Spitze Feder: Thomas Plaßmann nimmt Missstände aufs Korn, aber sagt: „Ich bin kein Tabubrecher.“ Foto: KNA |
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„Es soll kratzen und wehtun“
Interview mit dem Karikaturisten Thomas Plaßmann
„Männlein malen“ nennt Thomas Plaßmann das, was er macht. Das ist subtiles Understatement. Der 54-Jährige zählt zu den besten Karikaturisten in Deutschland. Politik, Kirche und Gesellschaft hält er mit scharfem Strich und liebevollem Blick für die Kleinen den Spiegel vor.
Herr Plaßmann, wie lautet eigentlich Ihre Berufsbezeichnung?
Plaßmann: Nun, ich darf mich wohl als Karikaturisten bezeichnen. Oder, mit etwas Understatement, auch als Männlein-Maler. Es ist halt das, was ich mache, kleine Männchen malen.
Was ist der Unterschied zwischen Karikatur und Cartoon?
Plaßmann: Unter einer Karikatur versteht man eigentlich die Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Der Cartoon ist breiter gefächert, also eher eine Loslösung vom aktuellen Geschehen, von der Tagespolitik.
Wie wird man Karikaturist?
Plaßmann: Eine gute Frage! Ich glaube, dahin gibt es mindestens so viele Wege und Geschichten, wie es Karikaturisten gibt.
Dann erzählen Sie Ihre Geschichte!
Plaßmann: Ich habe Geschichte und Germanistik studiert, Zivildienst und eine Schreinerlehre gemacht. Eigentlich wollte ich Restaurator werden. Das ist zugegebenermaßen nicht der direkte Weg an den Zeichentisch. Denn ich habe früher nie die Kühnheit besessen zu glauben, mit der Zeichnerei einmal mein Geld verdienen zu können. Allerdings habe ich immer gezeichnet – schon in der Schule waren das immer Witzmännchen mit großen Nasen. Ich konnte halt immer besser zeichnen als Fußball spielen. Später habe mich dann auf Cartoons verlegt und beobachtet, was so erschienen ist. Und dann passierte das, was einer dieser berühmten Brüche im Leben ist: Kurz nach Beendigung meiner Schreinerlehre wurde mein Meister sehr krank, musste seinen Laden schließen, und ich stand vor der Frage: Was ist dein nächster Schritt? Da habe ich mir gedacht: Das, was man in Zeitungen und Wochenendbeilagen so sieht, das kannst du auch! Vielleicht damals zu Anfang noch etwas kühn, aber ich habe es einfach probiert.
Haben Sie sofort Abnehmer gefunden?
Plaßmann: Ich habe zu Themen, die damals, also Mitte der 80er-Jahre, aktuell waren, gearbeitet und das dann an Zeitungen und Zeitschriften geschickt. Sehr bald tauchten sehr dann einige Zeichnungen u.a. auf der „Letzten Seite“ der „Süddeutschen“ auf. Und dann habe ich ein Büchlein gemacht – die Essener Stadtgeschichte in Cartoons. Ein kleiner Verlag hier hat das veröffentlicht, und die „WAZ“ hat es dann in Serien abgedruckt. Da dachte ich: Ok, nimm das als Anlass, dich als Karikaturist zu fühlen. Von da an entwickelte sich alles ziemlich schnell.
Wie ist das, wenn man sein Hobby zum Beruf macht?
Plaßmann: Herrlich. Zwar ist es häufig eine sehr anstrengende Geschichte, weil ich immer unter Zeitdruck arbeiten muss. Tagesaktualität erzeugt schon einen ziemlichen Druck. Aber Sie können mich von Zeit zu Zeit demutsvoll auf den Knien um meinen Arbeitstisch rutschen sehen, weil ich weiß, was es für ein Glück ist, mit dem, was man gerne macht, sein Geld verdienen zu können. Ich betrachte das wirklich als großen Segen und mit großer Dankbarkeit. Selbstbestimmt erfolgreich arbeiten und dann noch mit einigem Vergnügen... das ist schon schön!
Sind Sie vertraglich an bestimmte Zeitungen gebunden?
Plaßmann: Ja, an die Frankfurter Rundschau, die NRZ in Essen, die Berliner Zeitung und noch einige nebenbei. Ich erarbeite jeden Tag zwei, drei Zeichnungen, die tagesaktuell entstehen. Die schicke ich in die Redaktion, und dann ist es deren Entscheidung, welche sie nehmen.
Wo finden Sie Ihre Themen?
Plaßmann: Das Thema bietet mir das aktuelle Geschehen. Ich informiere mich über die normalen Medien. In meinem Arbeitszimmer läuft das Radio, und im Internet schaue ich auf die einschlägigen Informationsportale. Es ist also nicht so, dass ich 24 Tageszeitungen und poltitische Magazine abonniert habe und ein Nachrichtenticker läuft. Ich schöpfe aus dem Zugänglichen, mache mir mein Bild und erstelle meinen persönlichen gezeichneten Kommentar.
Wie entsteht denn mit einer Zeichnung ein Kommentar zum Geschehen?
Plaßmann: Das ist ja kein technischer Vorgang, sondern passiert etwas im Kopf. Man hat – so erkläre ich mir das immer selber – so seine Idealvorstellung, wie die Welt sein sollte. Das kann ganz unterschiedlich sein, der eine hat ein humanistisches, der andere ein marxistisches, ein konservatives, ein neoliberales oder ein christliches Menschenbild. Das ist der Horizont, an dem man die Realität spiegelt. Aus dem Spannungsfeld zwischen dem, wie man es sich wünscht und dem, wie es ist, entwickelt sich dann der Kommentar, die Karikatur.
Können Sie diesen Prozess beschreiben?
Plaßmann: Das Problem ist zu erspüren, worauf das Tagesgeschehen hinausläuft. Bis das losgeht, ist es eigentlich schon Mittag, und gegen drei Uhr muss ich spätestens fertig sein. Bis dahin stehen ja noch die vier Schritte an: Welches Thema nehme ich? Was ist der Kommentar dazu? Wie packt man das in ein Bild? Und dann eben die zeichnerische Arbeit. 80 Prozent meiner Tätigkeit ist Denkarbeit. Das Zeichnen ist in 20 Minuten erledigt. Das ist auch das Einzige, was Routine ist.
Welches sind Ihre Lieblingsthemen?
Plaßmann: Sicher die sozialen. Sie bedeuten mir persönlich mehr, weil sie viel dichter am Menschen sind. Mein Ansatz – vor allem bei der politischen Karikatur – ist immer: Wie wirkt sich das, was sich gerade in Berlin, Washington oder sonst wo abspielt, auf die Betroffenen aus? Nur um ein Beispiel zu nennen: Wenn es um Sparbeschlüsse geht, zeichne ich eher nicht Herrn Schäuble, wie er auf einem wild gewordenen Sparschwein reitet, sondern bin möglicherweise am Frühstückstisch einer Hartz-IV-Familie oder im Supermarkt um die Ecke, dort, wo erfahrbar wird, das und wie Politik unser Leben bestimmt.
Steckt dahinter der Wunsch, mit Ihren Karikaturen etwas zu bewegen?
Plaßmann: Also, ich setze mich nicht hin und sage: Du machst jetzt die Welt ein Stück besser. Aber natürlich hat man das im Hinterkopf. Es ist ja auch schon etwas Wert, jemandem ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Mit der politischen Arbeit will ich natürlich etwas bewegen. Wenn man sich denkt: Da läuft was schief, daran muss sich etwas ändern, versucht man wenigstens, mit seiner Zeichnung zum Denken anzuregen oder auf Missstände aufmerksam zu machen. Manchmal stellt man mit seiner Karikatur auch einfach nur Fragen. Ich habe ja auch nicht zu jedem Thema Lösungen parat. Etwas frustrierend ist es zu aber, oft erfahren zu müssen, wie wenig sich bewegt. Es gibt Zeichnungen von vor zehn, 15 Jahren, die könnte man heute genauso wieder an die Redaktionen schicken.
Was bedeutet für Sie als Zeichner der Anschlag auf Charlie Hebdo?
Plaßmann: Das war furchtbar! Und ich bin noch immer tief erschüttert. Auch deshalb in besonderer Weise, da ich einen der ermordeten Kollegen, Tignous, bei einem Cartoonfestival in Afrika kennenlernen durfte und es daher noch eine ganz persönliche Dimension bekommt.
Hat er Auswirkungen für Ihre Arbeit?
Plaßmann: Es wäre naiv zu glauben, dass so etwas spurlos an einem vorbeigeht. Man macht seine Arbeit und muss auf einmal feststellen, dass Kollegen, die das Gleiche machen, dafür hingerichtet werden. Diese Erfahrung brennt sich ein. Und man fragt sich: Was bedeutet das? Du hast einen Beruf, der dich das Leben kosten kann. Es muss jetzt auch darum gehen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Das wäre der Triumph des Terrors. Ich werde, wie meine Kollegen, den Stift nicht aus der Hand legen. Aber ich muss das Risiko einkalkulieren und mich noch mehr vergewissern, wie ich das, was ich sagen will, angemessen darstellen kann.
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