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Interview mit der Dirigentin Raquel Maldonado
„Musik ist der Weg meines Lebens"
Für die Dirigentin Raquel Maldonado ist Musik ein universales Instrument, das Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenbringen kann. Ein Werkzeug, das die Sinne anspricht und eine Botschaft von großer Tiefe vermittelt. Mit dem „Ensamble Moxos“ tourt sie durch Europa. Im Gepäck: Barockmusik aus den Jesuitenmissionen des 17. Jahrhunderts.
Frau Maldonado, wann ist für Sie ein Konzert gelungen?
Raquel Maldonado:Wenn Emotionen mitspielen. Wenn es berührende Momente gibt, in denen wir spüren, wie wichtig das menschliche Zusammensein ist. Etwa, wenn Menschen während des Konzertes Tränen in die Augen steigen. Dann erleben wir, welch großartige Kraft von dieser Musik ausgeht, die es schafft, den Geist der Personen anzusprechen. Sie geben eine eigene Antwort auf das, was wir gesungen und gespielt haben. Es geht dabei nicht nur um Musik, es geht um so viel mehr.
Was zeichnet Ihre Musik aus?
Raquel Maldonado: Die Menschen merken, dass das, was wir spielen, singen und tanzen direkt von unserem Herzen kommt. Sie schätzen das, was wir vielleicht Aufrichtigkeit nennen können. Wir sind keine Schauspieler, die etwas vortragen. Sicher haben wir Grenzen im technischen und musikalischen Bereich. Das sind Dinge, an denen wir arbeiten. Aber egal, ob wir in San Ignacio de Moxos, in Deutschland oder anderen europäischen Ländern auftreten, alles, was wir tun, kommt aus dem, was wir leben und sind.
Und was ist das?
Raquel Maldonado: Wir stehen auf dem Erbe der Missionen, die die Jesuiten im 17. Jahrhundert in Bolivien aufgebaut haben. Das waren geschützte Orte, wo Einheimische dem Zugriff der Kolonialherren entzogen lebten. Dort wurde eine besondere Form der Barockmusik gepflegt, die ein kraftvolles Instrument der Evangelisierung war. Auch nach der Vertreibung der Jesuiten durch die spanische Krone ist in San Ignacio de Moxos die Traditionslinie nie abgebrochen, so dünn sie auch war. Die Musik entwickelte sich weiter und begegnete indigenen Musikstilen. Beide Richtungen befruchteten sich gegenseitig. Insgesamt wurzelt die Musik aus Moxos in einer tiefen Spiritualität, die die Gemeinschaft prägt, zu der wir gehören.
Sie sind also Botschafter?
Raquel Maldonado: Ja, wir geben unserer Kultur ein Gesicht. Das bedeutet zweierlei: Zum einen wissen wir um unseren Ort, seine reichhaltige Geschichte und Kultur, die wir bewahren. Zum anderen sind wir kreativ und frei. Wir können gestalten, die Musik fortentwickeln und tun dies aus einer großen Verantwortung zum Erbe heraus. Genau das war auch die Aufgabe in den Missionen, selbst nach der Vertreibung der Jesuiten: das Instrument der Musik weiter nutzen, um unsere Spiritualität zu leben.
Was bedeutet Ihnen Musik?
Raquel Maldonado: Die Musik ist der Weg meines Lebens. Ich treffe keine radikalen Entscheidungen, lasse mich eher führen. So bin ich auf die Musik gestoßen. Die Form der Musik von Moxos hat mich in eine menschlichere Dimension gebracht als es das Professionelle in der Musik je hätte schaffen können. Ich habe eine andere Sensibiliät für das Leben und die Menschen bekommen.
Wann sind Sie der Musik in Ihrem Leben zum ersten Mal begegnet?
Raquel Maldonado: Als mein Patenonkel aus Potosí seinen Besuch bei uns in La Paz ankündigte. Da war ich vier Jahre alt. Er, der Profimusiker, sagte: Wenn ich in euer Haus komme und kein Instrument vorfinde, dann gibt’s Krach. Also bemühte sich mein Vater und schaffte von einem Tag auf den anderen ein Klavier an. Es stammte aus der mexikanischen Botschaft und war um die Hälfte reduziert. Wir warteten auf den Patenonkel, aber er kam nie an. Unterwegs im Zug erlitt er einen Herzinfarkt. Mein erster Kontakt zur Musik ist also in gewisser Weise tragisch.
Blieb das Klavier bei Ihnen?
Raquel Maldonado: Ja! Ich begann, mir die Musik über das Gehör anzueignen, wie es bei uns üblich ist. Später meldete meine Mutter mich und meine Geschwister am Konservatorium an. Mein Bruder und meine Schwester fielen durch die Aufnahmeprüfung, ich durfte weitermachen.
Wie vermitteln Sie die Musik?
Raquel Maldonado: Über das Hören und mit Hilfe von Partituren. Das eine braucht das andere. Beides ist wichtig, es sind unterschiedliche Herangehensweisen. Klassische Orchester-Instrumente werden an unserer Musikschule auch klassisch unterrichtet. Beim Gebrauch von typisch bolivianischen Instrumenten wie Flöten aus Vogelknochen oder Palmblättern oder unterschiedlichem Schlagwerk sind wir experimentierfreudiger. Wichtig ist mir auch, den besonderen Geist von Moxos weiterzugeben.
Wer sind Ihre Schüler?
Raquel Maldonado: Kinder zwischen vier und 12 Jahren, überwiegend aus ärmeren, indigenen Familien. Selbst, wer nicht gut singen kann, wird aufgenommen (sie lacht). Das Hauptziel unserer Schule ist ein soziales, pädagogisches. Wir ermöglichen eine gute Erziehung und einen breiten Bildungsabschluss. Und wir verstehen uns als einen Moment des Durchgangs, in dem wir vieles ausprobieren können.
Erhalten Sie Unterstützung von staatlicher Seite?
Raquel Maldonado: Die Aufwertung der indigenen Kultur Boliviens durch die Regierung kommt uns entgegen. Wir möchten uns aber nicht parteipolitisch vereinnahmen lassen. Wenn die Regierung Geld gibt, möchte sie auch etwas im Gegenzug. Deshalb machen wir die Tournee durch Europa, um unabhängig zu bleiben.
Das Interview führte Eva-Maria Werner.
Zur Person Raquel Maldonado
Die 37-Jährige wuchs in La Paz auf. Seit elf Jahren leitet sie die Musikschule und das „Ensamble Moxos“ in San Ignacio de Moxos im bolivianischen Tiefland. Die Mutter zweier Kinder trägt mit ihrer Arbeit dazu bei, das musikalische Erbe der Jesuitenmissionen zu bewahren und weiter zu entwickeln. Regelmäßig reist sie mit dem Ensemble durch Europa, als Botschafterin ihrer Kultur. Mit den Konzerterlösen finanziert sich die Musikschule, die über 200 Schülern kostenlos Unterricht ermöglicht. |