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Bach-Experte Helmuth Rilling. Foto: Bachakademie

Der Bach-Ex­per­te Hel­muth Ril­ling.
Fo­to: Schnei­der/Ba­cha­ka­de­mie

Hel­muth Ril­ling

„Mu­sik muss aufrüt­teln“

Am Vor­a­bend des In­ter­views ist er aus Seoul zu­rück­ge­kehrt, sei­ne nächs­ten Kon­zer­te füh­ren ihn nach Tai­peh, Kra­kau und Mai­land. Auch mit 80 Jah­ren lebt Bach-Ex­per­te Hel­muth Ril­ling für das, was ihn be­seelt: Men­schen auf al­len Erd­tei­len mit der Mu­sik neue Wel­ten zu öff­nen.

Ei­ne be­schau­li­che Klein­stadt in Schwa­ben, um­ge­ben von Wie­sen und Wäl­dern. Hier, un­weit von Stutt­gart, wo er mit der Gächin­ger Kan­to­rei und dem Bach-Col­le­gi­um zwei in­ter­na­tio­nal re­nom­mier­te En­sem­b­les lei­tet, ist Hel­muth Ril­ling zu Hau­se. So selbst­ver­ständ­lich, wie er in den gro­ßen Kon­zert­häu­s­ern der Welt ans Di­ri­gen­ten­pult tritt, öff­net er da­heim die Tür: Ein lie­bens­wür­di­ger al­ter Herr in bei­ge­far­be­ner Frei­zeit­wes­te. Ril­ling ist kein Selbst­dar­s­tel­ler. Ihm geht es nicht um Ruhm oder An­er­ken­nung. Ihm geht es um die Mu­sik, die sein Le­ben von Kin­des­bei­nen an prägt und die er den Men­schen na­he brin­gen will. Bei­na­he wort­karg wird der Pro­fes­sor, wenn sich das Ge­spräch zu lan­ge auf ihn kon­zen­triert. Per­sön­li­chen Fra­gen weicht er lie­ber aus. Ril­lings wohl über­leg­te Ant­wor­ten ver­ra­ten we­nig von sei­ner Lei­den­schaft: Jo­hann Se­bas­ti­an Bach, ba­ro­cker Ge­ni­us und so­zu­sa­gen sein stän­di­ger Be­g­lei­ter. Bach be­stimmt Ril­lings künst­le­ri­sches Schaf­fen seit Jahr­zehn­ten; im Ar­beits­zim­mer blickt er von ei­nem Öl­ge­mäl­de mil­de auf den mu­si­ka­li­schen Schwa­ben her­ab. Das Bild hängt über dem So­fa – zu hoch, um Bach auf Au­gen­höhe zu be­geg­nen.

Herr Pro­fes­sor Ril­ling, wir wer­den heu­te fast übe­rall von Mu­sik be­rie­selt ...
Sch­reck­lich, ja!

... aber Mu­sik ist mehr als Ge­räusch­ku­lis­se. Wel­che Be­deu­tung hat sie in Ih­ren Au­gen?
Mu­sik ist et­was, das zum Sc­höns­ten und Wert­volls­ten des men­sch­li­chen Le­bens ge­hört. Was wä­ren wir oh­ne Kunst, das wä­re doch ein sehr arm­se­li­ges Le­ben! Mu­sik, die man ernst nimmt – und wir neh­men die in Kauf­häu­s­ern oder Flug­hä­fen ja nicht ernst – al­so Mu­sik, die man be­wusst hö­ren will, muss den Men­schen per­sön­lich er­rei­chen. Sie muss nicht nur un­ter­hal­ten, son­dern aufrüt­teln, ihn an­sto­ßen, Din­ge zu emp­fin­den oder an sich her­an­zu­las­sen, die au­ßer­halb des Nor­ma­len, Üb­li­chen lie­gen. Das ist ganz be­stimmt bei Kir­chen­mu­sik und den gro­ßen Kom­po­nis­ten, die die­se Wer­ke ge­schaf­fen ha­ben, der Fall. Bachs Matt­häus-Pas­si­on hat so vie­le Mo­men­te, die et­was ganz Per­sön­li­ches aus­sa­gen und ei­nen Men­schen noch 300 Jah­re nach ih­rer Ent­ste­hung er­rei­chen. Wenn es da um Ver­leug­nung, Hass, Lie­be, Selbst­mord geht, sind das ja The­men un­se­rer heu­ti­gen Welt.

Sie ge­hö­ren welt­weit zu den be­kann­tes­ten Ba­ch­in­ter­p­re­ten. Warum so viel Bach?
Bach ist ei­ner der wich­tigs­ten Kom­po­nis­ten der Mu­sik­ge­schich­te und ei­ner, des­sen Le­bens­werk sich vor al­lem mit geist­li­cher Mu­sik ver­bin­det. Bach war fast sein gan­zes Le­ben lang Kir­chen­mu­si­ker, und zwar ei­ner, der die Mu­sik nicht nur kom­po­niert, son­dern sie auch auf­ge­führt hat. Er ist al­so kei­ner, der et­was theo­re­tisch macht und die Auf­füh­rung an­de­ren über­lässt, son­dern er weiß ge­nau, wo­für er sei­ne Mu­sik braucht. In den Got­tes­di­ens­ten der Bach-Zeit ist das im­mer ein text­be­zo­ge­nes An­lie­gen. Da gibt es ei­nen be­stimm­ten Got­tes­di­en­st­ablauf, der ei­nen be­stimm­ten Text for­dert. Bach stellt sich die­ser Auf­ga­be und in­ter­p­re­tiert den Text, deu­tet ihn. Das ist sei­ne Be­son­der­heit in der Mu­sik­ge­schich­te.

Wie kann man das, was Bach in­ten­diert hat, den Men­schen heu­te ver­mit­teln?
Das setzt na­tür­lich vor­aus, dass man die Wer­ke sehr ge­nau kennt. Ich muss be­o­b­ach­ten, wel­che Struk­tu­ren Bach be­nutzt, wel­che For­men von Sät­zen, ob er ei­nen Cho­ral et­wa das The­ma der Kan­ta­te ein­setzt, oder ob der Cho­ral nur der Schlus­scho­ral in der Kan­ta­te ist. Und dann muss ich die Mit­tel und We­ge fin­den, um Bachs Ab­sich­ten deut­lich zu ma­chen. Bach hat die Mu­sik so kom­po­niert, dass sie den Text trägt und in sei­nem Sinn ver­deut­licht. Ge­nau das muss je­der In­ter­p­ret bei sei­ner Mu­sik sicht­bar ma­chen. Sol­che Aus­sa­gen zu ganz ver­schie­de­nen Tex­ten wer­den auch dem Hö­rer, der so et­was gar nicht kennt, so­fort deut­lich. Zum Bei­spiel ist ein Ky­rie zu­nächst ein ver­hal­te­ner, ein bit­ten­der Satz, und ein Glo­ria wird ein strah­len­der, le­ben­di­ger Satz sein.

Ist das bei Bach an­ders als bei an­de­ren Kom­po­nis­ten?
Es ist bei Bach vi­el­leicht ein, wie soll ich sa­gen, zen­tra­le­res An­lie­gen. Es ist sein Haupt­an­lie­gen. Vi­el­leicht spie­len bei spä­te­ren Kom­po­nis­ten, et­wa bei Bee­t­ho­vens Mis­sa So­lem­nis, dann auch for­ma­le Ge­sichts­punk­te, al­so mu­si­ka­li­sche und ar­chi­tek­to­ni­sche For­men­mo­del­le, ei­ne grö­ße­re Rol­le.

Ist Kir­chen­mu­sik ei­ne Glau­bens­bot­schaft?
Na­tür­lich ist sie das. Ein Got­tes­di­enst oh­ne Mu­sik wä­re in mei­nen Au­gen kein Got­tes­di­enst. Er wä­re nur von der Spra­che und der The­o­rie des Glau­bens ab­hän­gig. Die Tat­sa­che, dass die ganz gro­ßen Kom­po­nis­ten kir­chen­mu­si­ka­li­sche Wer­ke ge­schrie­ben ha­ben, ist ein Ge­schenk für die Mensch­heit.

Er­sch­lie­ßen sich die­se geist­li­chen Wer­ke je­dem?
Ich wur­de ein­mal in Ja­pan ge­fragt: Ist es not­wen­dig, dass man das, was in der Matt­häus-Pas­si­on aus­ge­drückt ist, glaubt, wenn man sie wir­k­lich ver­ste­hen will? Ich ha­be dar­auf mit nein ge­ant­wor­tet. In ei­nem Land, in dem ein Pro­zent der Be­völ­ke­rung christ­lich ist, kann ich kaum et­was an­de­res sa­gen. Aber wenn es zum Bei­spiel um ein Glau­bens­be­kennt­nis, al­so die Ver­to­nung des Cre­do-Tex­tes geht, dann muss man als Zu­hö­rer wis­sen, dass man jetzt von Gott, dem Va­ter, spricht und spä­ter vom Hei­li­gen Geist und vom Le­bens­weg Chris­ti. Dann ver­steht man, warum die Mu­sik beim „Se­pul­tus est“ still wird und dass sie beim „Surr­e­x­it“ aus­b­re­chen muss, wie das bei Bach in der h-moll-Mes­se so wun­der­bar ge­schieht.

Sie bie­ten vie­le Ge­sprächs­kon­zer­te an. Muss man Mu­sik er­klä­ren, da­mit der Hö­rer heu­te sie noch ver­steht?
Das Ge­sprächs­kon­zert ist ja qua­si ei­ne Er­fin­dung von mir. Ich ha­be das mein gan­zes Le­ben lang auf der gan­zen Welt ge­macht. Der Be­griff „Ge­sprächs­kon­zer­te“ ist vi­el­leicht ir­re­füh­r­end. Tat­säch­lich sieht es so aus, dass ein En­sem­b­le – ein Chor, ein Or­ches­ter, die So­lis­ten – auf der Büh­ne oder in der Kir­che zur Ver­fü­gung steht. Wenn ich nun ein Stück er­klä­re und da­bei ver­su­che, dem Kom­po­nis­ten „über die Schul­ter“ zu schau­en, al­so fra­ge: Warum hast du das hier so ge­macht? Dann ha­be ich die Mög­lich­keit, so­fort ein Bei­spiel zu ge­ben, das heißt, der Chor singt et­was, das Or­ches­ter spielt et­was, nur ganz be­stimm­te Ab­schnit­te. Und ich muss bei ei­nem sol­chen Ge­sprächs­kon­zert nicht im­mer das gan­ze En­sem­b­le mu­si­zie­ren las­sen, ich kann ein­zel­ne Stim­men iso­lie­ren und er­klä­ren, wie ein Kunst­werk, et­wa ei­ne Kan­ta­te von Bach ge­baut ist.

Rührt Mu­sik an­ders als Li­te­ra­tur oder bil­den­de Kunst die See­le an?
Si­cher an­ders... Aber auch Ma­le­rei oder bil­den­de Kunst wird nicht al­lein über den In­tel­lekt er­fasst, son­dern löst ganz ge­wiss auch Ge­füh­le aus. Bei­des ge­hört zu­sam­men. Der Mensch ist ja nicht nur ein emp­fin­den­des, son­dern auch ein in­tel­li­gen­tes We­sen. Und ich den­ke, vor al­lem der Nicht-Pro­fi kann sehr viel Hil­f­rei­ches er­fah­ren, wenn er in Struk­tu­ren der Mu­sik ein­ge­führt wird, die der Kom­po­nist be­nutzt, um et­was Be­stimm­tes aus­zu­drü­cken. Es ist für je­den Men­schen wich­tig, dass er sich be­rüh­ren lässt und ver­sucht, in ei­nen sol­chen Be­reich nicht nur ge­fühls­mä­ß­ig, son­dern auch in­tel­lek­tu­ell ein­zu­drin­gen. Ge­nau das wird ihn be­rei­chern.

Wie sind Sie sel­ber zur Mu­sik ge­kom­men?
Mei­ne Mut­ter war Gei­ge­rin, mein Va­ter Schul­mu­si­ker. Ich bin dank­bar für mei­ne El­tern, die mich in die­se geis­ti­ge Welt und in die Mu­sik ein­ge­führt ha­ben. Ich selbst hat­te mei­ne schu­li­sche Aus­bil­dung an den evan­ge­lisch-theo­lo­gi­schen Se­mi­na­ren in Sc­hön­tal und Ur­ach, so­zu­sa­gen frühe­re Eli­te-Schu­len der Kir­che. Die hu­ma­nis­ti­sche Aus­bil­dung dort mit Latein, Grie­chisch, so­gar He­bräisch hat mich sehr ge­prägt. In die­sen Se­mi­na­ren hat­ten wir je­den Tag vor dem Früh­s­tück ei­ne Mor­gen­an­dacht in der Kir­che. Und da san­gen wir im­mer vie­le Cho­rä­le mit all ih­ren Ver­sen. Ich kann die­se Cho­rä­le, wie sie in den Bach­schen Wer­ken so häu­fig vor­kom­men, al­le von vor­ne bis hin­ten aus­wen­dig. Das hat mir in Vi­e­lem sehr ge­hol­fen.

Wel­che Be­deu­tung hat der Glau­be für Sie?
Das ist für mich der tra­gen­de Grund mei­nes Le­bens, und ich bin dank­bar da­für, dass ich in die­sen Glau­ben hin­ein­ge­wach­sen bin und mich mit ihm so tief ver­bun­den füh­le.

Be­trach­ten Sie Ihr Ta­lent als Got­tes­ga­be?
Das ist mir selbst­ver­ständ­lich. Mei­ne Auf­ga­be be­trach­te ich als ei­ne dop­pel­te: Ei­ner­seits auf sehr ho­hem Ni­veau und sehr werk­be­zo­gen zu mu­si­zie­ren; an­de­rer­seits hielt ich es im­mer für wich­tig, die Mu­sik be­wusst an an­de­re Men­schen wei­ter­zu­ge­ben, al­so sie zu leh­ren. Ich war ja vie­le Jah­re Hoch­schul­leh­rer und bin in den letz­ten Jahr­zehn­ten dau­ernd Gast ir­gend­wel­cher In­sti­tu­tio­nen im Aus­land.

Sie ar­bei­ten ger­ne und häu­fig mit jun­gen Men­schen. Warum?
Das ist ja das Wich­tigs­te, was man tun kann! Es ist mir im­mer ei­ne gro­ße Freu­de, jun­ge Leu­te in das hin­ein­zu­füh­ren, was mein ei­ge­nes Le­ben so sehr ge­prägt und be­rei­chert hat. Ge­ra­de jun­ge Di­ri­gen­ten wol­len er­fah­ren, was die Ge­sichts­punk­te sind, um ein Werk so auf­zu­füh­ren, dass es „rich­ti­g“ ist. Das heißt nicht, dass man zu den ge­nau glei­chen Er­geb­nis­sen kom­men muss, aber dass man die ent­sp­re­chen­den Über­le­gun­gen an­ge­s­tellt hat.

Seit 1970 sind Sie künst­le­ri­scher Lei­ter des Ore­gon Bach Fes­ti­vals, ei­nes der pro­fi­lier­tes­ten Mu­sik­fes­ti­vals in den USA. Auch ein Forum, um Ih­re Kennt­nis­se an die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on wei­ter­zu­ge­ben?
Ja, es ist ein Fes­ti­val, bei dem der Lehra­spekt sehr im Vor­der­grund steht und bei dem je­des Jahr Di­ri­gen­ten­kur­se mit vie­len jun­gen Leu­ten statt­fin­den. Man kann die­sen jun­gen Leu­ten nicht nur bei­brin­gen, wie sie tech­nisch ge­nau di­ri­gie­ren müs­sen, son­dern man kann ih­nen zei­gen, wie man an ei­ne Parti­tur her­an­geht, wie man sie zu ver­ste­hen ver­sucht und dann die In­hal­te die­ser Parti­tur in die In­ter­pre­ta­ti­on der Mu­sik über­setzt. Das kann man mit dem Ziel, die jun­gen Di­ri­gen­ten, die ja in Zu­kunft Mul­ti­p­li­ka­to­ren sind, in et­was hin­ein­zu­füh­ren, was ganz ent­schei­dend ist: Zu sa­gen, es geht nicht um die Dar­stel­lung des Di­ri­gen­ten, dar­um wie toll, wie be­gabt ist er, son­dern es geht dar­um, dem Werk Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren und es sp­re­chen zu las­sen. Das ist ei­ne ganz wich­ti­ge Ebe­ne mei­ner päda­go­gi­schen Ar­beit.

Trägt Mu­sik zur Völ­ker­ver­stän­di­gung bei?
Mu­sik ist ei­ne wun­der­ba­re Brü­cke zwi­schen Men­schen. Ich war ge­ra­de in Hong­kong oder ges­tern in Ko­rea, und die Men­schen dort, die ei­ne an­de­re Spra­che sp­re­chen, die völ­lig an­ders er­zo­gen sind, lie­ben ein be­stimm­tes Mu­sik­stück ge­n­au­so wie wir in Deut­sch­land! Wenn man das­sel­be liebt und hoch­schätzt, sich da­durch be­rei­chert fühlt, dann sind das ganz wun­der­ba­re Ver­bin­dun­gen zwi­schen Men­schen, die sich sonst gar nicht ken­nen. Nach ei­nem Hal­len­kon­zert in Seoul mit Bach­schen Wer­ken gab es ei­nen Bei­fall wie bei uns nach ei­nem Rock­kon­zert. Die Leu­te to­ben und sch­rei­en und tram­peln. Das ha­be ich in Mos­kau er­lebt, das ha­be ich in Is­ra­el er­lebt, das ha­be ich in Chi­na er­lebt. Die­se Brü­cke, die da zwi­schen Men­schen ent­steht, und na­tür­lich durch sol­che Gast­spie­le ge­för­dert wird, ist schon et­was sehr be­son­de­res.

Bach-Experte Helmuth Rilling. Foto: Bachakademie

Fo­to: Schnei­der/Ba­cha­ka­de­mie

Es heißt, Mu­sik sp­re­che ei­ne uni­ver­sa­le Spra­che. Stimmt das? Ist un­se­re Mu­sik wir­k­lich in al­len Kul­tu­ren ver­mit­tel­bar?
Al­so ich kann nur aus mei­ner Er­fah­rung sa­gen: Die Mu­sik, die in Eu­ro­pa ge­wach­sen ist und vor al­lem in Deut­sch­land ih­re Hei­mat hat, wird in sehr vie­len Tei­len der Welt, und völ­lig un­ab­hän­gig von na­tio­na­len, sprach­li­chen, auch re­li­giö­sen Hin­ter­grün­den über die Ma­ßen ge­schätzt. Man fragt ja im­mer: Was ist mit ja­pa­ni­scher, chi­ne­si­scher Mu­sik in Deut­sch­land? Ich glau­be, ge­ra­de im Be­reich der Mu­sik ist die eu­ro­päi­sche Kul­tur weg­wei­send ge­wor­den für die gan­ze Welt und ist es bis heu­te.

Sie tre­ten stän­dig in an­de­ren Län­dern und Kon­ti­nen­ten auf. Geht man da als Rou­ti­nier ans Di­ri­gen­ten­pult oder gibt es noch Si­tua­tio­nen wie in den 70er-Jah­ren in Is­ra­el, die mit An­span­nung ver­bun­den sind?
Man muss im­mer, in je­de Auf­füh­rung – im Got­tes­di­enst ge­n­au­so wie in ei­nem Kon­zert ir­gend­wo auf der Welt – mit ei­ner gro­ßen Ver­ant­wor­tung ge­hen. Man muss im­mer ver­su­chen, das Best­mög­li­che zu ma­chen, in mit wel­chem En­sem­b­le auch im­mer. Na­tür­lich gibt es Si­tua­tio­nen, in de­nen man sich in ganz be­son­de­rer Wei­se ver­ant­wort­lich fühlt, die In­hal­te ei­ner Mu­sik wir­k­lich le­ben­dig wer­den zu las­sen. Das mag an Län­dern oder an ei­nem be­stimm­ten Pu­b­li­kum lie­gen, aber grund­sätz­lich ist es im­mer das­sel­be. Wir ha­ben be­we­gen­de Kon­zer­te in Is­ra­el ge­macht. Sie wa­ren be­we­gend, nicht nur auf­grund der auf­ge­führ­ten Wer­ke, son­dern weil es da­mals, als ich 1976 zum ers­ten Mal in Is­ra­el war, das ers­te Kon­zert ei­nes is­rae­li­schen Or­ches­ters, des Is­ra­el Phil­har­mo­nic Or­che­stras, in Ver­bin­dung mit ei­nem deut­schen Chor und deut­schen So­lis­ten war. Das war na­tür­lich ein ganz be­son­de­rer Mo­ment. Aber ich er­in­ne­re mich auch an Kon­zer­te in Mos­kau, wo wir mit Stu­die­ren­den des Tschai­kows­ky-Kon­ser­va­to­ri­ums mu­si­ziert ha­ben und die jun­gen Men­schen er­grif­fen wa­ren von der Be­deut­sam­keit die­ser Mu­sik. So könn­te ich vie­les auf­zäh­len.

Ha­ben Sie in Ih­rem Al­ter noch so et­was wie Lam­pen­fie­ber? Sch­ließ­lich sind Sie auch im­mer auf die Leu­te an­ge­wie­sen, mit de­nen Sie mu­si­zie­ren.
Na­tür­lich. Oh­ne die könn­te ich es gar nicht ma­chen. Lam­pen­fie­ber ist vi­el­leicht das fal­sche Wort. Las­sen Sie mich so sa­gen: Wich­tig ist, dass man selbst im­mer so gut vor­be­rei­tet ist, dass man das, was man uf­führt, auf die best­mög­li­che Wei­se ma­chen kann. Wenn ich ein Stück di­ri­gie­re, was ich schon oft ge­macht ha­be, muss ich doch am Nach­mit­tag des Kon­zerts in mei­nem Ho­tel­zim­mer oder hier zu Hau­se sit­zen, das Stück noch ein­mal an­schau­en durch­den­ken und mir die Parti­tur vor­neh­men. Mir Ge­dan­ken ma­chen: Wie wür­de wer­de ich dort das Tem­po neh­men, wie wür­de wer­de ich die­ses De­tail ge­stal­ten? Und es wird im­mer an­ders sein. Die Wie­der­ho­lung ei­nes Kon­zerts ist nicht ein­fach noch­mal das­sel­be, son­dern sie hat wie­der neue Ge­sichts­punk­te. Und vor ei­nem an­de­ren Pu­b­li­kum, in ei­nem an­de­ren Raum, mit an­de­ren Mit­wir­ken­den auch ei­ne an­de­re mu­si­ka­li­sche Ge­stal­tung.

Ha­ben Sie denn per­sön­lich ein Lie­b­lings­werk?
Ach, ei­gent­lich nicht. Es gibt ei­ne gan­ze Rei­he von Stü­cken, die ich für sehr be­deut­sam hal­te, aber das ver­schiebt sich auch. Na­tür­lich sind die Bach­schen Groß­w­er­ke für mich die Zen­t­ren.

Wenn man sich das Kon­zert­pu­b­li­kum in Deut­sch­land an­schaut, fin­det man oft kaum jun­ge Leu­te dar­un­ter. Läuft im klas­si­schen Mu­sik­be­trieb et­was falsch?
Bei uns vi­el­leicht. Das Pu­b­li­kum in Ko­rea war jung: Kaum äl­te­re Leu­te, son­dern ganz vie­le Stu­den­ten oder Leu­te zwi­schen 30 und 50 Jah­ren. Es ist vi­el­leicht ei­ne Fra­ge des An­ge­bots. Wenn ich Kon­zer­te mit jun­gen Leu­ten als Mit­wir­ken­den an­bie­te – und das ma­che ich sehr viel – dann ha­ben wir oft ein ganz jun­ges und ganz be­geis­ter­tes Pu­b­li­kum.

In Deut­sch­land gibt es ei­ne aus­ge­präg­te Chor­kul­tur. Pri­vat aber traut sich kaum je­mand zu sin­gen. Sin­gen wir zu we­nig?
Es wird zu we­nig ge­sun­gen, vor al­lem in den Schu­len. Da­bei ist Sin­gen die na­tür­lichs­te künst­le­ri­sche Aus­drucks­form des Men­schen. Und es ist im­mer wun­der­bar, wenn jun­ge Schul­mu­si­ker ih­re Klas­sen zum Sin­gen brin­gen. Die Kir­chen­mu­si­ker leis­ten da auch vor­züg­li­che Ar­beit: Wie vie­le Kin­der- und Ju­gend­c­hö­re gibt es in den Kir­chen­ge­mein­den! Ich war ge­ra­de in Ro­s­tock bei ei­nem Kurs und ha­be dort ei­nen ehe­ma­li­gen DDR-Kol­le­gen wie­der­ge­trof­fen, der mit sei­nen vie­len Kin­der-und Ju­gend­c­hö­ren vie­len Men­schen in schwie­ri­gen DDR-Zei­ten ein Hal­te­punkt war. Die­se Chö­re ha­ben et­was, was ein gro­ßer Schatz ist: gu­te Tex­te. Was man sonst so singt im Un­ter­hal­tungs­be­reich, das hilft we­nig. Es trägt vi­el­leicht ir­gend­ei­ne Ge­fühls­wel­le oder ei­ne Be­find­lich­keit des Men­schen, aber ich mei­ne die­sen Schatz von gu­ten Tex­ten, den wir in der Kir­chen­mu­sik ha­ben, das ist schon un­glaub­lich. Das sind Wer­te, die den Kin­dern, den Ju­gend­li­chen wei­ter­ge­ge­ben wer­den, die ver­ges­sen sie nicht. In spä­te­ren Le­bens­jah­ren wird es oft zu ei­nem wich­ti­gen An­ker in schwie­ri­gen per­sön­li­chen Si­tua­tio­nen, dass man sol­che Tex­te aus­wen­dig kann und sie in ei­nem klin­gen.

Wel­che Wir­kung hat das Sin­gen auf die Men­schen?
Es hat et­was wun­der­bar Be­f­rei­en­des, et­was Künst­le­ri­sches leis­ten zu kön­nen, was man selbst ver­ant­wor­tet, bei dem man nicht sagt: Ich hö­re jetzt et­was und emp­fin­de das mit, son­dern ich kann mich selbst ganz per­sön­lich aus­drü­cken.

Sie ab­sol­vie­ren noch im­mer ein stram­mes Pro­gramm. Wo tan­ken Sie Kraft?
Ja, die sc­hö­nen Auf­ga­ben for­dern. Ich muss die Parti­tu­ren lü­cken­los im Kopf ha­ben, ich ge­he di­ri­gie­re ja nie mit No­ten ans Di­ri­gen­ten­pult. Wenn ich al­so weiß, in ei­nem hal­ben Jahr kommt ein Stück, das ich nicht so selbst­ver­ständ­lich im Kopf ha­be wie bei­spiels­wei­se die Bach­schen Groß­w­er­ke, dann muss ich mich bei­zei­ten hin­set­zen und das stu­die­ren und mir be­wusst ma­chen, was auf mich zu­kommt. Das ist ei­ne stän­di­ge An­span­nung. Ich ge­he ger­ne mal ein bis­schen spa­zie­ren und le­se im­mer wie­der. Aber wenn ich ei­nen Tag frei ha­be, ma­che ich nicht nichts, son­dern wenn Sie nach­her weg sind, wer­de ich be­stimmt ei­ne Parti­tur neh­men, die auf mei­nem Sch­reib­tisch liegt und mir ir­gend­wel­che Din­ge klar­ma­chen, auch wenn die Auf­füh­rung erst in zwei Mo­na­ten ist.

Das In­ter­view führ­te Bea­trix Gram­lich.

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Postbus 93140
NL-2509 AC Den Haag
www.missio.nl

Missionare vom Kostbaren Blut

Missionare vom Kostbaren Blut
Gyllenstormstr. 8
A-5026 Salzburg-Aigen
www.missionare-vom-kostbaren-blut.org

Missionarinnen Christi

Missionarinnen Christi
Linderhofstr.10
D-81377 München
www.missionarinnen-christi.de

Missions-Benediktinerinnen

Missions-Benediktinerinnen
Bahnhofstr. 3
D-82327 Tutzing
www.missions-benediktinerinnen.de

Missions-Dominikanerinnen Schlehdorf

Missions-Dominikanerinnen Schlehdorf
Provinz St. Immaculata
Kirchstr. 9
D-82444 Schlehdorf
www.schlehdorf.org

Missionsärztliche Schwestern

Missionsärztliche Schwestern
Scharnhölzstr. 37
D-46236 Bottrop
www.missionsaerztliche-schwestern.org

Missionsdominikanerinnen Strahlfeld

Missionsdominikanerinnen Strahlfeld
Am Jägerberg 2
D-93426 Roding-Strahlfeld
www.kloster-strahlfeld.de

Missionsschwestern v. d. Unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes

Missionsschwestern v. d. Unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes
Bäckergasse 14
D-48143 Münster

Missionsschwestern vom Hlst. Herzen Jesu

Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu
Hohe Geest 73
D-48165 Münster-Hiltrup
www.msc-hiltrup.de

Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel

Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel
Friedensplatz 6
D-37308 Heilbad Heiligenstadt
www.smmp.de

Spiritaner

Spiritaner
Missionsgesellschaft vom Heiligen Geist
Missionshaus Knechtsteden
D-41540 Dormagen
www.spiritaner.de


VIDEO
Der Film erzählt von Schwester Marie Catherine im Niger, die zur Versöhnung von Muslimen und Christen im ärmsten Land der Welt beiträgt.

Unterwegs in ...
Das kontinente-
Reisetagebuch

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