Das Schweigen der MännerNicht nur Minderjährige werden von Priestern und Bischöfen sexuell missbraucht – auch Ordensfrauen. Wieder sind die Verbrechen der Kirche seit Jahrzehnten bekannt, und wieder hat sie geschwiegen.Stimmen zu einem Skandal, der erst langsam ans Licht kommt. |
Text: Beatrix Gramlich
Foto: Khan/Getty Images
Es geht um eines der bestgehüteten Geheimnisse im Vatikan: den Missbrauch von Ordensfrauen. Auf dem Rückflug von Abu Dhabi im Februar räumte Papst Franziskus ein, dass sich Geistliche an Schwestern vergingen. Sein Eingeständnis war ein Tabubruch – ähnlich wie 2010, als der Jesuit und Leiter des Berliner Canisius Kollegs, Klaus Mertes, den Missbrauch von Minderjährigen in der Kirche öffentlich machte. Auch der neue Skandal, um den es hier geht, ist in Rom lange bekannt: Schon in den 1990er-Jahren machten die Benediktinerin Esther Fangman, Marie McDonald von den Missionsschwestern Unserer Lieben Frau von Afrika (Weiße Schwestern) und Schwester Maura O’Donohue von den Medical Missionaries of Mary darauf aufmerksam, was sich hinter Kloster- und Kirchenmauern abspielte. Die Ärztin hatte während ihrer Arbeit in afrikanischen Ländern immer wieder erlebt, dass Ordensfrauen von Priestern missbraucht worden waren.
Wie unlängst der Arte-Film „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ dokumentierte, veranlasste das Ausmaß und die Schwere der Verbrechen sie, Fakten zu sammeln und dem Vatikan 1995 eine umfangreiche Studie vorzulegen. Auch die beiden anderen Ordensfrauen informierten den damaligen Vorsitzenden der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens, Eduardo Martínez Somalo, ausführlich über das Problem. Ihre Berichte schildern keineswegs nur die Taten Einzelner, vielmehr beschreiben sie einen „weitverbreiteten Missbrauch” von Ordensschwestern durch Priester.
Da ist die Rede von Seelsorgern, die fürchten, sich bei anderen Frauen mit dem HI-Virus zu infizieren, und Ordensfrauen als sichere Alternative betrachten. Von Priestern, die sexuelle Gefälligkeiten als Gegenleistung für Empfehlungsschreiben erzwingen, die die Orden dringend benötigen. Von einer Gemeinschaft in Malawi, in der 29 Schwestern von Diözesanpriestern schwanger geworden seien. Auf die Beschwerde der Oberin reagierte der Ortsbischof promt – mit deren Absetzung. Die Täter indes hatten nicht viel zu befürchten: In den meisten Fällen wurden sie lediglich ermahnt oder versetzt, während die schwangeren Ordensfrauen abtreiben oder ihre Gemeinschaften verlassen mussten und als mittellose Mütter oft in existenzielle Notlagen gerieten. Die Berichte benennen Vorfälle in 23 Ländern – nicht nur in Afrika, sondern unter anderem auch in den USA, Brasilien, Indien, Irland und Italien.
Erst als 2001 der US-amerikanische National Catholic Reporter und die New York Times das Thema pubik machten, reagierte der Vatikan. Über seinen damaligen Pressesprecher Joaquín Navarro-Valls ließ er erklären, das Problem beschränke sich auf einen kleinen geographischen Raum. Man arbeite an der Aufklärung der Vorfälle und wolle die Ausbildung vor Ort verbessern. Doch Missbrauch beschränkt sich nicht auf sexuelle Handlungen. Er beginnt viel früher: Da, wo die Würde und das Selbstbestimmungsrecht des anderen ignoriert werden, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Wo der andere nicht als ebenbürtiger Mensch betrachtet wird, sondern als Objekt. Auch das ist für Ordensfrauen nichts Unbekanntes. Viele gut ausgebildete Schwestern verrichten bei Priestern, Bischöfen und Kardinälen niedere Dienste. Sie kochen, putzen, waschen, bügeln – häufig ohne geregelte Arbeitszeit und ohne Bezahlung. Wer glaubt, solche Verhältnisse fänden sich nur in Afrika, Asien oder Lateinamerika, der irrt. Auch in Italien sind sie gang und gäbe. „Ich habe Schwestern kennengelernt, die in Theologie promoviert waren und von heute auf morgen ausgesandt wurden, um zu kochen oder Geschirr zu spülen“, berichtet eine Ordensfrau im Osservatore Romano. „Manche Ordensfrauen werden als Ehrenamtliche betrachtet, über die man nach Belieben verfügen kann“, sagt eine andere. Dahinter stehe häufig ein falsches Verständnis von dienen.
„Das Heil der Seelen muss in der Kirche immer oberstes Gesetz sein“, heißt es im kirchlichen Gesetzbuch. Wie passt dazu, dass Bischöfe und Kardinäle sexuellen Missbrauch jahrelang vertuscht und verschwiegen, dass sie die Täter und nicht die Opfer geschützt haben? Zwar gibt es in unserem Rechtssystem keine Pflicht, Straftaten anzuzeigen. Doch sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind keine Bagatelldelikte. Es sind Verbrechen, die in Deutschland mit einem Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft werden. Wie konnte die Kirche solche Vergehen decken?
Es scheint, die Sorge um das Ansehen der Institution gilt vielen Amtsträgern immer noch mehr als das Wohl des Einzelnen. Doch wenn Kirche sich von diesem Denken nicht löst, genügt sie ihren eigenen Ansprüchen nicht und verrät die Nächstenliebe. Der Missbrauch von Ordensschwestern und der Umgang damit wirft nicht zuletzt ein Licht auf Macht, Abhängigkeiten und die Rolle der Frau in der Kirche.
„Die Zeit ist reif für Veränderung“, sagt Schwester Ruth Schönenberger, Priorin der Missions-Benediktinerinnen von Tutzing gegenüber kontinente. „Was jetzt ans Licht kam, sprengt mein Vorstellungsvermögen völlig. Da helfen nicht nur kleine Veränderungen, wir müssen die
Probleme an der Wurzel packen. Am wichtigsten erscheint mir, dass wir das Gottes- und Menschen(Frauen)-Bild von allem reinigen, was nicht dem von Jesus Christus entspricht. Es gilt, die Haltung des Dienens wirklich zu leben.“
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