„Mein Klavierspiel bringt alle in Gefahr“Aeham Ahmad wurde als „Pianist aus den Trümmern“ bekannt: Er sang und spielte mit seinem Klavier
auf den Straßen von Damaskus gegen den Krieg. Nach seiner Flucht lebt er nun in Deutschland. |
Herr Ahmad, fühlen Sie sich als Syrer oder Palästinenser?
Ich wurde als Flüchtling geboren. Ich besitze keinen richtigen Pass, sondern nur ein Reisedokument auf dem „palästinensischer Flüchtling mit Wohnsitz in Syrien“ steht. Ich durfte Syrien nicht verlassen. Mit diesem Ausweis bin ich nach Deutschland gekommen. Hier habe ich eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre, einen Pass und kann reisen.
Wo ist Ihre Heimat?
Ich bin in Yarmouk geboren. Das ist mein Zuhause. Mein Großvater stammt aus Palästina. Er wäre vielleicht glücklich, wenn er zurückkehren könnte. Ich muss da meine Wurzeln nicht finden, aber ich möchte eines Tages dorthin reisen. Assad verwehrt mir das.
Sie haben eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung. Wie leben Sie mit dieser Unsicherheit?
Solange ich keinen deutschen Pass habe, fühle ich mich nicht sicher. Ich arbeite und zahle hier meine Steuern, sodass ich nicht ausgewiesen werde. Aber wenn sich die Gesetze eines Tages ändern ...
Sie geben weltweit Konzerte, erzählen dabei Ihre Geschichte und haben ein Buch darüber
geschrieben. Was treibt Sie an?
Ich verdiene Geld mit der Musik, meine Familie kann davon leben. Und ich unterstütze meine Eltern und Freunde in Syrien. Als ich 18 wurde, habe ich begriffen, wie viel ich mit Musik erreichen kann. Die Menschen sind müde, über Syrien und den Krieg zu sprechen. Aber der Musik hören sie zu.
Wie kamen Sie auf die Idee, in den Trümmern Klavier zu spielen?
Ich musste etwas gegen den Hass, das Grauen tun. Ich habe Mozart gespielt. Wir litten und starben durch die Bomben. Und ich spielte klassische Musik. Aber die Menschen interessierten sich nicht dafür. Dann begann ich mit Liedern und Sprechtexten.
Sie haben Texte vertont?
Naja, keine wirklichen Texte. Eher Zeilen wie: „Ich trinke Kaffee, und die Bomben
fallen.“ Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, Situationen des täglichen Lebens
zu beschreiben, um zu den Menschen durchzudringen.
War es ein Akt des Widerstands, inmitten der zerbombten Häuser Musik zu machen?
Nur für diejenigen, die es von außen betrachten. Nicht für uns selbst. Wenn Sie Syrien sehen, diesen ganzen Horror und dann den Pianisten, der inmitten des Horrors spielt, denken Sie: „Wow!“ Ich wollte den Menschen zeigen: Wir sind eine Gruppe. Deshalb habe ich auf der Straße mit anderen Musik gemacht. Es hat mir geholfen, diese Zeit durchzustehen. Ich dachte, wir werden ohnehin sterben und habe Interviews über Internet gegeben. Ich war sehr stolz. Denn weil ich Klavier gespielt habe, schauten die Menschen auf Yarmouk.
Haben Krieg und Flucht Sie verändert?
Manchmal fühle ich mich sehr alt. Bis heute verstehe ich nicht, wie ich aus dem Gefängnis freigekommen bin. Mein Bruder ist seit sechs Jahren verschwunden. Es gibt 30000 Fotos von Menschen, die verhungert sind – ich denke immer, dass er einer von ihnen sein könnte. Ich lebe in zwei Welten. Konzerte zu geben, ist ein Traum, den ich nie für möglich gehalten hätte. Gleichzeitig macht es mich verrückt. Warum darf ich im Rampenlicht stehen und ein Star sein? Ich fühle mich schuldig. 80 Prozent von Yarmouk werden vom IS kontrolliert, 20 Prozent von Al-Nusra-Rebellen. Ich sollte nicht länger Klavier spielen und meine Geschichte erzählen. Es bringt alle in Gefahr: meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder, meine Freunde.
Trotzdem machen Sie weiter.
Ich glaube, bei den Millionen Flüchtlingen, die kommen, brauchen die Menschen ein Gesicht in der Masse, das für das Gute steht. In Deutschland sind alle nett zu mir und sagen: „Für mich bist du der Gute.“ Aber ich bin nicht sicher, ob mein Volk diese Meinung teilt.
Sie haben ein Buch über Ihre Geschichte veröffentlicht. Warum?
Ich möchte vermeiden, dass die Medien einen falschen Eindruck vermitteln. Sie stellen es manchmal so dar: Dieser Pianist geht mit seinem Klavier auf die Straße, und der IS verbrennt das Klavier. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Ja, wir alle hassen den IS. Ich habe aber Angst, dass die Menschen diesen Hass auf mich und die Flüchtlinge projizieren. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Ich möchte erklären, woher wir kommen und warum wir gekommen sind.
Sie schreiben, dass Sie sich im Krieg von einer höheren Macht beschützt fühlten. Sind Sie gläubig?
Nein, ich bin eigentlich nicht religiös. Aber es gibt mystische Dinge außerhalb des Islam, des Christentums und des Judentums. Schauen Sie (zeigt seine Narbe an der rechten Schläfe): Die Bombe flog direkt an meinem Auge vorbei. Es war ein kleines, hartes Metallstück, das „klack-klack-klack“ machte, als es einschlug und wieder herauskam. Aber mein Auge ist noch heil! Das war großes Glück! Ich gehe nicht in die Moschee. Aber ich habe oft das Bedürfnis, jemandem zu danken.
Ihr Vater ist blind. Er hat sich das Klavierstimmen beigebracht und Ihnen die Liebe zur Musik vermittelt. Welche Rolle spielt er für Sie?
Mein Vater hat auf mich aufgepasst, als ich klein war. Meine Mutter hat gearbeitet, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Mein Vater war wie ein Lexikon für mich. Was immer ich gefragt habe, er hat mir eine Antwort gegeben. Ich sage nie zu etwas einfach „Nein“, weil mein Vater sich auch auf alles Neue einlässt. Er liebt Musik und stellt Instrumente her. Er hat mich angetrieben, Klavier zu üben und mich mit Kaugummis, später mit Geld bestochen. Musik gibt mir viel. Sie inspiriert mich. Das verdanke ich meinem Vater. Ohne ihn wäre ich nicht hier.
Was vermissen Sie?
Ich vermisse meinen Vater und meine Mutter. Ich habe kein gutes Verhältnis zu meinem Bruder, aber auch ihn vermisse ich sehr. Ich vermisse meine Freunde und den Geruch meiner Wohnung in Damaskus. Sie ist mein Zuhause.
Interview: Beatrix Gramlich; Foto: Palast Promotion
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