Die Sorge um die Kinder ist universalDer Verein Frauen ohne Grenzen (WwB) bringt in 16 Ländern der Welt Mütter in MotherSchools zusammen.
Hier lernen sie, wie sie ihre Kinder vor Radikalisierung schützen können. Elisabeth Kasbauer arbeitet
seit zwanzig Jahren bei Frauen ohne Grenzen und begleitet die MotherSchools seit ihrer Gründung.
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Frau Kasbauer, wie viele Frauen haben an den Programmen der MotherSchools teilgenommen?
Es waren mehrere Tausend in 16 Ländern, es ist mittlerweile eine Bewegung geworden.
Wie entstehen denn neue MotherSchools, wie wählen Sie die Länder aus?
Wir orientieren uns am Bedarf. Die MotherSchools sind ja ein Präventionsprogramm. Wir setzen die Projekte mit lokalen Organisationen um und greifen dafür auf Netzwerke zurück, die Frauen ohne Grenzen selbst über Jahre aufgebaut hat. Für den Aufbau von Vertrauen und Nachhaltigkeit ist es uns wichtig, dass wir längerfristig in den Ländern engagiert sind.
Wo sind die neuesten Länder?
Derzeit arbeiten wir in zehn Ländern und auf drei Kontinenten: in Bangladesch, Indien, Indonesien, im Kosovo, in Nordmazedonien, auf Sansibar, in Frankreich, Belgien, Österreich und Deutschland.
Müssen Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?
Dadurch, dass wir mit den schon bekannten Partnern im Land zusammenarbeiten, ist schnell Vertrauen da. Am Anfang sind die Mütter oft noch sehr zurückhaltend, das legt sich aber bald. Wenn man irgendwo in einer Stadt oder einem Land neu startet, dauert es natürlich immer eine Weile, das Projekt vorzustellen und die Teilnehmerinnen zu mobilisieren. Ist die erste Runde dann geschafft, steigt die Nachfrage enorm. Teilweise kommen die Interessentinnen auch auf uns zu, weil sich das Angebot einfach herumspricht.
Müssen die Frauen etwas bezahlen?
Nein. Wir können die Kosten durch Projektförderungen abdecken. Natürlich ist das Fundraising eine große Herausforderung und ein wichtiger Baustein unserer Arbeit.
Zehn Wochen treffen sich die Frauen in den MotherSchools – geht es danach dann irgendwie weiter?
Es geht selbstverständlich lokal weiter. Die Gruppen werden ja immer von zwei Lehrerinnen geleitet, und die sind vor Ort präsent und weiterhin engagiert. Manchmal treffen sich die Frauen regelmäßig zum Frühstück und um Netzwerke zu bilden. Eine Gruppe hat sich einen Gemeinschaftsgarten gekauft, andere organisierten Aktivitäten für Jugendliche am Nachmittag. Eine Gruppe trifft sich weiterhin und geht das Gelernte immer wieder durch.
Können Sie auch Erfolge sehen?
Wir begleiten jede Gruppe auch wissenschaftlich recht umfangreich. Mit allen Teilnehmerinnen führen wir vorher und nachher ein Gespräch. Wir wollen so den Einfluss der MotherSchools messen und arbeiten außerdem stetig daran, das MotherSchools-Handbuch anzupassen und zu aktualisieren. Zehn Wochen lang hat jede Gruppe eine Sitzung, die etwa drei Stunden dauert, manchmal auch länger. Nach jeder Sitzung schreiben die Lehrerinnen einen kurzen Report. In jeder Gruppe gibt es außerdem eine Protokollantin. Die Reports aus den Gruppen bekomme ich, ich lese sie und tausche mich einmal wöchentlich mit den Lehrerinnen aus. So weiß ich, was sich weltweit bei den Frauen tut. Es sind Wahnsinnsschritte, die da passieren!
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Zuerst sehen wir eine unglaubliche Steigerung des Selbstwertgefühls. Die Frauen kommen zum Teil sehr schüchtern, trauen sich nicht zu reden. Das ändert sich oft schon nach wenigen Sitzungen, sie beginnen von sich zu sprechen, was sie ja sonst kaum tun. Bei den Schlussbefragungen erzählen sie, wie sich ihr Umgang mit den Kindern verändert hat. Es geht ja viel um Erziehungstechniken, wie Kommunikation zuhause gelingt, wie sie umsetzen, was sie gelernt haben: zu sehen, was ein Frühwarnsignal ist, was können sie gegen Radikalisierung tun, an wen können sie sich wenden … Das sind Erfolge, die wir überall sehen. |
Funktioniert das Programm überall gleich – egal ob in Österreich oder Bangladesch?
Ja - mit geringen Abweichungen. Ich erinnere mich an eine Mutter in Bangladesch, die sagte: Ich wusste gar nicht, was Erziehung als Begriff bedeutet. Oft sind die uns vertrauten Konzepte völlig unbekannt. Zum Beispiel: Wie hören wir richtig zu? Was ist Prävention? Wir haben das Handbuch so gestaltet, dass für jede Sitzung eine Auswahl von Übungen angeboten wird. Wir passen die Inhalte an die jeweilige Gruppe an. Wir arbeiten mit hochgebildeten Frauen ebenso wie mit Analphabetinnen.
Richtet es sich nur an muslimische Frauen?
Nein. In Bangladesch, Indien, auf dem westlichen Balkan, auch in Österreich und Deutschland haben wir Teilnehmerinnen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund. MotherSchools sind ein religionsfreier, politikfreier und ideologiefreier Raum.
Radikalisierungstendenzen sind also kein rein muslimisches Thema?
Genau das ist ja das Problematische: Mit dem Finger auf eine Gruppe zu zeigen und sie verantwortlich zu machen. Die Sorge um Kinder und der Wunsch nach einem guten Leben für sie ist universal.
Gibt es auch Angebote für Väter?
Ja, es war uns sehr wichtig, die Väter ins Boot zu holen. Sie müssen die Verantwortung mittragen und die Aufgaben teilen. Wir arbeiten schon lange zum Thema Jugendliche, Migration, Identität, Männlichkeitsbilder... Da haben wir einige Studien gemacht – als Orientierung und praktische Vorbereitung. Es gab schon ein Pilotprojekt in Deutschland und eines in Österreich, da haben zum Teil Mütter an den MotherSchools teilgenommen und Väter an den FatherSchools. Das ist wunderbar, oder? Wir sind gespannt, was die Familien uns erzählen werden!
Interview: Christina Brunner, Fotos: WwB
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Zur Person
Elisabeth Kasbauer ist Programmdirektorin von Frauen ohne Grenzen (WwB). Sie arbeitet seit zwanzig Jahren für den Verein und begleitet die MotherSchools seit
ihrer Gründung. |
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Die sanfte Macht der Mütter
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