Mein Ohr an das Herz Gottes legenDer Bau einer Geige ist für Martin Schleske ein Schöpfungsakt. Und die Suche nach dem vollkommenen Klang seine
Leidenschaft. Der Physiker und Geigenbaumeister ist überzeugt, dass ein guter Klang Menschen heilen kann. |
Interview: Eva-Maria Werner; Foto: KNA-Bild
Herr Schleske, bevor wir über den Klang sprechen, was bedeutet Ihnen die Stille?
Stille ist für mich ein absolutes Lebenselixier. Ohne sie fehlt mir die Kraft. Über meiner Werkstatt habe ich eine kleine Klosterzelle eingerichtet. Wenn ich dort vor der Arbeit eine halbe Stunde ruhig bin, entstehen danach andere Instrumente. Ich suche die tiefste Stille, das Vertrauen. Daraus lebe ich.
Viele Menschen halten Stille nur schwer aus...
Ja, weil sie dann mit ihrem Inneren konfrontiert werden. Es melden sich Ängste, Sorgen, Verletzungen. Meine Erfahrung ist, dass alles, was anklopft, gestillt werden kann, wenn ich Gottes Nähe suche, mein Ohr an sein Herz lege und sage: „Hier bin ich.“
Sie berichten von sehr intensiven Gotteserfahrungen. Warum?
Ein Sprichwort sagt: „Das Schlimmste ist zu wissen, wo es Wasser gibt und es nicht zu sagen.“ Es ist wichtig, einander Hinweise zu geben auf das, woraus wir leben. Ich spüre eine große Sehnsucht danach bei vielen Menschen. Außerdem tut es mir weh, wenn ich sehe, dass Menschen unter ihren Möglichkeiten leben. Das ist traurig, denn das Leben ist kurz und kostbar. Wir sollten es intensiv leben.
Was meinen Sie damit, wenn Sie vom „behinderten Gott“ sprechen?
Gott unterwirft uns nicht. Wir haben nicht mit seiner Allmacht zu tun, sondern mit seiner Verletzbarkeit. Unser Leben besteht darin, Gottesermöglicher zu sein. Glauben heißt für mich erlauben. Wieviel Gottesnähe bin ich bereit zuzulassen? Gott klopft an und sucht etwas, was er von sich selbst in uns finden kann. Es liegt an uns, ihm Raum zu geben in unserem Leben.
Wie kann ein Mensch erkennen, was er ermöglichen soll?
Die wesentlichen Dinge können wir nicht machen, sondern nur empfangen. Aber wir können uns empfänglich machen. In dem Maße, in dem wir uns zur Verfügung stellen, können Fügungen passieren. Das Erlernen der eigenen Berufung ist das Leben selbst. Es ist das Lernen in den Dingen, die uns verstören, begegnen, fordern und widerfahren. Ich bin überzeugt: Das Ich des Menschen kann nur im Du der Gemeinschaft seine Berufung erfüllen.
Wieso sind Sie auf der Suche nach dem vollkommenen Klang?
Ich habe immer wieder erlebt, dass es einen heilsamen Klang gibt. Einen Klang, der die Seele berührt, der erschüttert, der tröstet. Das brauchen wir in unserer hoch gestörten Welt. Wir brauchen Klang, um zu überleben.
Holz bearbeiten, Lacke mischen, Klang einstellen: Inwiefern sind diese Arbeiten für Sie zu einem Gleichnis geworden?
Nehmen wir die Arbeit mit dem Holz. Es wäre billig, wenn ich ihm meine eigene Vorstellung aufzwingen wollte, wenn ich gegen seinen natürlichen Faserverlauf arbeiten würde. Ich prüfe die Festigkeit und Dichte des Holzes. Das zeigt mir seine Möglichkeiten und Grenzen. Jedes ist einzigartig und anders. Ich muss auf das hören, was gegeben ist. Und dann frage ich: Wie kann ich dieses Stück Holz zum Klingen bringen? Das ist ein Schöpfungsakt. Ich helfe dem Holz mit seinen Möglichkeiten, zu klingen. Das ist für mich ein Gleichnis für den Umgang Gottes mit seinen Geschöpfen. Trotz unserer Fehler und unserer Eigenarten nimmt Gott uns an und setzt alles daran, unser Leben zum Klingen zu bringen. Es ist auch ein schönes Bild dafür, wie wir Menschen miteinander umgehen könnten.
Ein ermutigendes Beispiel...
Ja, manche Erkenntnisse haben mich allerdings auch erschüttert.
Nämlich?
Als ich einmal die Mühe scheute, mein Abstecheisen zu schärfen. Ich wollte weiter arbeiten, sagte mir: „Es reicht schon noch.“ Und fühlte mich sofort ertappt. Wie oft geben wir uns mit unserer Abgestumpftheit zufrieden? Wir verlieren das Gefühl dafür, was mit uns und um uns geschieht. Es ist keine Schande, stumpf zu werden an den Zumutungen der Welt. Fatal aber ist, wenn wir uns nicht wieder schärfen lassen.
Können auch Menschen, die nicht schöpferisch tätig sind, „Offenbarungsmomente im Alltag“ erleben?
Wer in der Haltung ,Was soll mir gesagt werden?‘ durch seine Tage geht, der lebt gleichnishaft. Dann können alle Dinge zu uns sprechen, in jeder Lebenslage.
Haben Ihnen die Eltern den starken Glauben in die Wiege gelegt?
Nein. Ich war 13 Jahre alt, als ich Feuer gefangen habe für Jesus – auf einer Jugendfreizeit in Schottland. Meine Eltern, vor allem mein Vater, waren entsetzt. Aufgrund seiner Erfahrungen im Dritten Reich hatte er seinen Glauben verloren. Es gab heftige Auseinandersetzungen zwischen uns.
Sie haben mit Musikern aus unterschiedlichen Kulturen zu tun...
Unser Anliegen ist es nicht, das Können des Musikers bestmöglich darzustellen, sondern Diener des Lebens zu sein. Die Künstler haben die Gabe, mit der Musik die Menschen zu segnen.
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