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Nigeria
„Ernst, aber nicht hoffnungslos!“
Allgemeine Verunsicherung im In- und Ausland macht sich angesichts der Terroranschläge von Boko Haram vor der Präsidentenwahl in Nigeria breit. Vor allem westliche Beobachter fragen nach der Zukunft und der Stabilität des bevölkerungsreichsten Staates Afrikas. „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“, versichert Professor Obiora Ike, ehemaliger Generalvikar des Bistums Enugu in Nigeria, und versierter Fachmann für Fragen zum Verhältnis Christentum und Islam, obwohl nur ein Tag nach dem Gespräch mit Kontinente-Redakteur Pater Samuel Mgbecheta CSSp die Wahlen wegen der Sicherheitslage verschoben werden mussten.
Sie sind der Meinung, dass trotz mangelnder Sicherheit in Nigeria, das Land bei der bevorstehenden Wahl vor einer Zerreißprobe steht?
Ike: Sicher wird das Land nicht zerrissen oder in zwei Teile geteilt werden. Oder wird Kano bzw. Enugu in zwei Nationen geteilt werden, weil es da zwei Parteien gibt? Das glaube ich nicht. Die verlierende Partei wird nicht gleich zur Gewalt greifen, denn die Mitgliedschaft einer jeden politischen Partei ist im ganzen Land unabhängig von der Religion. Aber die Mitglieder der verlierenden Partei können schreien und randalieren. Dies kann man realistisch gesehen, nicht ausschließen.
Apropos Sicherheit … viele Nigerianer sind der Auffassung, dass Präsident Goodluck Jonathan nicht in der Lage ist, dauerhafte Sicherheit im Norden zu garantieren. Denn wenn man genau hinguckt, was Boko Haram seit 2009 im Norden Nigeria an Terroranschlägen verübt, ist das nicht ein weiterer Beleg dafür, dass der Staatschef keine Sicherheit gewährleisten kann?
Ike: Die Aussage, nach der der amtierende Präsident Goodluck Jonathan nicht in der Lage sei, die Unruhe im Norden Nigeria in Griff zu kriegen und damit dort Sicherheit zu gewährleisten, ist eine Übertreibung. Denn die Unruhen im Norden Nigerias gehen zurück in die 80-ger Jahre, ganz genau 1983, unter General Buhari als Militärpräsidenten von Nigeria. Schon im Jahre 1983 gab es die so genannten Maitatsine-Unruhen in Kano. Maitatsine ist der Rufname des aus Kamerun stammenden Predigers Mohammed Marwa. Dieser gründete eine muslimische Sammlungsbewegung, die nach ihm benannt wurde; also Maitatsine-Bewegung. Zwischen den Jahren 1980 und 1985 kam es im Bundesstaat Kano zu Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Maitatsine-Anhängern und staatlichen Sicherheitskräften, bei denen etwa 8.600 Menschen ums Leben kamen.
Was ich damit sagen will, ist, dass die Problematik im Islam eine anhaltende Geschichte ist. Warum gibt man dem Präsidenten Jonathan die Schuld? Warum sagt man, dass er der Verursacher ist? Eigentlich ist er der Präsident, der am meisten gegen den Terrorismus in Nigeria getan hat. Meiner Meinung nach ist Terrorismus eine vielschichtige Angelegenheit, deren Bekämpfung einer internationalen Vernetzung bedarf. Jede Regierung, auch die Regierung von Jonathan, braucht die Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft, um den Kampf gegen Terroristen gewinnen zu können.
Aber die Tatsache, dass der Herausforderer von Jonathan aus dem Norden kommt und dass er auch Moslem ist; erweckt dies nicht den Eindruck, dass er als Moslem mehr Möglichkeit hat, die Attacke von Boko Haram im Norden einzudämmen?
Ike: Der Chef der Armee ist ein Moslem; der Chef der Sicherheitskräfte ist ein Moslem; der Vizepräsident von Nigeria ist ein Moslem; der Chef der des Geheimdienstes in Nigeria ist ein Moslem. Die Mehrheit der Besatzung (Streitkräfte), die dort kämpft, gehört der islamischen Religion an. Und alle sind gegen Boko Haram. Also mit welchen Leuten soll Buhari gegen Boko Haram kämpfen? Sind es nicht dieselben Leute, die schon jetzt gegen Boko Haram kämpfen? In Nigeria dürfen wir auf gar keinen Fall die Entscheidung, wem wir unsere Stimme abgeben, aufgrund von Religionszugehörigkeit treffen. Unser Problem ist, welche Partei kann überzeugend, nicht mit Worten, sondern mit Taten, uns helfen.
Wie ernst ist die Lage in Maiduguri?
Ike: Der Bischof von Maiduguri war neulich hier bei uns in Enugu. Die Lage ist in seinen Worten ernst, aber nicht hoffnungslos. Ernst ist, dass man in Angst lebt; dass Terroristen immer wieder versuchen, die Stadt anzugreifen. Aber erfreulich ist auch die Tatsache, dass sich Polizisten, Militär und sogar Freiwillige zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben, die die ganze Stadt vor Attacken von Boko Haram schützt. Ernst ist die Lage, aber bitte keine Übertreibung!
Indem „Boko Haram“ im Vorfeld der Wahlen zunehmend Gemeinden angreift, die der Regierung gegenüber loyal sind, ist dies nicht als ein Sabotageakt zu betrachten, dessen Ziel es ist, die Islamisten im Nordosten des Landes dazu zu bringen, sich nicht an die Urnen zu trauen und die Wahlen damit zu verhindern?
Ike: In einem Land, wie Nigeria oder andere Länder in Afrika bzw. Entwicklungsländer, kann man nicht mit 100 Prozent Sicherheit zu den Wahlen eingehen. Es ist eine Sache in der Situation, wie sie sich stellt, zu handeln. Und die Wahlkommission - INEC - unternimmt alles Mögliche, damit die Wahlen erfolgreich durchgeführt werden können. Also wir tun unser Bestes hier. Nigeria geht diesen Weg nicht zum ersten Mal und wird ihn auch diesmal mit Erfolg gehen.
Auf dem jüngsten Gipfel der Afrikanischen Union (AU) wurde beschlossen, eine 7500 Mann starke Eingreiftruppe zu bilden. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Ike: Die Bevölkerung in diesem Teil des Landes heißt diese Entscheidung nicht nur für gut, sondern sie erwartet, dass sich tatsächlich durch die Zusammenarbeit mit dieser Eingreiftruppe Ruhe wieder in diese Gebiete zurückkehrt. Ich persönlich denke, dass es gut ist, Menschen in Not Solidarität zu zeigen, indem man ihnen beisteht und sie unterstützt.
Erfahren Sie mehr über die aktuelle Lage in Nigeria in der ungekürzten Fassung des Interviews (PDF)
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