„Reichtum ist nicht gleich Entwicklung"Alberto Acosta war Energie- und Bergbauminister von Ecuador. Als Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung hat er dazu beigetragen, dass Grundelemente des indigenen Konzeptes vom guten Leben (Buen Vivir) 2008 in die Verfassung aufgenommen wurden. Sein Motto lautet: „Gutes Leben für alle statt Dolce Vita für wenige." |
Interview: Eva-Maria Werner; Foto: Katharina Dubno
Herr Acosta, was braucht der Mensch, um gut zu leben?
Erstens eine Gemeinschaft. Er muss mit sich selbst im Gleichgewicht leben und in Harmonie mit den Mitmenschen. Zweitens die Natur. Wir sind Natur, nicht nur ein Teil von ihr. Ohne Natur kann der Mensch nicht leben. Drittens brauchen wir eine spirituelle Beziehung zwischen den Menschen und den nichtmenschlichen Wesen. Das sind die Grundelemente des „Buen Vivir“, die auf Vorstellungen indigener Völker im Amazonasbecken und in den Anden zurückgehen.
Deren Lebensweise können wir aber nicht einfach so auf unsere Gesellschaft übertragen...
Natürlich nicht. Deshalb spreche ich auch lieber von „guten Leben“ im Plural. Es kann nicht ein Konzept geben, das für die ganze Welt gültig ist. Es gibt an vielen Orten Initiativen, die sich gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur wenden. Denken Sie an Vandana Shiva in Indien, die von der „Zivilisation des Dschungels“ spricht oder an die afrikanische Ubuntu-Gemeinschaft, die glaubt, dass alle Menschen etwas Universelles verbindet. In Deutschland gibt es Gruppen, die die Energiewende dezentral herbeiführen wollen oder sich mit Fragen der Ernährungssouveränität beschäftigen. Mir geht es darum, all die kleinen Initiativen zu stärken.
Warum lehnen Sie den Begriff „Entwicklung“ ab?
Entwicklung wird als globale Aufgabe verstanden seit dem 20. Januar 1949, als der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Harry S. Truman, ankündigte, die Unterentwicklung zu überwinden. Die reichen Nationen waren überzeugt, den Hunger ausrotten und für alle Menschen Bildung und Erziehung sichern zu können.
Was ist falsch daran?
Ich frage zurück: Sind die so genannten entwickelten Nationen entwickelt? Reichtum ist nicht gleich Entwicklung. In wohlhabenden Ländern wie Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait gibt es keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, keine Demokratie, keine Pressefreiheit. Die „entwickelten Nationen“ leben über ihre ökologischen Grenzen hinaus. Das Konsummuster der westlichen Länder basiert auf der Ausbeutung von anderen Menschen und der Natur. Es ist ein Fehler, die Wertvorstellungen, Ideen und Praktiken der Industrienationen überall auf der Welt verankern zu wollen. Die meisten Menschen können sich Wohlstand nicht erfüllen. Das führt zu großen Frustrationen. Schlimm dabei ist, dass die Kultur- und Zivilisationswerte anderer Nationen in Frage gestellt werden. Wir sollen unsere Kultur und Werte überwinden, um uns zu entwickeln. Entwicklungspolitik war von Anfang an ein Plan zur Verwestlichung der Welt.
Sie sprechen vom „Gespenst der Entwicklung“...
Ja, ich fühle mich wie ein Astronomieprofessor, der sich mit einem einzigen Stern – Entwicklung – beschäftigt hat, der aber jetzt erloschen ist. Das Licht, das ich gesehen habe, war nur die Widerspiegelung einer viel komplexeren Stern-Situation. Entwicklung ist eine Fata Morgana. Als ich in den 70er-Jahren in Deutschland studiert habe, wollte ich mich darauf vorbereiten, zum Fortschritt meines Landes beizutragen. Ich war sogar Marketingmanager einer staatlichen Erdölgesellschaft und habe Entwicklungstheorien an Universitäten gelehrt. Aber ich habe erkannt, dass Wirtschaftswachstum nicht gleichzusetzen ist mit Entwicklung.
Welche Kosmovision haben indigene Gemeinschaften?
Sie glauben nicht an einen linearen Entwicklungsweg. Irgendwann, wenn wir uns opfern, wenn wir sparen und hart arbeiten, wird es uns besser gehen: Das ist für sie nicht nachvollziehbar. Für sie muss das Leben heute gut sein!
Den „Marshallplan mit Afrika“ des deutschen Entwicklungsministeriums lehnen Sie ab. Was raten Sie stattdessen?
Ich plädiere dafür, gleichzeitig die Entwicklungshilfe und die Steuerparadiese abzuschaffen. Bis 120 Milliarden Dollar fließen jährlich an Entwicklungshilfe in die so genannte Dritte Welt, 310 Milliarden Dollar aus den Dritt-Welt-Ländern in die Steuerparadiese. Geld, das aus Steuerhinterziehung, Korruption, Misswirtschaft kommt. Wir sollten eine Steuer einführen, um Spekulationen einzudämmen. Die größte Herausforderung aber besteht darin, von einer anthropozentrischen zu einer biozentrischen Sichtweise zu gelangen.
Das heißt?
Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung. Es ist höchste Zeit, die Trennung von Mensch und Natur aufzuheben. Nicht nur der Mensch hat Rechte.
Sie haben dazu beigetragen, dass die Natur als Rechtssubjekt in die Verfassung Ecuadors aufgenommen wurde. Was bedeutet das?
Es ist ein großer Erfolg. Wir sind das erste Land, das nicht nur die Menschenrechte, sondern auch die Rechte der Natur in der Verfassung verankert hat. Wir zeigen damit: Die Ausbeutung der Natur muss aufhören, wenn wir ein gutes Leben für alle schaffen wollen.
Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung der Ideen in Ecuador?
Überhaupt nicht. Theorie und Praxis klaffen auseinander. Wasser etwa ist immer noch nicht entprivatisiert. Und als wir vorgeschlagen haben, das Öl unter dem Yasuní-Biosphärenreservat im Boden zu lassen gegen Ausgleichzahlungen reicher Länder, haben wir anfangs zwar Zuspruch erhalten. Aber der Schutz der Umwelt scheiterte letztlich am mangelnden Willen unserer Regierung.
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