaier: Etwa 600 Stunden. Es war eine Herausforderung zu überlegen, was rausfallen muss.
Wann ist der Film für Sie ein Erfolg?
Weisser: Wir sind überwältigt von den Reaktionen der Zuschauer und dem großen Interesse. Damit hatten wir nicht gerechnet. Wir wollten anfangs unsere Erlebnisse nur mit Familie und Freunden teilen. Jetzt merken wir, dass der Film sehr viele Menschen berührt.
Allgaier: Uns schreiben Leute, die Rucksackreisende aufgenommen haben oder erstmals Couchsurfing (Übernachtung bei Privatpersonen) ausprobieren. Der Film macht Mut, auf andere zuzugehen. Das ist wichtig in der heutigen Zeit, in der sich viele dem Fremden gegenüber verschließen. Die positive Offenheit, mit der wir durch die Welt gekommen sind, motiviert andere, Ähnliches – auch im Alltag – auszuprobieren. Wir sollten viel weniger Angst voreinander haben. Man kann sagen, die Reise war wie ein Studium für uns und der Film ist unsere Abschlussarbeit, die wir nun mit anderen teilen.
Haben Sie Zukunftspläne?
Weisser: Auf der Reise haben wir gelernt, dass es oft nicht so viel Sinn macht, Pläne zu schmieden, weil es meistens doch anders kommt. Wichtig ist, aktiv zu bleiben und die eigenen Träume und Ideen weiter zu verfolgen.
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