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Wie siehst Du die Zukunft für Dich und Deine Aufgabe?
Skinnader: Meine Arbeit ist die Heranbildung von Führungskräften für morgen. Ich versuche, ihnen Werte zu vermitteln, die ihnen helfen sollen, eine Gesellschaft aufzubauen, in der der Friede und die Würde einer jeden Person garantiert sind, ganz gleich ob jung oder alt, Mann oder Frau, Dinka oder Nuer, Christ oder Moslem. Das sehe ich an als meine Aufgabe im kleinen Seminar. Zu uns werden die besten Studenten aus den Pfarrgemeinden der Diözese geschickt, weil sie hier an einem sicheren Ort sind und wir ihnen die beste Ausbildung geben. Unser Solarsystem, eine Fotovoltaikanlage, gibt den Studenten Licht, auch in Nacht.
Sie leben im Seminar und besuchen das Comboni-Gymnasium, das von australischen Schwestern geleitet wird. Wenn man in Europa oder sonst wo in Afrika von einem kleinen Seminar spricht, denkt man an Schüler, die zwischen 12 und 16 oder sogar 18 Jahre alt sind. Bei uns sind die meisten älter als 25 Jahre. Sie werden die führenden Leute von morgen sein, auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene. Einige werden auch in der Kirche leitende Funktionen übernehmen.
Warum sind die Studenten schon so alt?
Skinnader: Wegen der vielen Kriegsjahre hat sich ihre Ausbildung verzögert oder wurde sogar unterbrochen. Darum sind sie so alt. Doch das schafft Probleme. Vor einem Monat habe ich einen Studenten entlassen und gestern bekam ich per E-Mail die Information, dass dieser Student mit einem Gewehr in der Hand in das Seminar zurückkam, um den Mitstudenten zu töten, von dem er annahm, dass er seine Entlassung veranlasst habe. Ein großes Problem sind Rache und Vergeltung; es gilt das Prinzip: „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Wir versuchen, den Studenten das Verständnis der Botschaft Jesu zu vermitteln. Im Augenblick ist nicht der Bürgerkrieg zwischen Dinka und Nuer besonders gefährlich. Gefährlicher sind Auseinandersetzungen unter den Dinka vor Ort. Die Dinka erleben zurzeit einen Machtkonflikt.
Was ist der Grund dafür?
Skinnader: Es sind die Kühe. Sie sind von größtem Wert. Um zum Beispiel heiraten zu können, musst Du der Brautfamilie 60, 100 oder sogar 150 Kühe als Brautgabe geben, und viele besitzen nicht so viele Kühe. Darum stehlen sie die Kühe von denen, die sie haben, und das bringt Zank und Streit. In meiner Gegend wurden 20, 30 Personen aus diesen Gründen ermordet.
Ist es unmöglich, diese Probleme zu lösen?
Die Regierung tut nichts daran, und die Kirche betet und leitet die Menschen an zu beten.
Du hast gerade von dem Geist der Rache und der Vergeltung gesprochen. Kann das nicht zu einem Konflikt führen, wie wir ihn zwischen den Tutsi und den Hutus aus Uganda und Rwanda kennen?
Skinnader: Wir haben in Südsudan diesen Konflikt schon. Ich kenne Rwanda. Ich machte dort einige Studien und unterrichtete in Burundi. In Südsudan besteht ein unnatürlicher Hass zwischen den Stammesgruppen und innerhalb der Dinka zwischen verschiedenen Gruppen dieses Volksstammes, Gewalt zwischen Volksstämmen und innerhalb der Volksstämme. Ethnische Spannungen innerhalb einer Gesellschaft, die reich an Öl aber auch reich an Korruption ist, eskalieren und führen zu Massakern an Tausenden Menschen in jedem Jahr. Diese Spannungen haben vielfache Ursachen, die durch Jahrhunderte angewachsen sind. Die Menschen gehören unterschiedlichen Volksstämmen an mit je eigenen Sprachen. In Rumbek spricht man eine andere Sprache als in Mapuordit, und beide Orte sind nur zwei Autostunden voneinander entfernt.
Was tut die Kirche, um dieses Problem zu lösen?
Skinnader: Die Kirche ist sehr schwach. Unsere Diözese hat keinen Bischof. Sein Nachfolger, nur Administrator, wurde krank. Der Priester, der jetzt die Diözese verwaltet, ist erst seit vier Jahren Priester. Es gibt keine allgemeine Leitlinie. Alle offiziellen Büros befinden sich in Nairobi in Kenia. Sie sind weit entfernt von dem, was hier geschieht. Es gibt nur sechs Diözesanpriester und etwa 40 Missionare, die die 150.000 Katholiken unter der Gesamtbevölkerung von rund 1.5 Millionen Einwohnern betreuen. Es gibt insgesamt elf Pfarrgemeinden mit Untergemeinden und rund 150 Kapellen und Gebetsorte. Dabei ist unsere Diözese so groß wie die Schweiz. Immerhin - in jedem Jahr führen alle Diözesen die jungen Leute zusammen und versuchen, sie darauf hinzuweisen, dass sie alle Schwestern und Brüder sind. Das ist ein Weg, um die Jugend zusammenzuführen und um ihr zu vermitteln, dass alle trotz aller Verschiedenheit gleich sind. Für die Jugend ist das die Möglichkeit, Grenzen der Clans und Volksstämme zu überschreiten, Altersgenossen aus anderen Landesteilen kennenzulernen und zu erleben, wie der Glaube Grenzen übersteigt. Das ist ein moderner Weg der Evangelisation, verbunden mit liturgischen Veranstaltungen und Diskussionen und Gesprächen über brennende Probleme, mit Sport, Musik und Erholung und das alles sichtbar und erfahrbar auch für die anderen Menschen.
Sehr viele junge Menschen gehen zur Kirche; etwas, was ganz anders ist als in Europa. Die jungen Leute sehen sich als Teil der Kirche und erwarten von der Kirche Erziehung, Ausbildung und Kontaktmöglichkeiten mit der weiteren Welt.
Was tut die Regierung, damit die so unterschiedlichen Menschen einander anerkennen und sich miteinander versöhnen?
Skinnader: Auf örtlicher Ebene hat die Regierung das schon versucht und einen Prozess der Versöhnung eingeleitet. Doch es wird noch Jahre dauern, bis erste Resultate zu erkennen sein werden.
Was ist Deiner Meinung nach eine wirkliche Lösung all dieser Probleme?
Skinnader: Ich sehe Erziehung als den Weg in die Zukunft. Peter Brougham sagt: „Durch Erziehung lassen sich die Menschen besser leiten und regieren, aber sie lassen sich nicht mehr versklaven.“ Es ist wirklich ermutigend zu sehen, wie ernsthaft unsere Studenten lernen. Nur haben wir keine guten Schuleinrichtungen. Alle Einrichtungen wurden im Krieg zerstört. Wir Spiritaner investieren viel in Schulen. Das tut auch die Regierung. Sie hat Nachbarländer um Hilfe bei dem Aufbau des Schulsystems gebeten und um Stipendien für interessierte Studenten. Studenten werden mit solchen Stipendien zu ihrer Ausbildung ins Ausland geschickt, damit sie nach ihrer Rückkehr mit genügendem Wissen und entsprechendem „Handwerkzeug“ ausgerüstet sind, um zur Entwicklung ihres Landes beitragen zu können.
Befähigung für Führungsaufgaben ist ein Feld, das größte Aufmerksamkeit erfordert. Die meisten jungen Menschen haben Führung nur in Kriegssituationen erlebt. Seit ihrer Geburt mussten sie um das Überleben kämpfen. Darum ist es notwendig, ihnen gute Führungsqualitäten beizubringen, wie zum Beispiel die Werte, für die jeder Bürger einstehen sollte: Toleranz, Respekt voreinander, gute Arbeit, Ehrlichkeit, Respekt vor den Gesetzen und anderes mehr.
Die Erziehung und Ausbildung von jungen Mädchen hat ebenfalls eine große Bedeutung. In Südsudan wird der Wert eines Mädchens der Kultur entsprechend nur nach der Zahl der Kühe bemessen, die bei der Hochzeit als Brautgabe gegeben wurden. In unserer heutigen Gesellschaft ist das sehr erniedrigend. In unserer Pfarrgemeinde legen wir viel Wert auf die Ausbildung junger Mädchen. Wir versuchen, ihnen nahe zu bringen, dass ihr Wert nicht von der Zahl der Kühe ihrer Brautgabe abhängt, sondern dass auch sie nach Gottes Bild erschaffen und mit so vielen Talenten ausgestattet sind. So versuchen wir, ihnen eine bessere Zukunft zu eröffnen.
Bessere Ausbildung in der Landwirtschaft ist ein weiteres Hauptanliegen. Wegen des Krieges und der unsicheren Lage hatten die Menschen keine Gelegenheit, ihr fruchtbares Land und die anderen Bodenschätze auszunutzen. Unser Mitbruder, Pater Sospeter, hat in seiner Pfarrgemeinde ein landwirtschaftliches Projekt begonnen. Er kultiviert örtliche Pflanzen und unterweist die Menschen, richtig damit umzugehen. Auch im Kleinen Seminar haben wir Landwirtschaft. Ohne sie wäre es nur mit den Spenden, die wir erhalten, sehr schwer, unsere Studenten durchzubringen. Wir erhalten nicht die Summe, die wir für ein akademisches Jahr brauchen. Wir verbessern mit unserer Landwirtschaft unsere finanziellen Mittel und leiten gleichzeitig unsere Studenten an, in der Landwirtschaft zu arbeiten
Kannst Du, bitte, Deine Erfahrungen der letzten zwei Jahre zusammenfassen?
Skinnader: Ich habe im Augenblick die schwierigste Missionsarbeit, die ich jemals hatte. Das ist eine harte, aber befriedigende Herausforderung angesichts der Menschen, die wirklich großartig sind. Befriedigend, weil Du dabei das Gefühl haben kannst, wirklich etwas für die Menschen zu tun, die sich eine bessere Zukunft wünschen, aber nicht wissen, wie sie dieses Ziel erreichen können. Bei uns gibt so viele begabte junge Menschen, die die Schule besuchen möchten, um ihre Zukunft gestalten zu können. Sie setzen sich sehr dafür ein und sind froh über uns, die wir von außen kommen; auch wenn wir gar nicht viel tun können. Doch wir sind da und helfen, so gut wir es können.
Hast Du Pläne für die Zukunft?
Skinnader: Ich wünsche mir, dass junge afrikanische Spiritaner aus Uganda, Kenia und Tansania hinzukommen, um die Kirche in Südsudan mit aufzubauen und die Zukunft der Menschen zu
verbessern.
Was möchtest Du der Kirche in Deutschland und überhaupt in Europa und den Regierungen der Westlichen Welt sagen?
Skinnader: Vergesst die Menschen in Südsudan nicht!
Das Gespräch führt P. Samuel Mgbecheta CSSp.
Übersetzung aus dem Englischen von P. Johannes Henschel CSSp.
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