„Mein Herr ist der Herr und nicht Herr Woelki"Zuerst wollte er katholischer Priester werden - dann beschied ihm das Leben eine Karriereals investigativer Journalist. Er enthüllte zahlreiche Parteispenden-Affären, den Fußball-Wettskandal und korrupte Machenschaften bei VW. Jetzt ist er Kirchentagspräsident. |
Hans Leyendecker gilt als einer der profiliertesten investigativen Journalisten Deutschlands und deckte als Redakteur und Ressortleiter von „Spiegel” und „Süddeutscher Zeitung“ unter anderem die Parteispenden-Affäre, den Fußball-Wettskandal und korrupte Machenschaften bei VW auf. Für seine Enthüllungen erhielt er zahlreiche Preise. Zuerst wollte er katholischer Priester werden, dann heiratete er eine Protestantin und erlebte die Grenzen der Ökumene. Der 69-Jährige nennt, die Bibel Richtschnur seines Handeln und sich damit „im besten Sinne evangelisch”.
Kirchentagspräsident 2019 sei er „nur durch Zufall”.
Sie haben als investigativer Journalist viele Skandale aufgedeckt. Was war Ihre Triebfeder?
Dass das, was wir für Wahrheit halten, ans Licht soll. Zeuge der Wahrheit sein, das wollen ja auch Theologen. Aber, wenn sie als investigativer Journalist unterwegs sind, muss ihre Arbeit über das Aufdecken hinausgehen. Sie muss im-
mer wieder der Versuch sein, dass Journalismus Motor für Veränderung ist. Das gelingt manchmal, das gelingt oft nicht.
Stellt sich im Lauf der Jahre Ernüchterung ein?
Ja, die aber nicht in Zynismus und Resignation enden darf. Man muss die Verhältnisse sehen und was man erreicht hat. Ich habe ja auch ein paar schlechte Dinge gemacht. Manche, mit denen man nur schwer leben kann.
Was war Ihr größter Fehler?
Bad Kleinen, aber es gibt auch andere Fälle. Bad Kleinen war ja ein Zugriff von Bundeskriminalamt und des Spezialtrupps GSG 9 gegen die vermutete Führungsebene der Roten-Armee-Fraktion. Es gab viele Merkwürdigkeiten bei dieser Geschichte. Beim „Spiegel“ haben wir daraus eine Titelgeschichte gemacht: „Der Todesschuss“. Ich hätte sehr viel vorsichtiger sein müssen. Es gibt da viel, was handwerklich danebengegangen ist.
Hat Sie diese Erfahrung verändert?
Auf zweierlei Weise: Ich glaube, man muss noch viel sorgfältiger sein. Aber auch, dass man immer wieder Zweifel an sich selbst haben muss. Ein Kollege hat damals zu mir gesagt – ich fand das böse: „Du hast geglaubt, du kannst über Wasser gehen.“ Das kann man nicht. Das konnte nur einer. Ich bin sehr viel skrupulöser geworden durch diese Geschichte. Manches war nicht gut: dass man mit Leuten sehr hart umgegangen ist, über Dinge geschrieben hat, die man nicht schreiben sollte. Das ist nicht auf Bad Kleinen reduziert.
Was bedeutet Wahrhaftigkeit für Sie als Journalist und als Christ? Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?
Eine ganz große. Wahrhaftigkeit brauche ich als Christ und als Journalist. Ich glaube nicht, dass man als Christ ein besserer Mensch ist. Ich glaube aber, dass ich einen Halt habe, den der andere, der das anders sieht, nicht notwendigerweise hat. Bei allen schwierigen Fragen bin ich jemand, der dennoch vertraut, der ein absolutes Gottesvertrauen hat.
Darum geht es auch bei der Losung des Kirchentags „Was für ein Vertrauen“ ...
Vertrauen hat ja ganz viele Ableitungen: Zutrauen, sich etwas trauen, trauen. Es hat aber vor allem mit Zuversicht zu tun. Ich empfinde es als sehr arrogant, wenn Leute, die in diesem Land leben, sagen, wie schwer sie es haben. Es ging keiner Generation so gut wie dieser. Mit der Zuversicht, dass man Dinge verändern kann, ist manches leichter zu schaffen.
Wo sehen Sie Veränderungsbedarf?
Bei den Fragen: Wie leben wir zusammen? Wie reden wir miteinander? Wie wohnen wir? Wie verkleinern wir diese gewaltige Schere zwischen Arm und Reich? Bei der Bewahrung der Schöpfung. Wir erleben gerade einen Nachrüstungswahn, den man überwunden glaubte. Es gibt Unsicherheiten, die mehr international sind als nationale Wahrheit. Aber wir erleben, dass der Zusammenhalt weniger geworden ist, dass sich Lager unversöhnlich gegenüberstehen.
Wo sind wir als Christen gefragt?
Wir müssen als Christen mehr darüber reden, was uns bewegt, und Mut haben, uns dazu zu bekennen. Mich wundert, wie verdruckst manche da sind.
Ist die Kirche überhaupt noch eine gesellschaftlich relevante Kraft? Meldet sie sich genügend zu Wort?
Aus meiner Sicht ist sie aufgrund der Schriften dazu verpflichtet. Kirche darf nicht Partei sein. Sie muss und soll kein fertiges Programm zur Migrationspolitik haben. Aber sie muss doch sagen: Was steht in der Bibel über die Würde des Menschen? Kirche braucht kein fertiges Sozialkonzept. Aber was steht in der Bibel über die Schwachen, über die Erniedrigten, über die Armen? Kirche muss kein fertiges Konzept zur Klimapolitik haben. Aber was steht da über die Bewahrung der Schöpfung?
Werden sich die beiden großen Kirchen aufeinander zubewegen?
Sie werden es müssen. Das Problem ist, dass die Hierarchien zum Teil noch nicht so weit sind. Ich habe wenig Hoffnung, dass wir 2021 einen Ökumenischen Kirchentag feiern können. Ich finde auch, dass die Evangelischen das Abendmahl nicht immer wichtig genug genommen haben. Aber man hat gelernt. Da werden Schlachten geschlagen von Oberherren. Mein Herr ist der Herr und nicht Herr Woelki oder irgendwer, der darüber befindet. Da bin ich gerne evangelisch. Evangelisch heißt auch „vom Evangelium her gedacht“.
Wie bewerten Sie die Anti-Missbrauchs-Konferenz im Vatikan?
Enttäuschend. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass das Selbstmitleid in der Kirche größer ist als das Mitgefühl mit den Opfern. Dass die in Rom nicht offiziell geladen wurden, halte ich für einen Skandal. Bei uns in der evangelischen Kirche gibt es auch Missbrauch. Auf der Synode ist mit großer Ernsthaftigkeit darüber geredet worden, wie man mit Opfern und Akten umgehen muss. Nur: Wir verlieren mittlerweile gemeinsam und gewinnen gemeinsam. Es zieht uns den Boden weg, wenn in Institutionen, die es Jesus Christus verdanken, dass sie da sind, solche Verbrechen geschehen und sie so damit umgehen. Das ist etwas anderes als ein Sportverein!
Liegen Gründe für den Missbrauch auch im System der katholischen Kirche?
Da bin ich sicher. Was man fordert, stand schon lange im Raum: Abkehr vom Zwang des Zölibats. Wenn man sich die Studien anschaut, fällt auf, dass diejenigen, die zu Verbrechern geworden sind, es auch aus Einsamkeit werden. In den Anfangsjahren hast du das nicht. Aber nach zehn Jahren im Amt ist man häufig einsam und fühlt sich auch ein Stück mächtig. Es verändert sich manches, wenn Frauen dabei sind. Männer wollen imponieren. Sie diskutieren oft so, dass sie siegen wollen. Besserwisser ist ja auch ein männlicher Begriff (lacht).
Sie sind katholisch erzogen und erst spät zum protestantischen Glauben übergetreten. Warum?
Ich wollte auch mal katholischer Priester werden. Dann habe ich aber früh geheiratet. Meine Frau ist evangelisch. Wir haben versucht, ökumenisch zu heiraten, aber da hat die katholische Kirche nicht mitgemacht. Wir haben unsere fünf Kinder evangelisch erzogen. Ich bin in den evangelischen Gottesdienst gegangen und habe katholische Kirchensteuer gezahlt. Ich habe mich über die Kreuzfrömmigkeit der Katholiken gefreut, aber die Freiheit des Christenmenschen bei den Evangelen genossen. 2008 haben wir dann evangelisch geheiratet, Jahre später bin ich bei den Protestanten eingetreten. Es war nicht so wichtig. Kirchentagspräsident bin ich eigentlich nur durch Zufall, weil der gewählte Präsident, Frank Walter Steinmeier, Bundespräsident geworden ist.
Interview: Beatrix Gramlich
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