Erzbischof Dieudonné Nzapalainga CSSp von Bangui. Foto: Spiritaner |
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„Das ist kein Religionskrieg. Das ist ein Krieg um Macht!“
Interview mit Erzbischof Dieudonné Nzapalainga, CSSp, von Bangui, der gemeinsam mit Imam Kobine Layam in diesem Jahr den Aachener Friedenspreis erhalten wird, zur Situation in der Zentralafrikanischen Republik
Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den Krieg in Zentralafrika?
Erzbischof Nzapalainga: Ich sage, dass der Krieg in Zentralafrika kein Religionskrieg ist, weil man in Zentralafrika nicht um des Kreuzes willen gewalttätig wird und auch nicht um der Bibel willen; man wird nicht wegen Karikaturen des Propheten Allah gewalttätig, und auch nicht, weil man einen Koran verbrennt, und auch nicht, weil man eine Moschee angesteckt hat. Nein! Man kämpft gegeneinander, weil man einen Platz erobern will; man kämpft gegeneinander, weil man alte Rechnungen mit seinen Nachbarn begleichen will; man kämpft gegeneinander, weil man Macht haben will; man kämpft gegeneinander, weil man denkt, dass der Andere viel Reichtum besitze und alles für sich behalte, und dass es deshalb für uns, den Mitgliedern einer bestimmten Gemeinschaft oder Volksgruppe, einer Ethnie oder eines Stammes, nun die Gelegenheit sei zu nehmen, was uns zustehe. Es geht also um die Frage von Macht, es geht um die soziale Frage, die militärische Frage und die Frage der Not. Um all das geht es. Die zentralafrikanische Republik ist reich an Gold, Diamanten, Uran. All das erregt Neid, und die Leute kämpfen darum. Der Beweis: Sie haben geplündert, sie haben den Besitz vieler Zentralafrikaner geraubt. Wenn es um der Religion willen gewesen wäre, dann hätten sie jedes Mal „im Namen Allahs“ oder „im Namen Gottes“ geschrien. Das haben sie aber nicht getan.
An der Spitze der Rebellion habt Ihr weder einen Priester noch einen Pastor noch einen Imam. Als die „Antibalaka“ aufkamen, hatten auch sie weder einen Priester noch einen Pastor noch einen Imam auf ihrer Seite! Es ist also völlig falsch, diesen Krieg den Menschen in Europa als einen Krieg zwischen den Religionen verständlich machen zu wollen. Man hat die Dinge völlig verkürzt, um glauben zu machen, dass alle Seleka-Rebellen Muslime seien und die Antibalaka-Kämpfer hauptsächlich Christen. Das ist falsch. Es sind nicht alle Muslime Angehörige der „Seleka“, genauso wenig wie alle Christen „Antibalaka“ sind. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen und vor allem gehört, wie der Imam das Verhalten der Seleka-Rebellen verurteilt hat, indem er sagte, dass ein guter Muslim nicht tötet, das Leben nicht zerstört und nicht stiehlt. Er hat es laut und deutlich ausgesprochen. Er ist Muslim, aber kein Mitglied der „Seleka“. Ich selber habe am 5. Dezember 2013 einen Brief verfasst, in dem ich das Verhalten der Antibalaka-Kämpfer angeprangert und verurteilt habe. Nach all dem, was ich gesehen und gehört habe, habe ich ihnen gesagt, dass das, was ich verkünde und predige, dem Evangelium entsprechen muss: Du sollst nicht töten! Du sollst nicht stehlen! Das habe ich ihnen gesagt, weil sich ein Christ so nicht verhält. Ich bin deutlich auf Distanz zu diesen Leuten gegangen. Es gibt keine religiöse Grundlage für all das, was geschieht. Im Gegenteil: Man hat die Religion um politischer Ziele willen instrumentalisiert, um nicht zu sagen manipuliert. Man hat die religiöse Wirklichkeit benutzt, um die Muslime anzustiften, jetzt die Macht zu übernehmen. Die Christen hätten 50 Jahre lang regiert; nun sei es an ihnen, jetzt sollten auch sie endlich einmal regieren. Das ist eine Argumentation, die von den Leuten an der Basis nur allzu leicht angenommen werden kann. Schließlich wissen wir, dass viele Menschen im Land, ungefähr 50 Prozent, Analphabeten sind. Viele werden solche Parolen also leicht akzeptieren. Und die vielen jungen Leute, die keine Zukunftsperspektiven und die Lust auf Abenteuer haben, sind zu allem bereit. Heute haben wir das Resultat. Deshalb sagen wir: das ist kein Religionskrieg, das ist kein Krieg zwischen den Religionen; das ist ein Krieg um Macht, um Reichtum, das ist eine militärisch-politische Auseinandersetzung!
Wegen dieses Krieges in Ihrem Land sind 500.000 Menschen zu Flüchtlingen geworden. Welche Hilfe kann die Kirche anbieten?
Die Kirche tut schon eine Menge in der Zentralafrikanischen Republik. In all dem, was bislang passiert ist, war es die Kirche, die als erstes gehandelt hat. Es war die Kirche, die Geld für Medikamente bereitgestellt hat, um Kranke und Verletzte zu versorgen. Drei Tage lang hatten weder Ärzte noch Kranke irgendetwas zu essen. Es war die Kirche, die Geld zur Verfügung gestellt hat, damit die Caritas Nahrungsmittel zur Versorgung der Ärzte und der Kranken beschaffen konnte. Die Caritas hat dann mit Christen, die von Energie und Nächstenliebe beseelt waren, die Mahlzeiten für ihre ausgehungerten Brüder und Schwestern zubereitet. Während der ersten drei Tage haben sie sowohl die Kranken als auch die Ärzte komplett ernährt. Und die Verantwortlichen in der Politik haben sich nicht geirrt, als sie in ihrer ersten Rede der Caritas gedankt haben. Sie wussten, dass Caritas auch Kirche ist.
Die Kirche in Zentralafrika trägt ihren Beitrag auch durch die geistliche Heilung bei. Wenn die Priester aufbrechen, um Arbeiter zu treffen, die sich selbst überlassen sind, dann ist das ein Zeichen der Gegenwart Gottes unter ihnen und eine Gelegenheit zum Sakrament der Versöhnung. Der Beitrag der Kirche ist spirituell, finanziell, menschlich, materiell und sozial. Der Kirche trägt viel zur Hilfe der Bedürftigen bei, die ja Geliebte Gottes sind.
Welcher ist der Weg, der den Zentralafrikanern helfen kann, aus ihrer schlimmen Situation wieder herauszufinden, und der ihnen wieder eine Zukunft geben kann?
Der Weg, der ihnen helfen kann, ist allein der Weg des Dialogs. Alle anderen Wege sind Sackgassen. Der Dialog ist die conditio sine qua non, um mit seinem Nächsten zu kommunizieren, um dem Anderen zuzuhören, um seine Situation zu begreifen und um Raum für das offene Wort zu schaffen. Durch den Dialog heilt man auch das Herz und den ganzen Menschen. Der Dialog ist eine Therapie. Deshalb bestehen wir darauf, dass es keine Alternative zum Dialog gibt. Die Zentralafrikaner müssen den Weg des Dialoges gehen. Wenn wir dies den Zentralafrikanern sagen, dann sagen wir gleichzeitig den Christen unter ihnen, dass sie die Bibel nicht vergessen dürfen. Christus hat gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Wenn Ihr den rechten Weg einschlagen wollt, dann richtet Eure Augen auf Christus, der der Weg und das Wort ist, der mit uns gesprochen hat, um uns aus unseren Sünden herauszuführen. Er ist es, nach dem wir uns ausrichten, kein anderer. Die anderen Vorbilder sind Vorbilder, aber mit Grenzen. Das wahre Vorbild ist Christus. Also, der wahre Weg, den ich vorschlage und den ich den Leuten aufzeige, auch über das hinaus, was ich sage, ist einfach dieser: „Bleibt in Christus, denn durch Christus werdet Ihr dem Herrn selber begegnen.“
Welche Rolle wird die Religion in diesem Dialog spielen?
Wenn die Religion ihrer Berufung treu bleiben will, dann muss sie die Menschen untereinander verbinden und nicht spalten. Auf Latein bedeutet „religare“ verbinden. Die Spaltung dagegen stammt vom Teufel. Die Religion hat die Mission, die Leute untereinander zu verbinden. Und so dringend wie niemals zuvor müssen wir den ursprünglichen und tiefsten Sinn der Religion wiederentdecken: dass wir uns begegnen und dass wir untereinander Verbindungen stiften. Wir Religionsführer tun das schon; zu allen Zeiten sind wir im Gespräch. Ich komme gerade von einem Kongress der Entwicklungszusammenarbeit zurück, an dem ich zusammen mit dem Imam teilgenommen habe. Wir saßen gemeinsam an einem Tisch. Der Imam hat während der kriegerischen Auseinandersetzung in unserer Heimat mit seiner Familie fünf Monate bei mir übernachtet. Ich habe sie bei mir aufgenommen. Wir haben uns verstanden. Und wir müssen weiter Brücken bauen. Die Religion baut Brücken zwischen Menschen, damit sie miteinander reden, damit sie sich begegnen und die Unterschiede überwinden, die sie voneinander trennen. Die Religion hat eine große Aufgabe zu erfüllen. Und wenn man will, dass die Religion ihre Mission wirklich erfüllt, dann muss sie den Weg des Glücks und des Friedens öffnen. Und oft ist es genau das, was uns fehlt. Ein guter Ordensmensch oder ganz einfach ein guter Christ ist jemand, der fröhlich ist, weil die Freude vom Herrn selbst kommt, und Er schenkt sie uns. Auch wenn es nicht immer leicht ist, diese Freude im Alltag zu bewahren, so hilft uns doch die Gnade des Herrn, eben diese Freude nicht zu verlieren. Auch das schenkt uns die Religion in diesem schwierigen Augenblick, den wir gerade durchleben. Wenn dem nicht so wäre, wie könnte man es sich dann erklären, dass in einem Land wie dem unseren, in dem es keine Therapeuten und Psychologen gibt, die Leute, die grauenhafte und barbarische Szenen gesehen haben, trotzdem weiterleben? Wie sähe es aus, wenn da nicht die christlichen Gemeinschaften wären, die Ordensgemeinschaften, die aktiv werden und die Rolle des Therapeuten übernehmen? Wenn dem nicht so wäre, dann hätten wir viele innerlich zerbrochene und depressive Menschen, und auch viele, die den Verstand verloren hätten.
Was für einen Appel richten Sie an Ihre Landsleute und an die internationale Gemeinschaft?
Heute richte ich einen feierlichen Appel an meine Landsleute, aus der Sklaverei der Gewalt herauszutreten. Gewalt wird unsere Probleme nicht lösen. „Man hat meinen Bruder getötet, ich werde auch Deinen Bruder töten.“ Wir haben gesehen: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Niemals können wir jemanden wieder lebendig machen, der tot ist. Ich möchte nicht, dass wir immer wieder neues Leid zu dem schon bestehenden hinzufügen. Ich möchte einfach nur, dass meine Schwestern und Brüder verstehen, dass wir dazu berufen sind, miteinander zu leben. Zentralafrika ist ein schönes Land, ein Land voller Wunder! Und wir sollen einander lieben, ein jeder soll seinen Platz in der zentralafrikanischen Republik finden und seinen Beitrag zum Aufbau des Landes leisten. In dem Moment, wo wir uns gegenseitig annehmen, wo wir zusammen arbeiten, wo wir gemeinsam in dieselbe Richtung blicken und auf diese Weise eine gute Nation bilden, in dem Moment werden wir uns alle zusammen aufrichten. Denn dieses Aufrichten ist nicht der Erfolg einer einzelnen Person. Das sind alle, das ist das ganze Land. Und Gott wird kommen und uns helfen, uns wieder aufrichten.
Der internationalen Gemeinschaft, die uns schon mehrfach und auf verschiedene Weise zur Hilfe gekommen ist, wirtschaftlich, militärisch und in der Notfallhilfe, ihr sage ich, dass es jetzt Zeit ist, den Zentralafrikanern zu helfen, diejenigen zu entwaffnen, die ihre Waffen nicht niederlegen wollen, denn viele Zentralafrikaner leiden unsäglich. Sie sind zu Geiseln von kleinen Banden geworden, die die Entwicklung unseres Landes verhindern. Ich werde die internationale Gemeinschaft auch darum bitten, deutliche Worte gegenüber denen zu finden, die jetzt in die Politik einstiegen. Wenn sie die Verfassung nicht respektieren wollen oder wenn sie nach ein oder zwei Legislaturperioden die Verfassung ändern wollen, dann muss die internationale Gemeinschaft standhaft bleiben und ihnen klarmachen, dass es in keinem Fall zur Debatte steht, die Verfassung abzuändern oder etwas hinzuzufügen: „Ihr habt Euch das Beste gegeben, Ihr habt das Land so gut aufgebaut, dass es jetzt an der Zeit, den Platz anderen Personen zu überlassen, damit auch sie ihren Beitrag leisten können.“ Die internationale Gemeinschaft sollte deutlich auf eine gute Regierungsführung auch in unserem Land bestehen, und sie sollte uns helfen, unsere Armee aufzubauen, die zum aktuellen Zeitpunkt inexistent ist. Das ist unsere Botschaft an die internationale Gemeinschaft. Wir sind ein Land, das sich in seiner Genesungsphase befindet. Es wird notwendig sein, uns zu unterstützen und uns zu helfen, Menschen zu werden, für die es normal ist, aufrecht zu gehen.
Papst Franziskus hat angekündigt, dass er Ende des Jahres die zentralafrikanische Republik besuchen werde. Wie haben Sie diese Ankündigung aufgenommen?
Der Besuch des Papstes ist eine gute Nachricht für uns. Wir haben schon laut und deutlich gesagt, dass es Gott selber ist, der uns durch den Papst besucht und der dadurch seine göttliche Zuneigung zum Ausdruck bringt. Seit dem Beginn der Ereignisse in unserem Land denken viele Leute, dass sie nun völlig vergessen und im Stich gelassen sind. Aber durch sein Kommen hebt der Papst unser Land wieder auf die internationale Bühne. Er wird die Zentralafrikaner bitten, sich zu lieben, denn er verkündet den Gott, dessen Herz die Liebe ist. Ich glaube, dass er uns das sagen muss, dass wir diesen Weg der Liebe wiederentdecken, damit wir einander lieben können. Wenn man „lieben“ sagt, dann heiβt das seinen Feind zu lieben. Und wir haben in der Tat viele Feinde, um uns herum und in uns, die wir jetzt lieben sollten. Jedes Mal, wenn wir das Vater Unser beten, sagen wir „…und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Die, die uns wehgetan haben, das sind unsere zentralafrikanischen Schwestern und Brüder, beziehungsweise unsere Brüder und Schwestern in der Familie der Menschen. Und wir sollen sie lieben. Nur mit einer Revolution der Liebe werden wir uns ändern können. Ich glaube, dass der Papst kommt, um uns wieder auf einen guten Weg zu bringen; er kommt auch, um uns zu trösten, uns zu beruhigen, uns Vertrauen wieder zu geben und uns Mut zu machen, auf faire und transparente Wahlen zuzugehen. Ich hoffe!
Das Interview führte Pater Samuel Mgbecheta, CSSp
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