"Deutschland ist das Bordell Europas"Ihr Deal mit dem lieben Gott lautet: Sie kämpft für Frauen in Not, dafür lässt er sie nicht hängen.Ein Gespräch mit Schwester Lea Ackermann über Männer, Macht und Menschenhandel. |
Schwester Lea, seit Jahrzehnten setzen Sie sich gegen Menschenhandel ein.
Ist das heute noch ein Thema?
Ein ganz wichtiges Thema! Es hat sich nur verlagert: Früher waren überwiegend Männer betroffen, heute sind es vor allem Frauen und Kinder. Es ist unglaublich, mit welcher Selbstverständlichkeit Frauen vermarktet werden. Wir haben eine Gesetzgebung, die diesen Handel fördert. Sie macht Prostitution zu einem Beruf wie jeden anderen. Viele Frauen, die nach Deutschland kommen, werden zur Prostitution gezwungen. Und hinterher heißt es: Sie machen das freiwillig. Das ist eine Ungeheuerlichkeit! Viele Frauen flüchten aus Kriegssituationen, viele kommen, weil sie in ihrem Land keine Lebensgrundlage mehr haben. Wenn wir zum Beispiel Koltan aus dem Kongo holen und dort die Erde zerstören, können die Frauen nichts mehr anbauen. Das sind doch alles Folgen unseres Wohlstands.
Woher kommen die Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden?
Im Jahr 2018 haben sich 2667 Frauen an unsere Hilfsorganisation Solwodi (Solidarity with women in distress, Solidarität mit Frauen in Not, Anm. d. Red.) gewandt. Sie kommen aus Ländern wie Nigeria, Äthiopien, Ghana und Kenia, aus Albanien, Rumänien, Bulgarien oder Afghanistan und Pakistan.
Können Sie Zahlen nennen?
Man spricht von rund 400000 Frauen in der Prostitution in Deutschland. 90 Prozent dieser Frauen kommen aus dem Ausland. Deutschland ist das Bordell Europas. Vielen dieser Frauen ist eine Arbeit versprochen worden, etwa als Friseurin oder Putzfrau. Und wenn sie hier sind, sagt man ihnen, es klappt nicht. Die Schulden, die sie bei den Schleppern angehäuft haben – bis zu 40000 Euro – müssen sie dann als Prostituierte abarbeiten. Es ist unglaublich, wieviel Geld mit diesen Frauen gemacht wird.
Das heißt, Prostitution ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor?
Nehmen Sie ein Bordell mit 100 Frauen. Der Betreiber kassiert 135 Euro pro Tag und Zimmer. Das sind fast fünf Millionen Euro pro Jahr. Die Frauen zahlen zudem 20 Euro Steuern am Tag, das sind 720000 Euro im Jahr, die an die Stadtverwaltung gehen – von einem einzigen Bordell. Eine Stadt wie Köln hat mindestens zehn solcher Bordelle. Es geht also um einen mehrstelligen Milliardenbetrag.
Hat der Staat Prostitution zum „ordentlichen Beruf“ gemacht, um damit Geld zu verdienen?
Ja, durchaus. Der Staat sagt: „Wir sind keine moralische Instanz. Warum sollen wir etwas verbieten, was Männer und Frauen freiwillig machen?“ Keine Frau prostituiert sich freiwillig. Davon bin ich nach 30 Jahren Arbeit mit Frauen felsenfest überzeugt.
Prostitution hat es immer gegeben. Wie sollte der Staat denn damit umgehen?
Diebstahl hat es auch immer gegeben. Wir würden niemals sagen: Es gibt ein Gesetz, aber die Leute klauen trotzdem – schaffen wir doch einfach das Gesetz ab. Warum verbieten wir nicht den Kauf von Sex, wie es Schweden seit 2002 macht: Dort ist dadurch ein ganz anderes Frauenbild entstanden, ein viel respektvolleres. In einer Gesellschaft, in der Mann und Frau gleichwertig sind, kann nicht die eine Hälfte die andere kaufen. Das ist ein Unding. In Deutschland wird stattdessen die Frau als diejenige gesehen, die den Mann in Versuchung führt. Das ist eine Denke, die patriarchalen Gesellschaften gut ansteht. Der Mann ist Herr der Geschichte. Und wenn er sich nicht so gut benimmt, dann ist die Frau daran schuld. Es kommt auf den Blickwechsel an. Wer den Kauf von Sex verbietet, verbietet deshalb ja nicht die Sexualität.
Wie können Sie den betroffenen Frauen helfen?
Vor allem überlegen wir, ob eine Schul- oder Berufsausbildung möglich ist. Hunderttausenden Frauen in Not haben wir seit Bestehen von Solwodi helfen können – in Afrika, Osteuropa und Deutschland. Wir erreichen die Frauen durch Streetworker oder die Polizei bringt sie zu uns. All diese Frauen und Mädchen sind Kinder Gottes und allein chancenlos. Diesen Kindern Gottes eine Chance zu geben, betrachte ich als meine Lebensaufgabe. Als ich 1985 nach Mombasa kam, sah ich ein Urlaubsparadies für reiche Touristen, die die Armut für ihr billiges Vergnügen ausnutzten. Da habe ich mit dem lieben Gott einen Deal gemacht: „Ich kümmere mich um deine chancenlosen Töchter. Lass du mich bloß nicht hängen.“ Ich hatte keinen Pfennig Geld. Und nun schauen Sie mal, was daraus geworden ist.
Weltweit blüht die Prostitution. Da ist Solwodi doch nur ein Tropfen
auf den heißen Stein.
Ja, die Entwicklung ist frustrierend. Es war aber nie meine Motivation, die Welt zu retten. Aber der einzelnen Frau, die sich an mich wendet, zu helfen, das finde ich wunderbar.
Sie leben außerhalb des Klosters. Gelten Sie in Ihrem Orden als Exotin?
Missionsschwestern machen sehr viel eigenständig, sie vertreten ihre Gemeinschaft oft auf Einzelposten. Seit gut 30 Jahren lebe ich hier in einem Pfarrhaus in Boppard. Hier habe ich, mitgetragen von meinen Mitschwestern im nahen Bad Salzig, Solwodi aufgebaut. Unterstützt hat mich der Pallottinerpater Fritz Köster, der hier in der Seelsorge tätig war. Ich bin froh, dass ich einem Orden angehöre, der dafür Raum lässt. Bei Solwodi haben auch immer Schwestern aus anderen Gemeinschaften mitgemacht. Gemeinsam haben wir einen Arbeitskreis gegen Menschenhandel gegründet. So haben viele Schwestern die Leitung von Beratungsstellen übernommen.
Wie sieht eigentlich Ihr Männerbild aus?
Die meisten Männer, die ich kenne, haben ein gutes Bild abgegeben. Männer werden zu dem erzogen, was sie sind.
Gilt das auch für die Männer der Kirche?
Die Machtstrukturen in der Kirche müssen sich absolut ändern. Sie sind nicht evangeliumsgerecht. Das größte Verbrechen ist die Ansammlung von Reichtum.
Was sollte sich ändern?
Es gibt keine theologischen Gründe, Frauen nicht zur Diakonats- oder Priesterweihe zuzulassen, warum verheiratete Männer nicht Priester werden oder Priester nicht verheiratet sein dürfen. Ich habe das Gefühl, man lässt die Kirche lieber eingehen, als sie zu öffnen. Es muss sehr schnell etwas geschehen, weil sonst die engagierten Frauen auch noch weglaufen. Das Evangelium wird nicht untergehen, aber vielleicht die Kirche. Wir brauchen aber diese Gemeinschaft. Ich bin deshalb für Auftreten und nicht für Austreten. Sagen, was nicht gut ist, aber nicht weggehen. Das wäre für die Kirche viel zu einfach.
Interview: Beatrix Gramlich und Franz Jussen
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