Gott im Gefängnis besuchen
Weltweit sitzen über zehn Millionen Menschen im Gefängnis. Extrem belastend sind die oftmals unmenschlichen Haftbedingungen. Seelsorger besuchen die Gefangenen und geben praktische und spirituelle Hilfe. Bei Außenstehenden stoßen sie oft auf Unverständnis.
Gefangen auf engstem Raum: Schlechte Haftbedingungen produzieren Gewalt. Foto: Schwarzbach
„Ich wusste nicht, was da auf mich zukommt“, erinnert sich Schwester Petra Pfaller an ihren ersten Besuch im Gefängnis der Millionenstadt Goiânia in Zentralbrasilien. Schon bei der Sicherheitskontrolle werden Besucher von den bewaffneten Beamten drangsaliert und müssen sich einer erniedrigenden Durchsuchungsprozedur unterziehen. Im Innern des Gefängnisses ist die Hitze schier unerträglich, der Gestank nimmt einem den Atem. „Die Zellen sind hoffnungslos überfüllt“, beschreibt Schwester Petra, Ordensschwester der Missionarinnen Christi, die für viele Gefängnisse in Lateinamerika, Afrika und Asien typische Situation. „Wo gerade für vier Betten Platz ist, sind bis zu 25 Männer eingepfercht. Die hygienischen Verhältnisse sind schrecklich, es mangelt an allem.“
Gefängnisseelsorger wie Schwester Petra sind oft der einzige Kontakt der Gefangenen zur Außenwelt. Sie versorgen die Häftlinge mit dem Nötigsten: Zahnpasta, Seife, Essen, Kleidung. Aber vor allem haben sie immer ein offenes Ohr für die Nöte der Menschen. „Wir betreiben eine Seelsorge des Zuhörens“, bringt die Ordensfrau und studierte Juristin ihren Auftrag auf den Punkt „Wir fragen nicht, was jemand getan hat, wir sehen den ganzen Menschen, so wie es auch Jesus getan hat.“
In der erstickenden Enge der meist völlig veralteten Haftanstalten ist Gewalt an der Tagesordnung. Folterungen und Misshandlungen drohen von Wärtern und Mitgefangenen gleichermaßen. Wer sich nicht in die Zellenhierarchie einfügt oder keine Bestechungsgelder zahlen kann, wird geschlagen oder umgebracht. Hier agiert die deutsche Seelsorgerin seit über 19 Jahren als Vermittlerin zwischen Gefängnisleitung und Inhaftierten, weist auf Missstände hin und kämpft für bessere Haftbedingungen. Nicht selten warten Gefangene auch wegen kleiner Vergehen jahrelang auf ihren Prozess. In Brasilien sitzen fast 37 Prozent der Häftlinge in Untersuchungshaft. Viele verbleiben auch nach Verbüßung ihrer Strafe im Gefängnis, weil sie sich keinen Rechtsbeistand leisten können und sich niemand um die Entlassungspapiere kümmert.
Brasilien: Versöhnen und Verzeihen
„Die Gefängnisseelsorge steht auf zwei Beinen“, erklärt Schwester Petra. „Wir feiern die Messe mit den Gefangenen, organisieren Bibelgruppen. Auch Taufen und Hochzeiten finden in der Haft statt. Zum anderen geben wir menschliche und sozialpolitische Unterstützung. Dazu gehören die Menschenrechtsarbeit und juristischer Beistand. Unsere Aufgabe ist es, die Stimme der Gefangenen zu sein, außerhalb der Gefängnismauern.“ Sie ist überzeugt, „dass Gott im Gefängnis schon gegenwärtig ist, bevor die Seelsorger kommen. Der Glaube ist nur verdeckt in den Menschen. Niemand ist ganz böse. Jeder Mensch ist ein Kind Gottes, auch der Vergewaltiger. Irgendwo in diesem Menschen ist ein Licht. Und das muss man suchen und erkennen“, sagt sie. „Wenn die Gefangenen aus diesen dunklen Zellen herausschauen, dann strahlen sie einen an, weil man sie besucht, mit ihnen redet, sie als Mensch behandelt, ihnen die Hand gibt. Das Gottesbild, das wir ins Gefängnis hineinbringen wollen, ist das des liebenden, des verzeihenden Gottes.“
Beim Thema Seelsorge für Gefangene stoßen Verständnis und Nächstenliebe vieler Menschen an ihre Grenzen. „Ich werde oft dafür beschimpft, dass ich Straftätern helfe, denn die Leute wollen Rache“, stellt Schwester Petra fest. „Gewalt wird mit Gewalt bekämpft. Das ist keine Gerechtigkeit, das ist rächende Justiz.“ Seit 2010 ist Schwester Petra Vizepräsidentin der brasilianischen Gefängnispastoral. Sie besucht Haftanstalten im ganzen Land, redet mit Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern und Gefängnisdirektoren und koordiniert Fort- und Weiterbildungen für die 6.000 Gefängnisseelsorger auf Nationalebene. „Viel zu wenige für 500.000 Gefangene“, sagt sie. „Aber man muss schon eine spezielle Berufung haben für diese Pastoral, weil sie so komplex ist.“ Gefängnisse stellen eine Herausforderung für Kirche, Staat und Gesellschaft dar. Gefängnisseelsorger gehen als Vertreter der Kirche in die Haftanstalten, dem Wort Jesu folgend, „Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25,36). Nicht Strafe, sondern Vergebung und Versöhnung sowie die Würde des Häftlings und seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft stehen hierbei im Mittelpunkt. Auch für die Familien der Häftlinge und die Bediensteten im Strafvollzug sind die Seelsorger wichtige Ansprechpartner.
Anwältin der Gefangenen: Schwester Petra Pfaller kämpft für bessere Haftbedingungen. Foto: privat
Madagaskar: Hilfe zum Neuanfang
In Madagaskar ist die Menschenrechtslage in den Haftanstalten erschütternd. Die schmutzigen Zellen sind chronisch überbelegt, die Gefangenen leiden Hunger. „Als ich hier anfing, haben wir jeden Monat 30 bis 40 Leute beerdigt“, berichtet Schwester Luciana aus dem Gefängnis von Ambatondrazaka. Durch ihren Einsatz hat sich die Lage wesentlich verbessert. Sie verteilt Lebensmittel und versorgt die Häftlinge medizinisch. Die Schwestern vom Guten Hirten engagieren sich derweil im Frauengefängnis der Hauptstadt Antananarivo. Die Ordensfrauen helfen den Gefangenen, Kontakt zu ihren Familien aufzunehmen. Viele Frauen sitzen unschuldig in Haft, zum Beispiel, weil ihre Arbeitgeber sie loswerden wollten und sie kurzerhand unter einem Vorwand verhaften ließen. Ohne Rechtsbeistand warten sie oft Jahre auf ihren Prozess. Ein wesentlicher Bestandteil der Gefängnisseelsorge sind die Bemühungen zur Resozialisierung. Frauen können die letzten Monate ihrer Haftstrafe bei den Ordensfrauen im offenen Vollzug ableisten. Sie helfen in der Küche und je nach Bildungsgrad erteilen sie Hauswirtschaftsunterricht für junge Mädchen. In dieser Zeit werden sie wieder in ihre Familien und die Gesellschaft integriert. „Es ist wichtig, den Gefangenen unvoreingenommen zu begegnen und sie durch diese Krisenzeit in ihrem Leben mit Herz zu begleiten“, erklärt Schwester Nirmala Abayashinge. „Obwohl es eine weitverbreitete Meinung ist, dass Gesetzesbrecher bestraft werden sollen, hat jeder ein Recht darauf, mit Würde und Respekt behandelt und korrekt und ehrlich gerichtet zu werden, egal, was er getan hat. Schwache Momente kommen zu uns allen.“ Die Schwestern wissen nur zu gut, dass die Frauen Rückhalt brauchen, wenn sie wieder in ihr altes Umfeld zurückkehren und stehen ihnen auch nach der Haftentlassung mit Rat und Tat zur Seite.
Fidschi: Du bist nicht allein
Wie wichtig der regelmäßige Kontakt zu Gefangenen während und nach ihrer Haft ist, bestätigt auch Herz-Jesu-Missionar Bruder Gerald Warbrooke, der auf den Fidschi-Inseln in der Gefängnisseelsorge im Jugendstrafvollzug arbeitete. „Gefangene fühlen sich oft vergessen“, erklärt er. „Es ist wichtig, ihren sozialen Hintergrund zu kennen, eine unterstützende Präsenz zu sein, ihnen Mut und Hoffnung für die Zukunft zu geben.“ Regelmäßig begleitete der Ordensmann Jugendliche zu ihren Gerichtsverhandlungen und konnte durch seine Anwesenheit und unter der Auflage, die Jungen nach ihrer Entlassung im Auge zu behalten, erwirken, dass Gefängnisstrafen reduziert oder ausgesetzt wurden. Keiner seiner Schützlinge wurde rückfällig. Obwohl Bruder Gerald Warbrooke mit seinem Engagement für Straffällige oft auf Unverständnis traf, schaffte er es, sein Umfeld für die Problematik zu sensibilisieren. „Jeden Sonntag begleiteten mich Frauen und Jugendliche aus der Pfarrei zur Eucharistiefeier ins Gefängnis“, berichtet er. „Die größte Herausforderung der Gefängnisseelsorge ist es, Menschen zu motivieren, Gefangene zu besuchen und Interesse an ihnen zu zeigen.“
Von Marion Weißkirchen
Zurück zur Hintergrund-Übersichtsseite
Sie möchten mehr lesen? Bestellen Sie hier Ihr kostenloses kontinente-Probeabo.