Jacques Mourad: „Wir als Kirche sind die einzige Hoffnung“Die erste Ernennung zum Bischof schlug Jacques Mourad aus. Da lebte er noch als Mönch in einem Wüstenkloster,
und Syrien befand sich mitten im Krieg. Dann wurde er vom „Islamischen Staat” (IS) entführt und monatelang gefangen gehalten. Die Haft habe ihn innerlich befreit, sagt der Pater, der nun doch Bischof geworden ist. |
Jacques Mourad, 55, ist syrisch-katholischer Erzbischof von Homs und Mitbegründer der Gemeinschaft von Mar Musa, die ein jahrhundertealtes Wüstenkloster wiederbelebt und zu einem Ort der Gastfreundschaft und Begegnung von Christen und Muslimen gemacht hat. Wärend des Syrienkriegs wurde er von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verschleppt und fast fünf Monate in Geiselhaft gehalten. Ein Muslim verhalf ihm zur Flucht und rettete ihm das Leben.
Pater Jacques, Sie haben lange als Mönch gelebt. Wie fühlen Sie sich als Erzbischof?
Diese neue Rolle bedeutet eine große Veränderung, wenn man wie ich ein ruhiges, kontemplatives Leben in einem Kloster geführt hat. Es ist keine einfache Situation. Aber es gibt all die wunderbaren Begegnungen – die Besuche in den Pfarreien. Die Menschen dort leben oft in sehr bescheidenen Verhältnissen und sind tief in der traditionellen Kultur verwurzelt. Den Kontakt mit ihnen empfinde ich als Geschenk.
Stimmt es, dass Sie abgelehnt haben, als man Sie vor Jahren schon einmal zum Erzbischof ernennen wollte?
Ja, das stimmt. Das war 2013 oder 2014, wir waren mitten im Krieg. Damals war einfach nicht der richtige Zeitpunkt für mich. Was mich nun überzeugt hat, ist die Not meiner Kirche, meiner Diözese.
Vermissen Sie die klösterliche Gemeinschaft von Mar Musa?
Ich fühle mich keinen Moment von Mar Musa getrennt, denn diese Gemeinschaft ist Teil meiner Geschichte. Sie bildet den Anfang meines Weges mit Gott. Der Grundstein meiner Freundschaft mit den Muslimen wurde durch die Gastfreundschaft gelegt, die wir dort jeden Tag praktiziert haben. Daraus wurde eine echte Kultur des Teilens. Wir haben Glaubenserfahrungen, leidvolle Erlebnisse, alle Ebenen des Lebens geteilt.
Wie ist die aktuelle Situation in Syrien?
Sie ist hoffnungslos. Es gibt nichts – keine Arbeit, kein Geld, keine Löhne. Alle wollen weg. Ihre einzige Hoffnung besteht darin, ein Land zu finden, in dem sie ein neues Leben beginnen können.
Wie sieht es für die Christen aus?
Im Vorkriegs-Syrien waren wir mehr als zwei Millionen Christen. Jetzt sprechen wir von 500.000 bis 600.000. Und jeden Tag verlassen weitere das Land. Natürlich ist es bei den Muslimen ähnlich. Aber für sie als größte religiöse Gemeinschaft sind die Auswirkungen weniger gravierend. Wir als Kirche sind die einzige Hoffnung für die christlichen Familien, die zurückbleiben. Wir müssen sie schützen und unterstützen. Wir müssen das Gespräch suchen, für die Menschen da sein, ihre Sorgen und Nöte teilen und versuchen, Lösungen für ihre sozialen Probleme zu finden.

Sie plädieren dafür, die Sanktionen gegen Syrien zu beenden. Warum?
Weil sie nur die Armen treffen. Die Reichen verdienen weiter Geld. Sie können alles kaufen, weil die Grenzen für sie offen sind. Ich sehe in Sanktionen kein gerechtes Mittel, um die politischen Probleme in unserem Land zu lösen. Meiner Meinung nach sind die Probleme und die Politik Syriens mit dem gesamten Nahen Osten verbunden – mit der Präsenz Israels, mit dem, was im Libanon und im Irak passiert. Die internationale Gemeinschaft ist verpflichtet, alles zu unternehmen, um eine Lösung für die Nahostfrage zu finden.
Es geht also um geopolitische Fragen?
Ja. Ich glaube, dass vor allem die mächtigen Länder nicht wirklich den Wunsch haben, in der Region Frieden zu schaffen. Denn wie bei uns gibt es auch global einige, die an dem Konflikt verdienen. Viele wirtschaftlich und politisch einflussreiche Staaten haben ein Interesse daran, dass der Krieg weitergeht, weil er ihren Reichtum und ihre Machtposition stärkt. Das ist nicht gerecht – weder vor Gott noch vor der Welt.
Hat der Krieg das Zusammenleben von Christen und Muslimen verändert?
Ich mache die Erfahrung, dass der Zusammenhalt stärker geworden ist. Das syrische Volk ist sehr religiös. Die Menschen gehören entweder dem christlichen oder dem muslimischen Glauben an. Dieser Glaube verbindet. Während des Krieges kam es immer wieder vor, dass christliche Familien Muslime beschützt haben und umgekehrt. Es war ein Muslim, der mir bei der Flucht geholfen hat. Er hat sein Leben für mich riskiert. Dasselbe gilt für die 250 Christen aus meiner Pfarrei in Qaryatein. Muslime haben ihnen geholfen, den Dschihadisten zu entkommen.
Sie waren fünf Monate in Geiselhaft des „Islamischen Staats“. Wie übersteht man das?
Mit Beten und dem Beistand der Jungfrau Maria.
In Ihrem Buch beschreiben Sie neben der Angst auch das Gefühl, dass der Himmel an Ihrer Seite steht. Würden Sie sagen, das waren mystische Erfahrungen?
So kann man es nennen. Es ist normal, dass man in einer solchen Situation Momente der Schwäche, des Zweifels und Momente des Vertrauens, der Gnade, der Erleuchtung erlebt. Die Schwierigkeit besteht darin, inneren Frieden zu finden. Man sitzt in Geiselhaft, fühlt sich am Ende, dem Tod nah und erlebt gleichzeitig diese außergewöhnliche Freiheit.
Hat Sie diese Erfahrung verändert?
Für mich ist wichtig, was sich in mir verändert hat. Ich verurteile niemanden für das, was er ist oder wie er lebt. Denn jeder Mensch trägt selber Leid in sich, auch wenn er Böses tut. In diesem Sinne verstehe ich, dass Jesus denen vergeben hat, die ihn gekreuzigt haben.
Können Sie Ihren Entführern so einfach vergeben? Ist das nicht ein Kraftakt?
Jedes Mal, wenn wir vergeben, leben wir unsere Freiheit. Der Akt des Vergebens hilft auch dem Täter, seine Freiheit wie- derzufinden. Ich halte das für das Wesentliche in den Beziehungen von Menschen. Es ist auch wesentlich in den Beziehungen von Staaten. Wenn diese Welt nach einem Weg zu wirklichem, internationalem Frieden sucht, muss man Menschen und Länder von ihren Abhängigkeiten befreien. Man kann kein Friedensprojekt aufbauen, wenn man Gefangener des Geldes, Gefangener der Macht, Gefangener von Interessen ist.
Interview: Beatrix Gramlich
Fotos: Hasan Bebel; Hartmut Schwarzbach
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