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Interview
„Wenn Mönch, dann in Jerusalem!“
Pater Nikodemus Claudius Schnabel, geboren 1978 in Stuttgart, wuchs in einer Künstlerfamilie auf und studierte Theologie unter anderem in München und Jerusalem. 2003 trat er in die Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion ein und wurde 2013 zum Priester geweiht. Als promovierter Theologe und Ostkirchenexperte ist er Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft, Seelsorger für die deutschsprachigen Katholiken in Israel und Palästina und Pressesprecher seines Klosters.
Pater Nikodemus, Ihr Weg ins Kloster war spannend!
Pater Nikodemus Claudius Schnabel: Das stimmt, der Weg war geprägt von Widersprüchen. Ich komme aus einer Künstlerfamilie, meine Mutter war Schauspielerin, so dass meine Kindheit und Jugend ziemlich unruhig war. Es war nicht zu erwarten, dass ich einmal Priester und Mönch werden würde, ich war nicht einmal katholisch. Ich kann als Ermutigung sagen: Man muss das Katholisch-sein nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben, um Priester und Mönch zu werden.
Sie sind es dann doch geworden?
Irgendwann hat mich die Kirche begeistert, ich bin in Fulda ins Priesterseminar eingetreten und habe am Studienjahr der Dormitio-Abtei in Jerusalem teilgenommen. Ich war bis dahin oft Jüngster, Bester und Schnellster. Und plötzlich war alles anders.
Was ist passiert?
Ich bekam in Jerusalem eine starke Rheumaerkrankung. Ich nahm härteste Medikamente, verbrachte Wochen im Krankenhaus und erlebte eine persönliche Erschütterung. Heute kann ich sagen: Da ist einiges im guten Sinne durcheinander geraten. Ich nenne das die Gnade des Nullpunktes, mal so richtig gestoßen zu werden und die Koordinaten meines Lebens zu hinterfragen.
Sie entdecken Gutes in dieser Krise?
Ja, denn es ist eine Gnade, wenn man selbst einmal unten ist. Meine neue Si-tuation hat mich geöffnet. Ich war nicht mehr der auf dem hohen Ross, Menschen vertrauten sich auf einmal ganz anders an, erzählten von ihren Gebrechen, vo ihren Sorgen. Die Krise hat mich verändert und ich habe neue Entscheidungen getroffen.
Welche?
Ich bin in Fulda aus dem Seminar ausgetreten und habe in München als freier Student fertig studiert. Ich wusste, dass ich unter den ursprünglichen Umständen nicht mehr Priester werden konnte. Die Motivation, mit der ich ins Seminar eingetreten war, trug nicht mehr. Jerusalem hingegen lies mich nicht mehr los, da war eine Sehnsucht, die ich nicht ersticken konnte. Also bin ich zurück in die Dormitio, habe einen Monat mitgelebt, um zu prüfen, ob ich dort als Mönch leben könnte.
... und dabei ist der Funke übergesprungen?
Das Kloster Dormitio war damals, im Jahre 2001, wie viele Klöster in Deutschland auch, eher ein Altenheim. Aber es gab erste Eintritte von jungen Männern und Mönchen, so dass man erahnen konnte, dass es eine Zukunft für dieses Kloster gibt. Für mich war das faszinierend. Dazu kam, dass mich die Benediktiner mit ihrer Liturgie und Ästhetik sehr angesprochen haben. Was mir aber große Sorge bereitet hat, war die Tatsache, als Benediktiner in ein Kloster einzutreten, in dem ich jahrzehntelang, bis zum Tod bleiben werde – so sieht es die Ordensregel vor.
Sie haben sich trotzdem für den Eintritt entschieden?
Stimmt, ich dachte mir, Jerusalem, das ist so eine verrückte Stadt, das konnte ich mir dann doch vorstellen. Nach dem Motto: Wenn schon Mönch werden, dann in Jerusalem. Und so bin ich Gründonnerstag 2003 eingetreten.
Wie ist das für Sie, im Geburtsort des Christentums Mönch zu sein?
In Jerusalem, ja in ganz Israel ist ganz klar, sobald ich als Mönch kenntlich vor die Tür gehe, bin ich ein lebendes Gesprächsangebot, und das wird von den Menschen wahrgenommen. Ich kenne nicht die Erfahrung, in Ruhe gelassen zu werden, sondern die Leute kommen sofort in ihrer Unbefangenheit. Das erlebe ich in Deutschland kaum. Für Israelis ist Religion ein ganz normales Thema beim Small Talk. Ich habe die Trinität schon mehr Juden erklärt als irgendwelchen Leuten in Deutschland. Sie kommen mitten auf der Straße auf mich zu und fragen danach und dann erkläre ich ihnen das eben mitten auf der Straße.
Christen befinden sich in Jerusalem in einer Minderheitensituation.
Das ist einer meiner Hauptgründe, warum ich in Jerusalem immer mein Habit trage: Um zu zeigen, wir Christen sind da, auch wenn wir nur zwei Prozent der Bevölkerung stellen und somit eine kleine Minderheit sind. Leider ziehen sich viele Christen in dieser Stadt ins Ghetto zurück, pflegen ein lebendiges Gemeindeleben, aber schotten sich durch hohe Mauern ab. Zu den Wesenszügen der Christen gehört es aber nicht, sich zu verstecken, sondern zu zeigen, sie sind ansprechbar.
Jerusalem ist die Stadt der Juden, Muslime und Christen ...
... und gerade die Christen sind so unentschlossen gegenüber Jerusalem und gegenüber dem Heiligen Land. Immerhin ist das Christentum die einzige der drei Religionen, die dort entstanden ist. Das Judentum kommt aus dem heutigen Irak, der Islam kommt aus dem heutigen Saudi-Arabien, aber eben Jesus Christus ist geboren im Heiligen Land, hat dort gelebt und ist dort gestorben und auferstanden. Das heißt, unsere christlichen Wurzeln sind wirklich dort. Wir erleben in Jerusalem eine hoch emotionale muslimische Welt mit viel Solidarität untereinander; wir sehen täglich, wie hoch emotional die jüdische Welt ist; wie gelangweilt kommt mir dagegen oft die christliche Welt vor, wenn eigentlich Solidarität mit den Mitchristen gebraucht wird. Manchmal habe ich das Gefühl, die Menschen denken, das Christentum ist in Rom entstanden und nicht in Jerusalem. Ein Blick nach Jerusalem würde uns öfter guttun.
Wie halten Sie die Konflikte und die Gewalt aus?
Das ist oft nicht auszuhalten. Der Krieg ist schrecklich, es gibt Täter und Opfer. Aber ich lerne, dass die Welt nicht nur schwarz-weiß ist. Im letzten Gazakrieg konnte man den Eindruck gewinnen, da kämpfen keine Menschen, sondern Tiere in Menschengestalt, ja Monster. Und trotzdem müssen wir sehen, so brutal das ist: Die, die die Raketen abfeuern, sind Menschen. Die haben eine Mutter, einen Vater, die haben Geschwister. Es sind Menschen mit Biografie, Sehnsüchten und Ängsten. Dieser Konflikt ist so hoch emotional. Deshalb glaube ich, da muss auch eine emotionale Lösung her. Die Menschen mit ihren Wunden müssen wir in den Blick nehmen. Eigentlich müsste jeder Palästinenser in der Lage sein, die Shoah anzuerkennen mit sechs Millionen ermordeten Juden. Und die Israelis müssen sagen lernen: „Wir haben Leute deportiert und wir haben Dörfer zerstört.“ Es geht um den Respekt vor der Leidensgeschichte des Anderen.
Was kann die Abtei, was können die Mönche tun, um Frieden zu stiften?
Wesentlich ist, dass wir nicht mitmachen bei der Panikspirale. Wir sind ein Ort, wo jeder hinkommen kann: Jude, Christ, Muslim, Atheist, Pilger, Einheimischer. Natürlich liebt Gott alle, aber ich bin sehr bewusst Christ, sehr bewusst katholisch. Und wir leben das authentisch. Wenn jemand Fragen hat, sind wir auch bereit, Antworten zu geben. Wir lassen uns nicht anstecken von dieser Aggression, von Gewalt und Hass. Wenn wir angegriffen werden, weil wir Christen sind, das war ja bei dem Brandanschlag Tabgha der Fall, dann sind wir zur Barmherzigkeit, zum Verzeihen und Neubeginn bereit. Das ist unser stärkstes Zeugnis. Wichtig ist natürlich das Gebet. Wir sind in voller Naivität und vielleicht total unverständlich für die normalen Menschen hier und hoffen jeden Tag auf den Frieden. Daran halten wir fest. Wir hören nicht auf, Gott zu bestürmen und zu bitten, dass er uns Frieden schenkt.
Das Interview führte Jobst Rüthers. |