Ein gutes Foto weckt EmotionenDer Fotograf und Filmemacher Hartmut Schwarzbach ist fast die Hälfte des Jahres in Afrika und Asien unterwegs. Sein Thema ist Armut, vor allem in Slums. Auf einer Reise für „kontinente“ macht der 60-Jährige bis zu 1000 Fotos – am Tag. |
Interview: Eva-Maria Werner; Foto: Beatrix Gramlich
Warum ist das Foto mit Annalyn auf dem roten Sessel für Sie besonders wichtig?
Weil ich auf dem „Smokey Moutain“, einer riesigen Müllhalde auf den Philippinen, Kinder in Situationen vorgefunden habe, in denen sie nicht sein sollten. Die Begegnungen waren sehr emotional. Annalyn, die am Tag, als das Foto entstand, neun Jahre alt wurde, war mir besonders sympathisch. Sie hatte Hoffnung, dass jemand ihr hilft. Das Foto mit dem Sessel, der zufällig dort stand, ist häufig gedruckt worden.
Wie entsteht ein gutes Bild unter schwierigen Bedingungen?
Wichtig ist der Kontakt zu den Menschen vor Ort. Ich bin Besucher und gleichzeitig Eindringling in die Privatsphäre. Die Leute müssen mich akzeptieren. Ich fotografiere niemanden, der es nicht möchte. Ein gutes Netzwerk ist eine große Hilfe, etwa bei meiner Arbeit für „kontinente“ durch die Schwestern und Priester vor Ort. Manchmal ist es aber auch Glück, ein tolles Foto zu machen. Ich gehe nie mit fertigen Bildern in eine Reportage. Alles entsteht gemeinsam mit den Menschen und dem Wechselspiel von Licht und Landschaft.
Wann ist ein Foto gelungen?
Wenn es emotional berührt und eine klare Aussage hat.
Was kann ein Foto leisten, was nicht?
Mein erster Auslandsauftrag führte mich 1984 auf den „Smokey Mountain“. Ich war fassungslos, wie Menschen dort im Müll leben müssen und hatte den Impuls: Du musst fotografieren und der Welt zeigen, dass es das gibt – damit es nicht so bleibt. Ich mache den Job nun seit über 30 Jahren, gehe immer wieder in Slums und sehe, dass sich die Situation der Einzelnen kaum ändert. Jeder neunte Mensch geht hungrig ins Bett. Das frustriert mich schon.
Trotzdem machen Sie weiter...
Ja, denn es gibt umgekehrt auch ermutigende Erlebnisse, die zeigen, dass Bilder oder Projektarbeit etwas bewirken.
Haben Sie ein Beispiel?
Der „Stern“ kaufte eine Geschichte von mir, in der ich über zwölfjährige Kinder berichtete, die auf Styroporflößen Wasserflaschen aus dreckigem Hafenwasser fischten. Mit dem Geld, das aus der daran gekoppelten Spendenkampagne und einem Preisgeld für mich zusammenkam, konnten wir 15 Kindern Schulstipendien ermöglichen. Über Facebook halte ich Kontakt zu ihnen. Sie haben heute gute Arbeitsstellen.
Aus Syrien stürzen schlimme Bilder auf uns ein, manchmal auch von Toten und Schwerverletzten. Ist es richtig, sie zu zeigen?
So lange die Würde des Einzelnen nicht missbraucht wird, ja. Es ist wichtig, dass wir solche Bilder ertragen, weil sie die Realität abbilden. Würde man sie nicht senden oder drucken, würden die Menschen nicht glauben, dass solche Grausamkeiten geschehen. Als ich 2013 auf den Philippinen war, traf mit „Yolanda“ der stärkste Taifun, der jemals auf Land gestoßen ist, die Stadt Tacloban. In der Hauptstadt saß Präsident Benigno Aquino III. und behauptete, alles unter Kontrolle zu haben. Erst die Berichterstattung von CNN und freien Fotografen zeigte, dass Chaos herrschte und Menschen auf dem Flughafen standen, die sagten: „Wir haben nichts mehr zu essen und zu trinken.“
Gibt es Unterschiede in der Arbeit für „Spiegel“ oder „kontinente“?
Ja. Wenn ich für „kontinente“ reise, spüre ich, dass wir den Menschen vor Ort etwas zurückgeben können. Wir gehen in Projekte, durch die Menschen gefördert werden.
Wie hat sich die Foto-Branche in den vergangenen Jahren verändert?
Plötzlich kann jeder ein technisch brauchbares Foto schießen. Das hat die Fotografen viele Aufträge gekostet und ganze Arbeitsbereiche wie die Reisefotografie in Teilen überflüssig gemacht. Zwei Drittel aller Bilder kommen heute von Smartphones. Es ist für Fotoredakteure unmöglich, bei der Bilderflut den Überblick zu behalten. Außerdem nimmt die Bildmanipulation zu. Ethische Vorgaben, etwa Bildinhalte nicht auszutauschen, werden oft nicht mehr eingehalten. Sich in dieser Phase als Fotograf zu definieren, ist nicht einfach, geschweige denn, Geld damit zu verdienen. Deshalb haben viele angefangen, zusätzlich zu filmen – ich auch.
Stichwort Bilderflut: Wie viele Fotos entstehen auf einer zweiwöchigen kontinente-Reise?
An einem langen Arbeitstag mit tollem Licht bis zu 1000. Das entspricht etwa 30 Filmen. Früher war das die Ausbeute einer Reise. Heute benötige ich pro Reisetag einen Tag Nachbearbeitung.
Sind Sie als Kind gerne fotografiert worden?
Ich fand es nervig, weil mein Vater so lange brauchte, bis er auslöste. Der Hang zur Fotografie liegt aber in unserer Familie. Mein Großvater war Berichterstatter der österreichisch-ungarischen Kriesgsmarine und fotografierte auch die österreichische Kaiserin.
Welchen Weg sind Sie gegangen?
Ich habe nach Abitur und Zivildienst als freier Sportfotograf bei Tageszeitungen begonnen. Dann studierte ich Fotodesign in Dortmund und startete als Fotograf der Husumer Nachrichten ins Arbeitsleben – mit Geschichten über Seehunde und Krabbenkutter.
Stirbt der Beruf des Fotografen?
Hoffentlich nicht! Fotografen, die sich ernsthaft mit Bildsprache beschäftigen, haben eine andere Interpretation als die Smartphone-Knipser.
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