„Ich bin stolz, ein Massai zu sein“Mali Ole Kaunga wuchs in einer polygamen Massai-Familie auf, die sich von ihrem Vieh ernährte.
Die Privatisierung von Land, der Klimawandel, Einflüsse der modernen Welt und die Corona-Pandemie
bedrohen das Erbe des ostafrikanischen Volkes. |
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Massai?
Die Massai leben ebenso wie andere indigene Völker kollektiv und sind soziale Menschen, die gerne teilen. Praktiken wie soziale Distanzierung oder das Tragen von Masken empfinden sie als seltsam. Das Corona-Virus hat die Gemeinschaften in Schrecken versetzt. Die Schließung von Viehmärkten macht es den Menschen schwer, an Nahrung zu gelangen und ihre Produkte zu verkaufen. Das kollektive Zusammenleben ist gestört und niemand weiß, ob es je wieder so wird wie zuvor. Die Pandemie hat uns zu einer Zeit getroffen, in der in den „heiligen Dörfern“ die Initiationsriten stattfinden. Die sind essenziell für die Gemeinschaft, viele Menschen kommen dazu zusammen. Es fehlt aber an sauberem Wasser, Aufklärung und Schutzmaßnahmen. Die Heuschreckenplage und nun die Einschränkungen aufgrund des Virus gefährden die Nahrungssicherheit. Vielen droht der Hungertod.
Sie haben Impact gegründet, eine Bewegung, die sich für Friedensförderung und die Lösung von Konflikten einsetzt. Wodurch ist das Volk bedroht?
Der Verlust von Land ist eine der Hauptbedrohungen für die Massai. Ihre traditionellen Lebensgrundlagen, Rituale und Zeremonien hängen von den natürlichen Ressourcen ab. Der Verlust des Landes und der Verlust der Kontrolle über die natürlichen Ressourcen hat die Massai geschwächt und sie von anderen abhängig gemacht. Durch den Klimawandel sind sie häufig mit Dürreperioden konfrontiert. Es ist heute üblich, junge Massai als Sicherheitskräfte, Tänzer und Platzanweiser in Touristenorten zu sehen – sie tun dies, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auch moderne Bildung ist ein zweischneidiges Schwert.
Inwiefern?
Einerseits befähigt sie die Massai, neue Kenntnisse zu erwerben, um mit den Veränderungen der Welt fertig zu werden. Moderne Bildung hat zur Stärkung von Frauen und Mädchen beigetragen und deren Teilnahme am Gemeinschaftsleben erhöht. Sie hat aber auch die Land-Stadt-Migration gefördert und dass Massai ihr Land verkauft und den Stolz auf ihre Kultur verloren haben. Außerdem schreitet der Sprachverlust voran, da viele Massai-Kinder, die Internate besuchen, den Kontakt zur Heimat verlieren.
Wie unterstützt Impact die Massai?
Die Bewegung hilft ihnen, ihr Land zu schützen, wie es im „Community Land ACT 2016“, einem Gesetz der kenianischen Regierung, definiert ist. Wir versetzen sie in die Lage, mit den Gefahren des Klimawandels umzugehen, etwa indem neue Einkommensquellen erschlossen werden wie Bienen- oder Geflügelzucht, die Herstellung von Aloe-Vera-Seife oder der Betrieb eines Konfe- renzzentrums. Wir organisieren Jugendlager, unterstützen Ethnomusik und schulen die Massai in ihren Rechten. Auch Forschung und Dokumentation gehören zu unserer Arbeit, damit traditionelles Wissen nicht verloren geht.
Welche Rolle spielen die Massai in der kenianischen Gesellschaft?
Sie sind Teil des kenianischen Erbes. Städte wie Nairobi, Nakuru, Nanyuki oder Naivasha tragen Massai-Namen. Die Ältesten des Volkes werden gelegentlich eingeladen, bei offiziellen Veranstaltungen die Segnung vorzunehmen. Massai-Tänzer empfangen häufig Staatsbe- sucher. Das indigene Volk produziert Rindfleisch, das zum nationen BIP beiträgt. Massai spielen eine grundlegende Rolle bei der Förderung des Tourismus und dem Schutz der Wildtiere, da die meisten Reservate und Nationalparks ursprünglich Massai-Land waren.
Schützt der Staat die Massai?
Die kenianische Regierung hat den Auftrag, traditionelles Wissen und kulturelle Ausdrucksformen zu schützen. Sie unterstützt die Massai und andere indigene Völker, könnte aber noch mehr tun.
Gibt es Hilfe von der Kirche? Ihr liegt die Schöpfung ja auch am Herzen...
Die indigenen Völker in Afrika sind nach wie vor Hüter eines vitalen und blühenden Ökosystems und arbeiten hart für den Schutz der Umwelt. Die katholische Kirche, obwohl weit verbreitet, ist nicht sehr stark, wenn es darum geht, den indigenen Völkern zu helfen, wenn sie durch Großprojekte vertrieben werden.
Wodurch zeichnet sich die Spiritualität der Massai aus?
Wir glauben an ein übernatürliches Wesen, Enkai. Unser Gott ist weiblich, eine Lebensspenderin. Wir glauben, dass spirituelle Kräfte uns helfen, mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden. Es gibt heilige Pflanzen und Orte, die für Rituale genutzt werden.
Was bedeutet es Ihnen, Massai zu sein?
Ich bin Teil eines komplexen Lebensnetzes und stolz darauf, Massai zu sein. Sie sind ein Beispiel für eine widerstandsfähige und stolze Gemeinschaft. Wenn ich nicht arbeite, bin ich bei meinen Ziegen und Schafen auf dem Laikipia-Plateau südwestlich des Mount Kenya.
Interview: Eva-Maria Werner
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