Das Unerforschliche lasse ich liegenDer Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch nennt sich einen Protestanten „vom Scheitel bis zur Sohle”.
Naturwissenschaft und Religion sind für ihn kein Widerspruch.
Nur gemeinsam, glaubt er, ließen sich die großen Zukunftsaufgaben lösen. |
Interview: Nicole Lamers
Foto: Achim Multhaupt/laif
Herr Lesch, kann man als Naturwissen- schaftler überhaupt gläubig sein?
Ja. Denn wenn man nur ein bisschen von der Welt versteht, dann weiß man, dass man irgendwann nicht gewesen ist und irgendwann auch nicht mehr sein wird. Es gibt ein großes Geheimnis, woher man gekommen ist und wohin man gehen wird. Und natürlich die Frage: Wie verhalte ich mich, wie gehe ich mit der Welt um? Das religiöse Weltverständnis ist das am weitesten über die Welt verbreitete – das wissenschaftliche ist es sicherlich nicht.
Sind Sie selbst gläubig?
Ja, ich bin evangelischer Christ. Aber diesen Widerspruch, auf den ich oft angesprochen werde, habe ich nie erlebt. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat es so formuliert: „Selbst, wenn alle Fragen der Naturwissenschaft beantwortet sind, ist nicht eine einzige existenzielle Frage meines Lebens davon betroffen.“ Wenn ich also Inventur gemacht habe über die Welt und weiß, wie sie funktioniert, dann weiß ich noch lange nicht, wie ich mit ihr umgehe und was das alles soll.
In einigen Fragen gibt Religion jedoch andere Antworten als Wissenschaft – Stichwort Evolutionstheorie ...
Da hat sie ja auch nichts zu suchen. Bei der Evolutionstheorie handelt es sich um eine Theorie der Biologie, die im Nachhinein erklären kann, warum und wie sich Lebewesen entwickeln. Die Kosmologie ist eine Wissenschaft, in der Religion noch nie etwas zu suchen hatte. Und ein heiliger Text wie die biblische Genesis ist ja auch kein wissenschaftlicher Text, der verlangt wörtlich genommen zu werden. Aber er erkennt etwas an, das wir in den Naturwissenschaften nur bestätigen können: Dass es Gesetzmäßigkeiten gibt in der Welt und dass sie nicht in einem chaotischen Durcheinander entstanden ist, sondern in einer klaren Reihenfolge.
Hat also die Wissenschaft Gott als erklärende Kraft gar nicht verdrängt?
Ich glaube, dass man den kirchlichen Machtanspruch der Weltdeutung zu oft mit dem vermischt, was in heiligen Texten tatsächlich drinsteht. Und dann gibt es natürlich noch die sogenannte Lückenbüßertheologie. Das heißt, man hat Gott dahin gestellt, wo die Wissenschaft noch nicht war. Und immer, wenn die Wissenschaft was rausgefunden hat, ist Gott geschrumpft – heute wäre es dann eine Bonsai-Variante, kleiner geht’s kaum mehr. Aber das hat doch nichts mit den Gottesvorstellungen zu tun von Menschen, die sich an Gott wenden, um zum Beispiel Hoffnung zu suchen. Das Schlimmste ist, so zu tun, als gäbe es nichts anderes in dieser Welt als Physik.
Nichts anderes als das, was wir rational erklären und messen können ...
Genau. Denn dann würde sogar unsere eigene Lebenserfahrung nicht mehr gelten. Denn wie ist es denn, Sie zu sein? Das kann ich nicht messen, kann nicht wissen, wie Hoffnungen, Visionen und Träume eines Menschen aussehen. Es ist ja noch nicht einmal so, dass irgendjemand vollständig darüber sprechen könnte. Ich glaube, man sollte viele Fragen überdenken, die man an den angeblichen Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft stellt.
In Ihrer gemeinsamen Sendereihe „Lesch sieht Schwartz“ sind Sie und der katholische Priester Thomas Schwartz oft einer Meinung. Gibt es auch Punkte, bei denen Sie sich nicht einigen können?
Aber natürlich. Ich denke als Naturwissenschaftler ganz anders als Thomas als Seelsorger und Wirtschaftsethiker. Ich bin der Wirtschaft gegenüber noch viel skeptischer als er und ziemlich pessimistisch, inwieweit man mit ethischen Vorstellungen in die Ökonomie eingreifen kann. Aber Thomas versucht es trotzdem. Natürlich sieht er als katholischer Seelsorger die Welt anders als ich, also immer vor diesem absoluten Gott. Ich bin eher jemand, der sich annähert: Das, was ich erforschen kann, das würde ich gerne erforschen. Aber das Unerforschliche, das lasse ich dann eben liegen.
Jeder sollte also seine Grenzen kennen?
Ja. Religion versucht ja vor allem Menschen zu betreuen, sie in existenziellen Situationen zu begleiten – positiven wie negativen. Für viele ist leider die Kirche auch nur so eine Institution, die man anruft, wenn jemand gestorben ist und vielleicht noch zur Taufe. Aber sie hilft auch, betreut Kindergärten, spielt mit vielen Institutionen eine ganz wichtige soziale Rolle. Und das aus einem bestimmten Menschenbild und Gottesverständnis heraus. Ich glaube, das kann man gar nicht hoch genug schätzen.
Wie können sich Naturwissenschaft und Theologie annähern?
Ich denke nicht, dass wir unsere großen Herausforderungen – wie wir in Zukunft mit der Welt umgehen sollten – mit rein religiösen oder rein wissenschaftlichen Antworten werden meistern können. Wir brauchen eine gute Verbindung von beiden Seiten, denn wir müssen Dinge tun, die wir gar nicht wissenschaftlich begründen können: nämlich uns zurücknehmen und viel vorsichtiger miteinander umgehen, vielleicht auch langsamer werden. Bisher haben wir ja immer alles nur schneller gemacht, die Wissenschaft hat mit pausenlos neuen Technologien ihren Beitrag dazu geleistet. Ich glaube, dass das alles nur zusammen geht.
Weniger Spezialisierung also ...
Ich hoffe sehr, dass es in 100 Jahren an Universitäten so etwas wie Systemwissenschaft gibt, die sich damit beschäftigt, wie theologische Gedankensysteme zu dem passen, was die Naturwissenschaft zu sagen hat. Und ich bin ein großer Vertreter einer These, die eigentlich völlig unakademisch ist: Ich glaube, dass Freundschaft ein prima Mittel ist, um zu erfahren, was der andere macht. Freundschaften zwischen denjenigen, die auf der einen wie auf der anderen Seite leben, arbeiten, wirken. Die sind das Allerbeste, damit es richtig konstruktiv und fruchtbar werden kann. Thomas und ich sind zum Beispiel wirklich sehr gut befreundet.
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