„Wir Bischöfe wollen den Frauen Gemeinden anvertrauen“Bischof em. Franz-Josef Merkel war bis 2020 Bischof im Amazonasgebiet. Dort hat
er erlebt, dass das kirchliche Leben hauptsächlich von Frauen getragen wird. Er
wünscht sich Diakoninnen für das Amazonasgebiet, sagt er im kontinente-Interview. |
Sie waren lange Bischof von Humaitá am Rio Madeira, einem Nebenfluss des Amazonas. Wären Frauen als Priesterinnen in Ihren Gemeinden überhaupt möglich?
Denkbar wäre das schon. Es gibt aber keine solche Erwartungshaltung, wie sie sich hier in einigen Ländern Europas äußert. Die einfachen Frauen sind, so wie ich es wahrnehme, damit zufrieden, dass sie mitarbeiten und Verantwortung tragen können und dass sie geschätzt und geliebt werden. Wir Bischöfe finden es wichtig, dass man den Frauen Gemeinden anvertraut. Und das geschieht ja auch schon.
Was tun sie in den Gemeinden?
Sie kümmern sich praktisch um alles, was sich auf die kirchliche Gemeinde bezieht, vor allem um die Vorbereitung der Gottesdienste. Sie selbst leiten Wortgottesdienste, engagieren sich in der Katechese, sind für die Kinderpastoral zuständig, halten die Verbindung zum Priester… In mehr als der Hälfte der Gemeinden sind die Frauen verantwortlich für die verschiedenen pastoralen Dienste.
Wäre es nötig, ihre Rolle zu stärken?
Wir hatten auf der Synode versucht, dass auch Frauen zum Amt von Diakonen (Diakoninnen) geweiht werden könnten. Es ist bei der Diskussion geblieben … Wir waren ein wenig enttäuscht, dass es da zu wenig Offenheit gab. In der Tat wird das kirchliche Leben hauptsächlich von Frauen getragen.
Es ist also kein Thema in Lateinamerika?
Was den Zugang zum Priesteramt angeht, wird das Thema bei uns im Amazonas nicht intensiv diskutiert.
Würden Sie sich wünschen, dass es Frauen als Diakoninnen am Amazonas gibt?
Ja. Es können (und werden auch) fast alle Dienste der Ständigen Diakone auch von Laien ausgeübt, etwa die Taufe oder die Trauung. Aber es geht um mehr als um die Erlaubnis beziehungsweise Ausnahmefälle. Es geht darum, dass die Frauen ein Amt, eine in der Struktur der Kirche verwurzelte Stellung haben und damit zur Gruppe der Ordinierten gehören. Das würde ihren Dienst in der Gemeinde aufwerten. Wir haben in der Diözese von Humaitá – wie in vielen anderen Diözesen auch – Gruppen Ständiger Diakone.
Zur Zeit meines Weggangs hatten wir 14 Männer, hinter denen ihre Familien standen. Sie legen Wert darauf, bei besonderen Gelegenheiten den römischen Kragen zu nutzen – etwas was in der Ausbildung kaum erwähnt worden war, um dem Volk (und sich selbst) zu zeigen, dass sie im Dienst dieser Kirche stehen. Sie lieben unsere Kirche trotz aller Schwächen. Sie stehen mit ihren Familien zusammen fest in der Gemeinde. Das Amt hat ihre Beziehung zur Ortskirche und der Weltkirche gestärkt. Ich glaube, dass es bei Frauen als Diakoninnen ähnlich wäre. Die Nachfrage nach einem Ständigen Diakonat der Frauen wäre sicherlich noch grösser.
Sie sind seit November 2020 zurück in Deutschland. Kommt Ihnen die Diskussion um das Frauenpriestertum angesichts Ihrer Erfahrungen am Amazonas überflüssig vor?
Die Diskussion treibt sicherlich viele um, ist also ein Problem. In meinen Augen ist die Frage des Amtes nicht das Entscheidende. Kirche ist lebendig, wo der Glaube an den Auferstandenen lebt; wo die Hoffnung auf das Ewige Leben trägt; wo die Liebe die Menschen konkret miteinander verbindet; wo die Gottesdienste mit Freude von allen gefeiert werden; wo in den Gemeinden über die sozialen und ökologischen Probleme diskutiert wird; wo das politische Leben vom Glauben her mitgestaltet wird …
Ich glaube, dass mehr Synodalität in der Kirche die Diskussion um den Zugang der Frauen zum (ministeriellen) Priestertum entspannen könnte. Es geht doch in erster Linie darum, miteinander die Aufgaben und Herausforderungen (in Gesellschaft und Kirche) zu sehen, darüber zu urteilen und sie gemeinsam anzugehen - entsprechend den Talenten und Möglichkeiten einer Gemeinde. Das würde uns zur Zeit sicherlich weiterbringen.
In der Apostelgeschichte (und in der Kirchengeschichte) sehen wir übrigens, dass das Zeugnis der Gläubigen für die Evangelisierung wichtiger war als das Amt. Und – zugespitzt - wenn das Amt wichtig war, so um dem Zeugnis zu dienen… Das Problem, scheint mir, ist weniger ein Problem des Amtes und der Machtbefugnis – dem man über die Synodalität beikommen kann - als vielmehr des (unleugbaren) Glaubensschwundes.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass Pfarrer und Pastöre, die in ihren Gemeinden spirituelle und theologisch geschulte Frauen kennen, sie einladen, der Gemeinde vorzustehen und mit deren Zustimmung zum Predigerdienst heranzuziehen. Sollte das auf Dauer sein, sollte der Ortsbischof konsultiert werden. Ansonsten ist der Pfarrer zusammen mit der Gemeinde durchaus befähigt, das zu tun. Wichtig scheint mir, dass der zuständige Pfarrer gut in den regionalen oder diözesanen Klerus eingebunden ist. Überdies: Die Kirche bleibt auf ihrem Weg nicht stehen. Was momentan nicht möglich ist, kann es noch werden.
Werden die Gemeinden das schaffen?
Was unsere Gemeinden in Brasilien anbetrifft, so ist die Entwicklung der Stellung und der Mission der Frau in der Kirche möglich. Sie wird auch geschehen, sich aber nicht auf die Zulassung der Frau zur Priesterweihe konzentrieren. Herausforderungen praktischer Art sind Auswahl, Vorbereitung und Begleitung der Frauen in neuen Diensten. Wenige haben fundiertes theologisches Wissen. Entsprechend der Zeit, die sie für ihre Dienste aufwenden, sollte man sie vergüten können. Aktuell geschieht alles auf freiwilliger Basis.
Sind Sie traurig, dass das Thema „Diakoninnen in der Kirche“ von der Synode nicht besser abgeschlossen worden ist?
Ja, das war eine Enttäuschung. Meine bischöflichen Mitbrüder im Amazonas werden dennoch den Frauen mehr zugestehen als zuvor und ihnen helfen, das nötige Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die Synode hat uns ermutigt, etwas zu schaffen, das den Frauen einen offiziellen Status („Amt“) in der Kirche gibt. Aber im Moment treibt uns die Sorge um die Begleitung der Pandemieopfer und die Folgen für Kirche und Gesellschaft um.
Interview: Christina Brunner; Foto: privat
Zur Person
Franz Josef Meinrad Merkel CSSp, geboren am 22. September 1944 in Hardheim, ist deutscher Ordensgeistlicher und emeritierter römisch-katholischer Bischof von Humaitá in Brasilien.
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